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Experiment im Neuland

Die staatliche Lenkung der Klimawende über die Fiskalpolitik lässt noch viele Fragen offen

Experiment im Neuland

Von Angela Wefers, Berlin Kurz vor Jahresschluss hat die große Koalition beim Klimapaket an der Preisschraube gedreht. Die Zertifikate für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) werden deutlich mehr kosten, als es in der Nachtsitzung im September von CDU, CSU und SPD ausgehandelt worden war. Anstelle von 10 auf 35 Euro wird der Preis für den CO2-Ausstoß je Tonne zwischen 2021 und 2025 nun von 25 Euro schrittweise auf 55 Euro zulegen. Dies ist nicht das Ergebnis gereifter Überlegung, wie hoch der Preis für den Ausstoß klimaschädlicher Gase sein muss, um das Pariser Klimaziel zu erreichen. Es war der Deal für die Zustimmung der Länder zum Klimapaket im Bundesrat noch vor Jahresende. Die Länder luchsten – ganz nebenbei – dem Bund dabei noch mehr Geld ab. Hilflosigkeit regiertZugleich geschah etwas sehr Seltenes: Ein frisch beschlossenes Gesetz wird bereits im Frühjahr 2020 erneut novelliert, noch bevor die Neuregelung greift. Diese gesetzgeberische Pirouette offenbart die Hilflosigkeit in Klimafragen. Erfahrungswerte für den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung grün fehlen. Symptomatisch an der aktuellen Klimapolitik ist, dass die Bundesregierung an diversen fiskalpolitischen Schrauben dreht, ohne das Zusammenspiel einschätzen zu können. Einfach in der Theorie Auf dem Papier liest sich der Beitrag der Fiskalpolitik zur Klimawende einfach. Die Regierungen müssen den Preis für CO2-Emissionen erhöhen – etwa durch eine Klimasteuer -, um Bürgern und Wirtschaft Anreize zu geben, weniger Energie zu verbrauchen und umweltfreundliche Energiequellen stärker zu nutzen, schrieben im Herbst die Experten des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Fiscal Monitor. Damit die Klimawende politisch gelingt und wirtschaftlich effizient ist, müssen diese Einnahmen klug verwendet werden: für Steuersenkungen, einkommensschwache Haushalte, mehr umweltfreundliche Investitionen oder einfach als rückgezahlte Klimadividende. Zudem kann die Kürzung staatlicher Subventionen in fossile Energieträger die umweltschädliche Wirtschaft wandeln. Dies gilt auch für indirekte Hilfen wie Steuervergünstigungen. Deutschland liegt nach dem Ausstieg aus der Kohleförderung international auf einem guten Platz. Nachholbedarf haben Länder wie Indonesien, Südafrika oder Großbritannien (siehe Grafik).Die konkrete Umsetzung der fiskalpolitischen Klimawende ist aber alles andere als einfach. Die Kunst besteht darin, einen Preis für den CO2-Ausstoß zu finden, der die Treibhausgasemission wirksam reduziert. Im europäischen Emissionszertifikatehandel liegt der Preis bei rund 25 Euro, bezieht aber nur Branchen wie die Industrie und die Energiewirtschaft ein, nicht aber Emissionen aus Verkehr, Heizen oder Landwirtschaft. Klimaexperten veranschlagen ihn bei mindestens 50 Euro je Tonne CO2. Weltweit haben dem IWF zufolge rund 50 Länder unterschiedliche Preisregime für fossile Energien. Der Durchschnittspreis liegt bei 2 Dollar – definitiv zu wenig, um die Erderwärmung zu stoppen.Hierzulande tobte nicht nur ein politischer Streit über die Höhe des CO2-Preises, sondern auch über die Frage, ob eine Steuer oder Zertifikatehandel besser wären. Der Sachverständigenrat für Wirtschaft entschärfte im Herbst die Grundsatzdebatte mit dem Bekenntnis, dass der Weg zum Zertifikatehandel auch über fixe Preise führen kann. Der “richtige” Preis müsse noch gefunden werden, und er sei dann passend, wenn die Emissionen im gewünschten Maß reduziert würden. Beim Börsenhandel reicht es aus, die Menge der handelbaren Zertifikate staatlich zu regulieren. Der Preis bildet sich am Markt. Politisch ist dies leichter durchsetzbar als ein ständiges Nachjustieren einer Klimasteuer. Mit den Fixpreisen bis 2025, die 2026 in den Zertifikatehandel münden, tastet sich das Klimapaket an die Preisfindung heran, mit dem Ziel, diese mittelfristig dem Markt zu überlassen. Gigantische Mehreinnahmen Unübersichtlich ist die Lage bei der Kompensation der Belastung. In den fünf Jahren von 2021 bis 2025 wird der Bund aus dem CO2-Preis nun summiert knapp 62 Mrd. Euro einnehmen. Die Einnahmen von 9 Mrd. Euro im ersten Jahr entsprechen dabei in etwa dem Betrag, um den der Solidaritätszuschlag von 2021 an jährlich gesenkt wird. Bis 2025 steigt das Jahresaufkommen aus der Klimaabgabe auf 16,7 Mrd. Euro. Fossile Energien werden teurer, Autofahren und Heizen kostspieliger. Eine höhere Luftverkehrsteuer und steuerermäßigte Bahntickets sollen die Menschen zum Umstieg vom Fliegen auf die Schiene bewegen.Von der angekündigten Entlastung merken Bürger und Wirtschaft indes wenig. Die Generalrevision der umweltbezogenen Steuern von fast 60 Mrd. Euro im Jahr (siehe Grafik), die die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer angekündigt hatte, verschwand wieder in der Versenkung. Die Erhöhung der Pendlerpauschale entlastet nur mit rund 550 Mill. Euro im Jahr. Die Strompreissenkung über eine gekürzte Umlage für erneuerbare Energien (EEG) kompensiert die Einnahmen aus dem CO2-Preis nur unvollständig. Viel davon behält die Regierung ein, um zu investieren, wo sie es für richtig hält: in Elektromobilität, den Ausbau von Schiene oder Radwegen. Andere Ideen wie alternative Antriebsformen bleiben auf der Strecke.In der Wirtschaft führt das Umsteuern zu Verzerrungen im Wettbewerb. Belastungen muss vor allem das Transportgewerbe über die Mineralölpreiserhöhung schultern. Die Entlastung von der EEG-Umlage kommt indessen nur bei Unternehmen mit stromintensiver Produktion an, soweit diese nicht ohnehin schon verschont sind. Unter dem Strich bleibt, dass die öffentlichen Haushalte mehr einnehmen werden. Fließen die Gelder für Investitionen nicht ab, beschert die Klimawende bei den Überschüssen noch goldenere Zeiten.