EZB-Personalratschef erhebt schwere Vorwürfe

„Es gibt bei der EZB Druck, Studienergebnisse anzupassen“

EZB-Personalratschef Carlos Bowles erhebt im Gespräch mit der Börsen-Zeitung schwere Vorwürfe gegen die Notenbank. In einem Klima der Angst würden Mitarbeiter krank und unter Druck auch Studien zurückziehen oder gar Ergebnisse ändern. Die EZB dementiert vehement.

„Es gibt bei der EZB Druck, Studienergebnisse anzupassen“

„Es gibt Druck, Studienergebnisse anzupassen“

EZB-Personalratschef Bowles erhebt schwere Vorwürfe gegen Führungspersonal der Notenbank – Mitarbeiterumfrage zeigt Unzufriedenheit

Von Martin Pirkl, Frankfurt

Beim Inflationsanstieg ab 2021 hat sich die EZB nicht mit Ruhm bekleckert. Lange Zeit sprach die Führungsriege davon, dass die Preisanstiege nur vorübergehend seien und verzichtete auf Zinserhöhungen. In der Folge kletterte die Inflation im Euroraum auf den höchsten Stand seit Einführung der Gemeinschaftswährung. Dabei hat es laut EZB-Personalratschef Carlos Bowles durchaus einige EZB-Ökonomen gegeben, die der Ansicht waren, dass der Inflationsanstieg über längere Zeit andauern wird. Das Betriebsklima bei der Notenbank sei jedoch so schlecht, dass sie sich nicht getraut hätten, ihre Einschätzungen mitzuteilen.

„Wenn sich die Mitarbeiter in einer Situation befinden, in der sie wissen, dass es ihrer Karriere schadet, wenn Sie etwas sagen, was Ihr Chef nicht hören will, dann schweigen viele Menschen“, sagt Bowles im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Er wirft der EZB vor, dass sie ein Klima der Angst für viele ihrer Mitarbeiter geschafft habe.

Vorwurf der Vetternwirtschaft

Gestützt werden seine Aussagen von Umfragen der Gewerkschaft Ipso, deren Vize-Präsident Bowles ebenfalls ist. In einer Ende April veröffentlichten Befragung gaben nur 34% der Mitarbeiter an, dass diejenigen befördert würden, die gute Leistung erbringen. 77% meinen dagegen, dass es vor allem darum geht, mit den „richtigen“ Leuten ein gutes Verhältnis zu haben. Und da könne es laut Bowles ein Problem sein, wenn die Forschungs- oder Prognoseergebnisse nicht so ausfallen, wie vom Vorgesetzten erwünscht.

Nicht nur bei Beförderungen spiele das eine Rolle, sondern auch beim Thema Jobsicherheit. Viele Mitarbeiter bei der Zentralbank haben einen befristeten Vertrag. „Ob sie ihren Job behalten, hat nichts mit messbaren Leistungen zu tun. Es hängt nur damit zusammen, ob ihr Vorgesetzter sie behalten möchte oder nicht“, sagt Bowles. „Es gibt daher Druck, Studienergebnisse anzupassen und Probleme nicht anzusprechen.“ So berichtet er etwa von einem Fall bei der EZB-Bankenaufsicht, wo ein Mitarbeiter die Veröffentlichung einer Studie zurückgezogen habe, weil dem Vorsitzenden die Ergebnisse nicht gefallen hätten.

EZB dementiert

Die EZB bestreitet das vehement. Auf Nachfrage der Börsen-Zeitung teilt eine Sprecherin der Notenbank mit: „Es ist bedauerlich, dass Herr Bowles solche Behauptungen über die Arbeit seiner Kollegen aufstellt. Er hat uns keine Beweise für ein solches Verhalten vorgelegt. Die Analyse der EZB-Mitarbeiter entspricht den höchsten Anforderungen an wissenschaftliche Strenge, Unabhängigkeit und Objektivität.“

Die Notenbank führt zudem an, dass bei internen Beförderungen nie alleine der direkte Vorgesetzte entscheide. Stattdessen seien mindestens drei Leute aus verschiedenen Abteilungen beteiligt. Häufig gebe es auch anonyme Tests oder Unterstützung von externen Beratern.

