IM INTERVIEW: HENNING VÖPEL

"Eine Riesenchance für Hamburg"

Der Chef des HWWI wägt vor dem Referendum Kosten und Nutzen Olympischer Spiele in der Hansestadt ab

"Eine Riesenchance für Hamburg"

Soll sich Hamburg um die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2024 bewerben? Der Ausgang des Olympia-Referendums in der Hansestadt am 29. November ist Umfragen zufolge offen – auch weil eine Finanzierungszusage des Bundes noch aussteht. Henning Vöpel, Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), mahnt eine Diskussion über den langfristigen Nutzen der Olympia-Investitionen an, erläutert aber auch, warum die Bewerbung Hamburgs Unterstützung verdient.- Herr Professor Vöpel, die Hamburger stimmen am Sonntag über die Bewerbung Hamburgs für die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2024 ab. Wie fällt Ihr Votum aus?Ich bin dafür.- Warum?Die Olympischen Spiele sind eine Riesenchance für Hamburg. Die Stadt könnte einen qualitativen Sprung in ihrer Entwicklung machen. In Studien wird viel über touristische Effekte, über Einkommens- und Beschäftigungseffekte gesprochen. Die gibt es auch. Aber die verschwinden auch wieder, wenn das Großereignis vorbei ist. Aber ich verspreche mir strukturell erhebliche Effekte, weil Hamburg anders als weithin entwickelte Städte wie Paris oder Los Angeles als sogenannte Second City massiv von der internationalen Aufmerksamkeit, von den Investitionen in die Infrastruktur nachhaltig profitieren kann.- Welche Chancen hat die Bewerbung angesichts anderer Kandidaten wie Budapest, Los Angeles, Paris und Rom?Die Chancen von Hamburg sind nicht schlecht. Das hat vor allem damit zu tun, dass es sich ja um eine deutsche Bewerbung handelt. Deutschland hat mit München zuletzt 1972 Olympische Sommerspiele ausgerichtet. Es wäre nach 52 Jahren wieder an der Zeit, die Olympischen Spiele an eine Stadt der weltweit viertgrößten Volkswirtschaft zu vergeben. Deutschland hat sich in der Vergangenheit immer als vorzüglicher Gastgeber sportlicher Großereignisse erwiesen. Ich gehe von einem Zweikampf aus zwischen Paris und Hamburg.- Hat Hamburg nicht auch den Nachteil, dass die Stadt als Ausrichter großer Sportereignisse bislang kaum in Erscheinung getreten ist?Ja. Internationale Sportfachverbände achten darauf, ob ein Standort Erfahrung hat in der Ausrichtung von Sportgroßveranstaltungen. Die hat Hamburg kaum vorzuweisen. Hamburg kann aber darauf hoffen, dass die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bei dem Votum 2017 für Deutschland stimmen werden. Denn von Deutschland weiß man, dass Sportgroßveranstaltungen hier generell gut aufgehoben sind. Hamburg kann davon profitieren.- Die Erfolgsaussichten der Bewerbung hängen auch vom Ausmaß der Zustimmung durch die Bevölkerung ab. Welches Ergebnis sollte das Votum bringen, damit die Perspektiven Hamburgs vielversprechend sind?Das Referendum am Sonntag soll eine demokratische Legitimation bringen. Keine andere Bewerberstadt lässt die Bevölkerung direkt abstimmen. Insofern hat das Hamburger Votum eine besondere Aussagekraft. Mit dem Rückhalt und der Stimmung in der Bevölkerung lässt sich punkten. Allerdings sollte die Abstimmung eine klare Zustimmung mit einer Quote über 60 % ergeben. Ein Votum knapp über 50 % wäre für die Bewerbung Hamburgs nicht gut.