Bürokratielasten

Die DSGVO-Regeln bremsen künstliche Intelligenz in Europa aus

Die negativen Erfahrungen mit der Datenschutzgrundverordnung lässt viele Unternehmen am Erfolg AI-Act der EU zweifeln. Auch anderswo wird Bürokratie eher auf- statt abgebaut. Das zeigen neue Gesetzesvorhaben.

Die DSGVO-Regeln bremsen künstliche Intelligenz in Europa aus

DSGVO-Regeln bremsen künstliche Intelligenz aus

Unternehmen ziehen in ZEW-Umfrage negative Bilanz zur Datenschutzgrundverordnung und warnen vor neuen Innovationshürden

Die Datenschutzgrundverordnung hat zwar für mehr Vorsicht bei der Nutzung personenbezogener Daten gesorgt, doch die Regelungen kommen mit hohen Kosten daher und lassen viele Unternehmen verzweifeln. Überall wird Bürokratie auf- statt abgebaut. Das zeigen neue Gesetzesvorhaben.

lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt

Als die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vor rund sechs Jahren zur ersten Anwendung kam, feierte sich die Politik ob der bahnbrechenden, weltweit einzigartigen Gesetzgebung. Der Grundrechtsschutz sei verbessert und der Datenschutz in allen EU-Mitgliedstaaten auf ein neues Niveau gehoben, hieß es. Der „Vater“ dieser Verordnung, der Grünenpolitiker Jan-Philipp Albrecht, der als Berichterstatter den Prozess in Brüssel begleitet hat, rühmte den Vorbildcharakter der EU-Regelung für andere Länder. Von einem ähnlich großen Wurf spricht man auch im Zusammenhang mit dem Brüsseler AI Act, der Unternehmen für die Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) Rechtssicherheit geben und die Märkte erst so richtig vorbereiten soll für die Geschäftswelt. Auch diese EU-Regelung sei einzigartig und weltweit vorbildhaft.

Tatsächlich hat die DSGVO die Einstellung der Unternehmen zur Nutzung personenbezogener Daten von EU-Bürgern durchaus zum Besseren verändert. Sie sind diesbezüglich vorsichtiger geworden. Allerdings führten die Ausführungsbestimmungen zu einem bürokratischen Dickicht sondergleichen. Eine Umfrage des ZEW zur DSGVO zeigt, dass nur wenige Unternehmen den Regeln ein gutes Zeugnis ausstellen. „Nur für 7% in der Informationswirtschaft und 2% im verarbeitenden Gewerbe überwiegen die positiven Aspekte der Verordnung“, kommentiert Daniel Erdsiek, Co-Autor der ZEW-Studie.

Künstliche Intelligenz ausgebremst

Kritisiert wird vor allem der hohe Arbeitsaufwand, die zusätzlichen Kosten für Mitarbeiterschulungen und der gestiegene Bedarf an externer Beratung. Jedes vierte Unternehmen der Informationswirtschaft gibt obendrein an, dass durch die DSGVO Innovationen ausgebremst werden. In großen Unternehmen sind sogar fast 40% dieser Meinung. Sie sprechen von einem „Hindernis für den Einsatz neuer Technologien“ und verweisen hierbei auf Entwicklungen zur KI. Denn gerade hierbei geht es um die Verarbeitung von qualitativ hochwertigen und großen Datenmengen.

Ignoranz der Politik

Dass die Probleme im Unternehmensalltag durch die DSGVO von der Politik die ganze Zeit nicht aufgenommen und gemildert worden sind, zeigt das reale Desinteresse am Bürokratieabbau, das im Gegensatz zu den steten Bekundungen steht. Denn die Kritik an der DSGVO ist lange bekannt und adressiert worden. Bereits 2020 äußerten sich die Unternehmen in einer ZEW-Umfrage ähnlich skeptisch wie in der aktuellen Befragung.

Diese Haltung wirft auch kein gutes Licht auf den AI Act. Das europäische Grundgesetz für künstliche Intelligenz wird in seinem Ansatz durchaus von Unternehmen gutgeheißen, weil es für eine gewisse Rechtssicherheit sorgt. Im Hinblick auf die zu erwartenden notwendigen gesetzlichen Konkretisierungen auf Europa- und Staatsebene warnen sie aber schon jetzt vor einer regelrechten Bürokratiewelle. Das könnte die Vorteile des AI Act schnell ins Gegenteil verkehren.

Mittelständler ziehen sich zurück

In Deutschland sind die Sorgen besonders groß, weil frühere und jüngste Beispiele von Gesetzesvorhaben stets zu enormen bürokratischen Belastungen geführt haben und führen werden. Aktuell rufen immer weniger Unternehmen vom Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) Fördermittel ab, weil eine neue Richtlinie ihnen so viel mehr Bürokratie aufbürdet und neue Rechtsunsicherheit schafft, dass sie davor zurückschrecken. Dabei ist das Programm der zentrale Ansatzpunkt, um Innovationen im Mittelstand zu beschleunigen.

Die Zurückhaltung liegt an einer neuen Bestimmung (Anlage 6.4a), die bei Förderanträgen verlangt, dass die Unternehmen erwartete Ausgaben genau beziffern müssen, die während der Laufzeit über die Personalausgaben hinausgehen. Die Sorge ist groß, dass Fördersummen zurückverlangt oder sie gar rechtlich belangt werden, wenn die geschätzten Ausgaben nicht mit den realen Beträgen übereinstimmen. Der Rückzug vieler Mittelständler fällt besonders ins Gewicht, weil sie in der Regel auch sehr eng mit Universitäten und Hochschulen zusammenarbeiten. Dieses Netzwerk könnte nun Löcher bekommen und auch die Bildungsinstitutionen hart treffen.

Deutsche Verschärfungen

Auch ein anderes gesetzgeberisches Vorhaben, das bis Juli 2024 umgesetzt sein muss, treibt die Wirtschaft um. Es geht um die EU-Richtlinie „Corporate Sustainability Reporting Direction“, welche den Unternehmen auferlegt, zum Jahresabschluss genaue Informationen zur Auswirkung ihrer Geschäfte auf Umwelt und Menschenrechte über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu liefern. Schon der Referentenentwurf rechnet mit neuen Bürokratielasten in Höhe von 1,4 Mrd. Euro. Die Arbeitgeber gehen von höheren Kosten aus. Zum Vergleich: Das mit großem Tamtam gefeierte „Bürokratieentlastungsgesetz“ soll maximal Kosten von 3 Mrd. Euro einsparen. Unternehmen rechnen indes mit der Hälfte. Also ein klassisches Nullsummenspiel.

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