Wirtschaftswachstum

Großbritannien vermeidet Rezession

Trotz wütender Streiks im öffentlichen Gesundheitswesen ist die britische Wirtschaft im zweiten Quartal um 0,2% gewachsen. Volkswirte hatten im Schnitt lediglich mit Stagnation gerechnet. Damit wird wahrscheinlicher, dass das Land in diesem Jahr eine Rezession vermeiden kann.

Großbritannien vermeidet Rezession

Großbritannien vermeidet Rezession

Starker Juni trotz wütender Streiks im öffentlichen Gesundheitswesen – Investitionen steigen unerwartet kräftig

hip London

Die britische Wirtschaft ist im zweiten Quartal stärker gewachsen als allgemein erwartet. Dafür sorgte ein starker Juni, in dem das produzierende Gewerbe und die Bauwirtschaft glänzten. Das glich die Streiks im öffentlichen Gesundheitswesen NHS aus, die auf den Output der Dienstleistungsbranche drückten.

Die britische Wirtschaft hat sich im zweiten Quartal unerwartet gut geschlagen. Wie das Statistikamt ONS mitteilt, liegt seine Erstschätzung für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei 0,2%. Volkswirte hatten im Schnitt lediglich mit Stagnation gerechnet. Im ersten Quartal legte das BIP gerade einmal um 0,1% zu. Anders als Deutschland hat es das Land bislang vermieden, in eine Rezession abzugleiten. Das renommierte Nationale Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung (NIESR) geht davon aus, dass das im laufenden und im kommenden Jahr auch so bleiben wird. Dazu gehen unter Volkswirten allerdings die Meinungen auseinander. Viele rechnen weiterhin mit einem Abschwung, wenn die bislang 14 Leitzinserhöhungen der Bank of England in vollem Umfang ihre Wirkung zeigen.

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Reflexartige Verkäufe

Reflexartige Verkäufe setzten am Devisenmarkt das Pfund unter Druck. Schließlich könnte sich die Notenbank angesichts der robusten Wirtschaftsentwicklung genötigt sehen, den Leitzins noch weiter in die Höhe zu schrauben, kommentierten Händler die Kursentwicklung. Das BIP liegt immer noch um 0,2% unter dem vor der Pandemie erreichten Niveau. Nachdem der zusätzliche Feiertag für die Feierlichkeiten zur Krönung von Charles III im Mai zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,1% geführt hatte, stieg sie im Juni um 0,5%. Dazu trug vor allem das verarbeitende Gewerbe (+1,8%) – darunter insbesondere die Autohersteller und die pharmazeutische Industrie – bei. Auch die Bauwirtschaft (+1,6%) zeigte gutes Wachstum, was vor dem Hintergrund der bis dahin steigenden Hypothekenzinsen überraschen mag. Allerdings waren dafür Renovierungen und Reparaturen ausschlaggebend. Die in Großbritannien dominante Dienstleistungsbranche trug wegen wütender Streiks im öffentlichen Gesundheitswesen NHS nur wenig zum Wachstum bei (+0,5%). Das Gaststättengewerbe profitierte vom warmen Wetter.

Die Unternehmensinvestitionen sind im zweiten Quartal unerwartet stark gestiegen. Allgemein sei davon ausgegangen worden, dass Firmen Investitionen ins Auftaktquartal vorziehen würden, weil sie bis zu dessen Ende noch in höherem Maße von der Steuer abgesetzt werden konnten, erklärte James Richard Sproule, Chefvolkswirt für Großbritannien bei Handelsbanken. Weil die seitdem gültige Regelung weniger großzügig ist, sei eine weniger große Investitionsbereitschaft unterstellt worden. Am Ende stiegen die Unternehmensinvestitionen um 3,4%. Volkswirte hatten lediglich ein Plus von 0,8% angesetzt. Dafür gingen die staatlichen Investitionen um 6,7% zurück. Die öffentliche Hand gab allerdings deutlich mehr für das Gesundheitswesen, wo die ersten Lohnabschlüsse griffen, die Verwaltung und Verteidigung aus.

Der private Konsum entwickelte sich mit +0,6% unerwartet stark – aus Sicht des Barclays-Volkswirts Abbas Khan die größte Überraschung. Es habe den Anschein, als hätte die bisherige geldpolitische Straffung keinen großen Einfluss auf den Konsum gehabt, kommentierte er.

Für den Finanzstaatssekretär John Glen haben die Streiks im öffentlichen Dienst viel dazu beigetragen, in den vergangenen Monaten das Wachstum zu dämpfen. Der öffentliche Sektor steuere immerhin ein Fünftel zum BIP bei, sagte er dem Sender Sky News. „Wir hatten im Juni ziemlich viele Streiks“, sagte Glen. „Operationen wurden abgesagt. Das hat große Auswirkungen.“ Derzeit warten fast 7,6 Millionen Menschen auf Behandlung durch den NHS. Dass Menschen krankheitsbedingt nicht arbeiten können, während sie auf eine Routineoperation oder Therapie warten, trägt zum Arbeitskräftemangel in Großbritannien bei. Die Wartelisten schwollen während der Pandemie rasant an, als der NHS seine Tätigkeit bis auf die Behandlung von Corona-Patienten und Notfälle weitgehend einstellte. Danach sorgten erbitterte Arbeitskämpfe dafür, dass sie noch länger wurden. Zudem zogen es viele Mediziner vor, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen, um steuerliche Nachteile zu vermeiden.

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