- Die Bereitschaft der Bürger in Deutschland, Steuergelder in Turniere oder in Olympische Spiele zu investieren, sinkt gerade rapide angesichts von Korruption und Intransparenz innerhalb von Sportinstitutionen wie Fifa und DFB. Wie schwer wiegt das?Mit Blick auf das Referendum sind diese Affären, wenn man ein Befürworter der Bewerbung ist, zum falschen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gekommen. Aber daneben drücken ja auch länger bekannte negative Erfahrungen mit Investitionen in bauliche Großprojekte wie die Hamburger Elbphilharmonie auf die Stimmung. Die Skepsis gegenüber Großprojekten, die hohe Investitionen erfordern, ist durch die Erfahrungen in Hamburg und in Deutschland gegenwärtig sehr groß.- Hamburg ist hoch verschuldet, hat mit der HSH Nordbank ein milliardenschweres Haushaltsrisiko, das schlagend werden könnte, und andere große Herausforderungen, nicht zuletzt im Zuge der Flüchtlingskrise. Kann sich die Stadt die Austragung Olympischer Spiele leisten?Wenn man nur vorhätte, die Olympischen Spiele zu konsumieren und 16 Tage Spaß zu haben, dann sollte Hamburg in der Tat auf die Bewerbung verzichten. Dafür ist die Haushaltslage nicht gut genug. Wenn wir aber zu der Überzeugung gelangen, dass es sich bei den Olympischen Spielen um Investitionen in die nachhaltige Stadtentwicklung handelt, dann sind diese unabhängig von anderen Haushaltsbelastungen als sinnvoll anzusehen. Denn die Investitionen sollen helfen, die anderen Herausforderungen der Stadt besser zu bewältigen. Vor den Entscheidungen für die Olympia-Investitionen wird es darauf ankommen, möglichst genau die Erträge abschätzen zu können, die den Standort Hamburg weiterbringen sollen.- Ist es nicht ein Problem, dass sich der ökonomische Nutzen Olympischer Spiele von vornherein kaum konkret bemessen lässt?Die aktuellen und in der Öffentlichkeit viel diskutierten Affären in den Fußballverbänden und die großen Fehlkalkulationen bei großen Bauprojekten haben zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung geführt. Die Akzeptanz hoher Investitionen nicht zuletzt in sportliche Großveranstaltungen sinkt damit – zumindest temporär. Das hat mit Blick auf die Olympischen Spiele auch damit zu tun, dass wir bislang wenig wissen über die konkreten Erträge. Der Hamburger Senat und die Bewerbungsgesellschaft haben die Kosten sehr genau aufgelistet und dabei – wie ich finde – seriös mit einem Risikoaufschlag gerechnet. Aber es findet sich wenig darin, was Hamburg im positiven Sinn mit den Olympischen Spielen will. Was sollen die Erträge sein, die zum Teil weit in der Zukunft liegen und mit Unsicherheit behaftet sind? Darüber wird mir zu wenig diskutiert.- Es gibt Pläne für die Stadtentwicklung.Ja, es gibt einen konkreten Nutzen, den sich Hamburg von den Spielen für die Stadtentwicklung verspricht. Es soll mit dem Olympischen Dorf ein neuer Stadtteil entstehen. Ich meine aber, dass zu klein denkt, wer den Nutzen vor allem in der Stadtentwicklung sieht. 6 000 Wohnungen zu bauen ist auch ohne Olympische Spiele möglich. Nein, die wichtigen Effekte sind andere.- Nämlich?Die Investitionen für die Olympischen Spiele bieten eine einmalige Chance, die Metropolregion Hamburg im internationalen Standortwettbewerb auf Dauer attraktiver zu machen.- Darauf lässt sich aber nur hoffen.Das stimmt. Deswegen sollte darüber noch intensiver gesprochen werden. Aber die Chance, dass Hamburg mit den Olympischen Spielen tatsächlich attraktiver wird für Investoren und Arbeitskräfte aus dem In- und Ausland und dass die Wirtschaftsleistung in der Region nachhaltig steigen wird, ist dennoch realistisch. Hamburgs Wirtschaft ist schon heute international sehr stark eingebunden, Hamburgs Bevölkerung ist weltoffen und tolerant. Das sind gute Voraussetzungen, um von der internationalen Aufmerksamkeit besonders zu profitieren. Gleichzeitig ist Hamburg aber international nicht so bekannt, als dass es kein Potenzial gäbe, den Standort auszubauen und zu stärken. Die möglichen positiven Effekte der Olympischen Spiele passen gut zum Hamburger Standortprofil.