Mitarbeiter stolz für die Notenbank zu arbeiten

Die EZB betont des Weiteren, dass sich an der Ipso-Umfrage nur 1425 der rund 5000 Mitarbeiter beteiligt haben. Von der EZB selbst durchgeführte Umfragen hätten eine weit höhere Teilnahmequote und zeichneten ein anderes Bild. So sagten 85% der Befragten, dass sie stolz seien, für die EZB zu arbeiten.

Das bestreitet Bowles nicht. „Ja, die Leute sind stolz und zufrieden mit der Bezahlung, aber sehr unzufrieden mit dem autokratischen Führungsstil bei der EZB.“ Bereits 2024 veröffentlichte Ipso eine Umfrage, wonach fast 40% der Mitarbeiter von Burn-out berichten. Ein Grund dafür sei das hohe Arbeitspensum. Bowles macht jedoch noch eine weitere Ursache aus. „Das hängt eng mit unserem Problem der Vetternwirtschaft zusammen. Die Mitarbeiter erleben einen Kontrollverlust, weil sie nur bedingt über ihre Leistung beeinflussen können, ob sie Karriere machen oder ihren Job behalten. Das erzeugt mentalen Stress.“

Mitarbeiterumfrage zeigt Unzufriedenheit

Große Unzufriedenheit zeigen die Mitarbeiter besonders bezüglich der obersten Führungsebene der EZB. 51,9% gaben bei der jüngsten Befragung der Gewerkschaft an, kein oder wenig Vertrauen gegenüber dem EZB-Direktorium zu haben. Bei EZB-Präsidentin Christine Lagarde sind es sogar 57,1%.

Bowles macht zudem keinerlei Bereitschaft bei Lagarde und anderem Spitzenpersonal aus, die Probleme zu lösen, weshalb er sich über Medien an die Öffentlichkeit wendet. Vor einem deutschen Arbeitsgericht klagen, könnten er oder andere Mitarbeiter nicht. Die Zentrale der EZB befindet sich zwar in Frankfurt, liegt aber dennoch rechtlich nicht in Deutschland, sondern quasi in einem „extraterritorialem Gebiet“. Die EZB muss sich daher nicht an nationales Arbeitsrecht halten, sondern das Management stellt die Regeln selbst auf.

EZB genießt Sonderrechte

Die weitreichenden Befugnisse der EZB sollen die politische Unabhängigkeit der Notenbank schützen. Ein hohes Gut, damit die EZB bei der Geldpolitik oder der Bankenaufsicht nicht unter politischem Druck gerät, sondern ihr Mandat erfüllen kann. Wie wichtig ein solcher Schutz sein kann, zeigt sich derzeit in den USA, wo die Unabhängigkeit der Fed durch die US-Regierung unter Druck gerät. Bowles zufolge entsteht durch die Exterritorialität der EZB jedoch auch ein Governance-Problem.

Dies zeige sich auch an einem neuen Vorhaben der EZB. Die Notenbank möchte begrenzen, wie viel Arbeitszeit die Personalratsmitglieder für die Tätigkeiten des Gremiums investieren dürfen. Ordentliche Mitglieder sollen maximal 50% ihrer Arbeitszeit damit verbringen, der Vorsitzende 75%. Für Bowles ist dies eindeutig eine Vergeltungsmaßnahme des Managements als Reaktion auf die unerwünschten Umfrageergebnisse.

Die EZB streitet das ab. Um sicherzustellen, dass die Personalvertreter eng mit der eigentlichen Arbeit der Notenbank verbunden bleiben, sollen sie nicht nur für dieses Gremium arbeiten. Die Notenbank betont zudem, dass die Pläne nicht vorsehen, den Gesamtumfang der für die Personalvertretung aufgewendeten Zeit zu reduzieren.

EZB-Personalratschef Carlos Bowles erhebt im Gespräch mit der Börsen-Zeitung schwere Vorwürfe gegen das Führungspersonal der Notenbank. In einem Klima der Angst würden Mitarbeiter krank und unter Druck auch Studien zurückziehen oder gar Ergebnisse ändern. Die EZB dementiert vehement.