Große Erleichterung über Wahl Mattarellas
bl Mailand
Finanzmärkte und Wirtschaft in Italien haben positiv auf die Wiederwahl Sergio Mattarellas zum Staatspräsidenten und den Verbleib Mario Draghis im Amt des Premierministers reagiert. Der Zinsabstand (Spread) zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen ging von zeitweise fast 150 Basispunkten in der vergangenen Woche am Montag auf bis zu 126 Punkte zurück. Auch der Aktienmarkt in Mailand reagiert positiv und legte um 1,09% zu. Dazu beigetragen haben mögen die Zahlen des Statistikamts Istat: Italiens Wirtschaft ist im vierten Quartal um 0,6% und im Gesamtjahr um 6,5% gewachsen.
Zufrieden zeigte sich Carlo Bonomi, Chef des Industrieverbands Confindustria. Eine Krise sei vermieden worden. Mattarella sei ein Garant für die nationale Glaubwürdigkeit des Landes. Bonomi findet, dass die Zeit gekommen ist, Maßnahmen gegen die Abschwächung des Wachstums zu ergreifen. Nach Berechnungen von Confindustria drückt der Energiepreisanstieg das Bruttoinlandsprodukt 2022 um 0,8 Prozentpunkte.
Mattarella hatte eigentlich nicht für eine zweite Amtszeit zur Verfügung gestanden. Doch die völlig zerstrittenen italienischen Parteien konnten sich in sieben Wahlgängen nicht auf einen Kandidaten einigen. Es war Premierminister Draghi, der selbst lange als Favorit für die Präsidentenwahl gegolten hatte, der Mattarella zu einem weiteren Mandat überredete. Andernfalls hätte eine politische Krise gedroht. Die Märkte waren zunehmend nervös.
Die Wirtschaft und die europäischen Partner hoffen nun, dass Draghi seinen Reformprozess fortsetzt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Italien neue Mittel aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm erhält. Damit das Land im ersten Halbjahr 2022 weitere 24 Mrd. Euro aus Brüssel in Form von Krediten und Zuschüssen erhalten kann, muss Rom bis Juni eine lange Liste von Reformen, insgesamt 45, umsetzen. Doch Draghi hatte schon 2021 eine Reihe von Vorhaben – Rentenreform, Reform des Wettbewerbsrechts, der Kataster etc. – nicht oder nur in abgeschwächter Form umsetzen können.
Patrick Krizan, Ökonom bei Allianz, sieht in der Wahl Mattarellas das „kurzfristig beste Szenario“. Mit dem Näherrücken der Parlamentswahlen im Frühjahr 2023 trübe sich das Bild jedoch ein, weil sich das Land bald im Vorwahlkampf befinde. Roberto D’Alimonte, Professor an der römischen Universität Luiss, teilt diese Einschätzung. Er glaubt, dass spätestens vom Sommer an Reformen nicht mehr möglich sind.
Die rechtsnationale Lega fordert einen Nachtragshaushalt von 30 Mrd. Euro zur Abfederung der steigenden Energiepreise. Von den Sozialdemokraten kommen ähnliche Forderungen. Wirtschaftsminister Daniele Franco hat bereits neue Maßnahmen angekündigt. Dabei hat Rom seit Ende 2021 bereits 10 Mrd. Euro für Privathaushalte und Unternehmen bereitgestellt. Beobachter haben große Zweifel, dass es Italien gelingen wird, die Verschuldung von 153% der Wirtschaftsleistung zurückzuführen. Draghi, der als Ex-EZB-Präsident beste Kontakte nach Frankfurt, aber auch nach Brüssel hat, ist auf das Wohlwollen und Nachsicht der EU angewiesen.
Dennis Shen von der Ratingagentur Scope fürchtet, dass nach den Parlamentswahlen 2023 rechtsnationale und europakritische Kräfte die Regierung stellen könnten. Draghi, der kein Wahlmandat hat und keiner Partei angehört, dürfte danach kaum Regierungschef bleiben können. In Italien wird damit gerechnet, dass der 80-jährige Mattarella spätestens Mitte 2023 von seinem Amt zurücktritt. Theoretisch könnte ihm dann Draghi nachfolgen, doch der politische Streit über die Wahl des Präsidenten hat auch Draghi geschwächt, dem die politische Unterstützung für eine Wahl fehlte. Für Giulia Branz, Analystin bei Scope, hat die Wahl gezeigt, wie schwierig es ist, einen Konsens zu finden. Auch sie erwartet Komplikationen bei der Regierungsbildung nach den Wahlen.