- Inwiefern?Hamburg hat die Chance, sich vom demografischen Wandel in Deutschland unabhängiger zu machen, indem man international bekannter wird und nicht nur für den nationalen Pool an Fachkräften interessant ist, sondern vermehrt auch Talente aus anderen Teilen der Welt anzieht. Durch die Olympischen Spiele könnte Hamburg Investitionen verstärkt für die Digitalisierung nutzen und Entwicklungen vorziehen. Überall in der Welt machen sich Metropolen auf den Weg in die digitale Transformation. Die Städte sind dabei, durch eine intelligente Vernetzung von Infrastruktur die Lebensqualität zu erhöhen, Ressourcen effizienter zu nutzen. Hamburg könnte sich bei kluger Steuerung der olympischen Investitionen unter den digital entwickelten Standorten weit vorne positionieren. Hamburg könnte bis 2024 eine Modellregion werden, wenn zum Beispiel effiziente, umweltschonende Mobilitätskonzepte umgesetzt und modernes Wohnen verknüpft werden könnte mit einer Versorgung aus nachhaltigen Energien. Hamburg hat die Chance für einen qualitativen Sprung.- Wie stark könnte die Wirtschaftsleistung in der Metropolregion Hamburg im Zuge der Olympischen Spiele 2024 steigen?Eine aktuelle Studie meines Instituts zu den Perspektiven der Industrie 4.0 kommt zu dem Ergebnis, dass man für Hamburg im Zuge von Digitalisierung und Vernetzung von einem jährlichen Effekt von 1 Mrd. bis 1,5 Mrd. Euro ausgehen kann, was bezogen auf die heutige Wirtschaftsleistung einem Wachstum von 2 bis 3 % entspricht. Die olympischen Investitionen könnten diese Entwicklung beschleunigen.- Der Bund soll sich nach den aktuellen Hamburger Plänen mit 6,2 Mrd. Euro an der Finanzierung der Olympischen Spiele beteiligen. Warum sollen Steuerzahler in anderen Regionen Deutschlands so viel zahlen, wenn sie von den Spielen nicht direkt profitieren?Der Bund hat schon angedeutet, dass er nicht die Stadtentwicklung in Hamburg finanzieren wird. Der Bund wird sehr genau darauf achten, was mit seinen Steuermitteln passiert. Deswegen ist auch noch mit harten Verhandlungen zu rechnen, wofür der im Raum stehende Anteil des Bundes von 6,2 Mrd. Euro verwendet werden soll.- So könnte man die Spiele für Hamburg auch verstehen: Als ein als Sportveranstaltung getarntes Stadtentwicklungsprojekt, von Dritten bezahlt.Ja. Aber für den Bund gibt es auch gute Gründe, sich an den Investitionen zu beteiligen. Olympische Spiele in Deutschland böten eine gute Chance, ein modernes, weltoffenes Land zu präsentieren. Auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland wird Deutschland in Zukunft nicht verzichten können, nicht zuletzt mit Blick auf den demografischen Wandel. Die Spiele wären eine Gelegenheit, die Willkommenskultur in Deutschland zu festigen und die Gesellschaft mit Hilfe positiver Erfahrungen mit Vielfalt auf weitere, mitunter schwierige Integrationsleistungen vorzubereiten.- Geht das am besten nur mit teuren Olympischen Spielen?Diese Frage ist berechtigt. Die Olympischen Spiele 2024 werden auch mit einer Fußball-Europameisterschaft, um deren Austragung sich der Deutsche Fußball-Bund vermutlich bewerben wird, konkurrieren. Die gerade genannten Effekte ließen sich vielleicht besser mit einer Fußball-Europameisterschaft erreichen, die sich nicht wie Olympische Spiele auf eine Stadt fokussiert, sondern über das ganze Land verteilt. Andererseits: Olympische Spiele, an denen Sportler aus der ganzen Welt teilnehmen, ziehen global eine größere und intensivere Aufmerksamkeit auf sich als eine Europameisterschaft und stehen für international akzeptierte Werte wie Toleranz und Fairness.