Hauptstadtflucht setzt ein

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 20.8.2020 Der britische Wohnimmobilienmarkt hat zu einem neuen Höhenflug angesetzt. Im Juli stieg das Transaktionsvolumen im Vergleich zum Vorjahresmonat um zwei Fünftel (38 %). Dem Immobilienportal...

Hauptstadtflucht setzt ein

Von Andreas Hippin, LondonDer britische Wohnimmobilienmarkt hat zu einem neuen Höhenflug angesetzt. Im Juli stieg das Transaktionsvolumen im Vergleich zum Vorjahresmonat um zwei Fünftel (38 %). Dem Immobilienportal Rightmove zufolge belief es sich auf 37 Mrd. Pfund und liegt damit um ein Fünftel über dem bisherigen Hoch. Der Schwung ließ im August nicht nach. Seit Lockerung der Ausgangsbeschränkungen bricht sich die aufgestaute Nachfrage Bahn. Allerorten sieht man nun wieder die Schilder der Immobilienmakler in den Vorgärten. Allerdings ist der durchschnittliche Kaufpreis für ein Eigenheim seit Juli bereits wieder etwas zurückgegangen. Das betrifft insbesondere London (- 2 %). In den Urlaubsregionen Devon und Cornwall stiegen die Preise dagegen auf Rekordniveau.Stadtflucht droht. Es mag noch zu früh sein, um von einem Trend zu sprechen, doch wird vielen gut situierten Bewohnern der britischen Metropole klar geworden sein, dass sie ihr Leben dank Microsoft Teams, Zoom und vielen anderen digitalen Werkzeugen auch an einem schöneren Ort verbringen können, einem Ort etwa, wo man nach einem morgendlichen Surfausflug oder einem Waldspaziergang an die Arbeit geht. Immer mehr Firmen ermöglichen ihren Mitarbeitern die Tätigkeit aus dem Homeoffice. Universitäten stellen auf Online-Unterricht um. Warum also die räumliche Enge, die Luftverschmutzung und die zunehmende Kriminalität der Hauptstadt weiter in Kauf nehmen? Wer in London wohnt, hat in der “neuen Normalität”, die sich aus der Pandemie ergibt, mehr Nach- als Vorteile. Die hohen Lebenshaltungskosten werden nicht mehr durch ein atemberaubendes Bildungs-, Job-, Kultur- und Vergnügungsangebot ausgeglichen. Theater bleiben ebenso auf der Strecke wie Pubs und Hochschulen.Man darf davon ausgehen, dass viele gut bezahlte und hoch qualifizierte Angestellte und Selbständige London den Rücken kehren werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich ausreichend Käufer für ihre aufgemotzten Reihenhäuser finden. Die oft zitierten Investoren aus Fernost und aus den Golfstaaten interessieren sich nicht für solche Objekte, die nur wenig Gemeinsamkeiten aufweisen. Sie ziehen gleichförmige Luxusapartments vor. Für Verkaufswillige drängt die Zeit. Denn wenn die Lohnsubventionierungsmaßnahmen der Regierung und die von den Banken gewährten Zahlungsferien für Hypothekenschuldner auslaufen, wird das Strohfeuer am britischen Immobilienmarkt erlöschen. Wer dann noch da ist, wird erst mal in London bleiben müssen.Schlimmer noch: Wer sein Eigenheim auf Kante finanziert hat, könnte schnell unter Wasser geraten, wenn die Preise ins Rutschen kommen. Es wäre dann für Kaufinteressenten zwar billiger zu haben, doch sinken in so einem Fall meist auch die Einkommen, und Kredite sind auch nicht mehr so einfach zu haben. Aus Sicht der Resolution Foundation fiele es Erstkäufern im Falle eines Preiseinbruchs auch nicht leichter, zu Wohneigentum zu kommen. Sie wären weiterhin auf staatliche und elterliche Unterstützung angewiesen.——Der britische Wohnimmobilienmarkt boomt, doch in London sinken die Preise.——