Italien

Erste große Kraftprobe für Draghi

Zwei der drei großen Gewerkschaften Italiens haben für den 16. Dezember zu einem Generalstreik aufgerufen. Es ist die erste große politische Kraftprobe für Premierminister Mario Draghi – und das zur Unzeit.

Erste große Kraftprobe für Draghi

bl Mailand

Zwei der drei großen Gewerkschaften Italiens haben für den 16. Dezember zu einem Generalstreik aufgerufen – erstmals seit 2014. Nach ihrer Ansicht ist die Politik von Premierminister Mario Draghi sozial unausgewogen: Sie fordern eine aktivere Industriepolitik gegen Entlassungen, mehr Steuerentlastungen für niedrige Einkommensgruppen und großzügigere Vorruhestandsregeln.

Es ist die erste große politische Kraftprobe für Draghi. Er hatte in den vergangenen Monaten alles getan, um den Gewerkschaften entgegenzukommen, und ist nun enttäuscht. Der Streikaufruf sei „unverständlich“. Trotz des gigantischen Schuldenbergs des Landes sind im Haushalt für 2022 Steuersenkungen von 8 Mrd. Euro geplant – 85% davon für Einkommen unter 50000 Euro. Draghi führte ein Kindergeld ein und verzichtete darauf, das Renteneintrittsalter von 62 Jahren wieder stark anzuheben. Darüber hinaus sind weitere 8 Mrd. Euro für den Gesundheitssektor vorgesehen. Und das von der politischen Rechten heftig bekämpfte Grundeinkommen soll auch weitergeführt werden. Außerdem macht Draghi Milliardenbeträge im Haushalt locker, um die stark steigenden Energiepreise sozial abzufedern. Das erkennt auch die kleinere Gewerkschaft CISL an, die sich deshalb nicht am Streik beteiligen will.

Die Kraftprobe kommt zur Unzeit. Die Coronazahlen sind zwar niedriger als in anderen Ländern, steigen aber deutlich. Die höhere Inflation belastet auch Italien und könnte die Europäische Zentralbank (EZB) zu Korrekturen in ihrer Geldpolitik veranlassen. Und auch über der konjunkturellen Entwicklung im nächsten Jahr stehen viele Fragezeichen.

Politische Kommentatoren sehen in dem Streikaufruf das Ende des politischen Burgfriedens. Denn bisher wagte es niemand, Draghi offen herauszufordern – nicht einmal Giorgia Meloni, Chefin der einzigen großen Oppositionspartei, der neufaschistischen Fratelli d’Italia.

Die riesigen Hilfen der Pandemiezeit – für Unternehmen, Banken, Gastronomie und Handel sowie Kurzarbeitsmaßnahmen und vieles mehr – haben offenbar dafür gesorgt, dass das Gefühl herrscht, es sei nun Geld für alles da, meint ein Kommentator der liberalen Tageszeitung „Corriere della Sera“. Auch unter Draghi wachsen die Staatsausgaben: Das Budget für 2022 ist sehr expansiv und sieht Mehrausgaben und Steuerentlastungen von 30 Mrd. Euro vor. Bisher hat Draghi Proteste durch großzügige Hilfen unterbunden. Es bleibt abzuwarten, wie er diese Krise löst. Im Hintergrund schwebt dabei stets die Frage, ob der Ministerpräsident nicht im Februar Nachfolger von Staatspräsident Sergio Mattarella wird. Er äußert sich dazu nicht.