- Worin sehen Sie konkret den volkswirtschaftlichen Nutzen Olympischer Spiele?Der Nutzen für Deutschland insgesamt wäre verschwindend gering. Die ökonomischen Effekte der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 etwa waren kaum zu messen. In den Wochen der Veranstaltung gab es vor allem bei befristeten oder geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen einen kleinen Anstieg. Auch die Investitionen privater Haushalte und Unternehmen fielen etwas höher aus, aber nur für einen kurzen Zeitraum. Der volkswirtschaftliche Nutzen Olympischer Spiele für eine Stadt wie Hamburg wäre jedoch erheblich. Man kann sagen: Je räumlich fokussierter sich Erträge ergeben, desto eher lohnt sich die Investition.- Haben größere und international bekanntere Bewerberstädte wie Paris oder Los Angeles nicht bessere Ausgangsbedingungen für die Bewerbung?Die Erfahrungen mit den langfristigen Effekten Olympischer Spiele fallen sehr unterschiedlich aus. Es hat sich gezeigt, dass auch deutlich größere Metropolen es nicht verstanden haben, den Impuls Olympischer Spiele für eine nachhaltige Entwicklung zu nutzen. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist hier Athen 2004. Hinzu kommt, dass sich das IOC mit seinem deutschen Präsidenten Thomas Bach eine Reformagenda 2020 auf die Fahne geschrieben hat mit dem Ziel, für mehr Transparenz zu sorgen und die Dimension Olympischer Spiele herunterzuskalieren auf eine Größe, die es dem Ausrichter ermöglicht, nachhaltig und kostenbewusst mit dem Projekt umzugehen. Dies kommt der Bewerbung Hamburgs eindeutig entgegen. Die Stadt setzt auf nachhaltige Projekte und kalkuliert transparent. Damit wird die Skepsis gegenüber Großprojekten klar adressiert.- Bund und Land sollen einen Großteil der Kosten für die Spiele tragen, müssen jedoch zugleich die weitreichenden Forderungen im Gastgebervertrag des IOC erfüllen. Die Ziele des IOC stimmen aber kaum mit dem einer nachhaltigen Stadtentwicklung überein. Inwieweit ist das problematisch?Die fehlende Kongruenz zwischen dem, was das IOC möchte – nämlich sichere Spiele, die kommerziell erfolgreich sind und die Marke Olympia stärken -, und den Interessen der Ausrichterstadt kann zum großen Problem werden. Von der Reformagenda 2020 des IOC kann man aber erwarten, dass sich die Interessen künftig leichter miteinander vereinbaren lassen.- Wie kann Hamburg dafür sorgen, dass die eigenen Interessen gewahrt bleiben?Wenn der Host-City-Vertrag unterschrieben ist, wird sich Hamburg nicht mehr auf Aussagen vor dem Referendum am kommenden Sonntag berufen können, Ausgaben von höchstens 1,2 Mrd. Euro zuzulassen. Hamburg wird dann die finanziellen Risiken als Ausrichter tragen. Das bedeutet, man muss so früh wie möglich und vor dem Abschluss des bindenden Gastgebervertrages mit dem IOC wissen, wie man die Interessenkongruenz erreichen und wie man Risiken, die sich ergeben können, in Grenzen halten kann. Dazu ist es sinnvoll, die Risiken zu teilen mit dem Bund, der auch der Bewerbergesellschaft angehört.- Werden im aktuellen Hamburger Finanzplan die Risiken nicht unterschätzt? London 2012 investierte fast dreimal so viel in die Sicherheit, wie es das Hamburger Konzept mit 461 Mill. Euro vorsieht. Der aktuelle Eindruck der Terroranschläge von Paris lässt vermuten, dass dieses Budget nicht ausreichen wird.Die Gefahr besteht natürlich. In neun Jahren bis 2024 kann viel geschehen. Wir können aber nur nach dem, was wir heute wissen, Pläne aufstellen.—-Das Interview führte Carsten Steevens.