Studie zu Wirtschaftssystemen

Deutschland setzt bei „Gerechtigkeit“ die falschen Akzente

Im Vergleich zu anderen Staaten geht es in Deutschland relativ „gerecht“ zu. Es besteht weniger Bedarf an Umverteilung als in den Sozialdebatten suggeriert. Bürger halten die Regel- und Chancengerechtigkeit für wichtiger als Bedarfs- und Verteilungsgerechtigkeit.

Deutschland setzt bei „Gerechtigkeit“ die falschen Akzente

In Deutschland geht es relativ gerecht zu

Internationales Ranking zeigt aber Nachbesserungsbedarf etwa bei Bildung

lz Frankfurt

In der deutschen Gesellschaft geht es gerechter zu, als vielstimmige Klagen über unzureichende Umverteilung bisweilen suggerieren. Das zeigt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen. Die Ökonomen haben aus Daten der OECD, der Weltbank und von Eurostat sowie auf der Basis einer repräsentativen Umfrage unter 3.300 Menschen einen „internationalen Gerechtigkeitsindex“ errechnet. Dabei rangiert Deutschland unter 34 entwickelten Staaten auf Rang 10. Weit dahinter liegen die USA, Japan und die Türkei.

Die Studienautoren verweisen ausdrücklich darauf, dass das Gerechtigkeitsempfinden in vielerlei Hinsicht von persönlichen Präferenzen abhängt und diverse Gerechtigkeitsformen eine Rolle spielen. Um dennoch einen möglichst objektiven Index aufzustellen, verglichen die Autoren 43 einzelne Indikatoren in sechs Kategorien nach Bedarfs-, Regel-, Leistungs-, Chancen-, Einkommens- und Generationengerechtigkeit.

Regelgerechtigkeit am wichtigsten

In einer Umfrage gaben 87% der Teilnehmer an, dass ihnen unter den verschiedenen Gerechtigkeitsformen die Regelgerechtigkeit am allerwichtigsten ist. Auf dem zweiten Platz rangiert die Chancengerechtigkeit mit 81%, gefolgt von der Generationengerechtigkeit mit 79%. Dem Satz „Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn Personen, die im Beruf viel leisten, mehr verdienen als andere“, also der Leistungsgerechtigkeit, stimmten 74% zu, gefolgt von der Bedarfsgerechtigkeit mit 68%, wonach eine Gesellschaft gerecht ist, wenn sie sich besonders um die Schwachen und Hilfsbedürftigen kümmert.

Auf nur knapp 49% Zustimmung kommt indes der Wunsch nach möglichst gleicher Verteilung von Einkommen und Vermögen, also jene Debatte, die in der aktuellen Sozialpolitik unter dem Stichwort „Umverteilung“ die größte Rolle spielt und die für eine immer höhere Staatsquote und steigende Sozialausgaben steht.

Nachbesserungsbedarf bei Bildung

Unter das Stichwort Bedarfsgerechtigkeit fällt etwa die Deckung der menschlichen Grundbedürfnisse unabhängig vom Einkommen; unter Einkommensgerechtigkeit die Frage nach gleichmäßiger Verteilung von Einkommen und Lasten.

Interessanterweise liegt Deutschland bei der Bedarfs- und Generationengerechtigkeit im Staatenvergleich mit Rang 9 höher als in der Gesamtplatzierung, also jene Bereiche, die im Diskurs als besonders kritisch gesehen werden. Bei der Leistungs- und Regelgerechtigkeit reicht es dagegen nur für den 18. bzw. 17. Platz, obwohl sie den Bürgern besonders wichtig sind. Noch schlechter steht es nur um die Einkommensgerechtigkeit (Platz 21), was womöglich mit der unzureichenden Leistungsgerechtigkeit korrespondiert.

Quintessenz der Studie ist nach Meinung der Autoren, dass insgesamt mehr in Bildung investiert werden müsste, weil dies nicht nur die Chancengerechtigkeit erhöht, sondern auch für Leistungs- und Einkommensgerechtigkeit sorgt.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.