Hongkongs Investitionsklima leidet

Proteste gehen weiter - Teuerster Immobilienmarkt der Welt droht zu kippen

Hongkongs Investitionsklima leidet

Von Ernst Herb, Hongkong Am Sonntag demonstrierten in Hongkong weit über eine halbe Million Menschen gegen ein geplantes Auslieferungsgesetz. Das war der größte Massenprotest, den die wirtschaftlich autonome chinesische Sonderverwaltungsregion je gesehen hat. Der Streit droht zu eskalieren, sollte die Regierung von Carrie Lam die kontroverse Gesetzesvorlage nicht zurückziehen. Das Gesetz wird am heutigen Mittwoch wahrscheinlich wie geplant vom – mehrheitlich nicht frei gewählten – Parlament durchgewinkt.Gleichzeitig sind für die kommenden Tage auch weitere Protestaktionen angesagt worden. Doch haben die Märkte die erhöhten innenpolitischen Spannungen bisher mit einem Schulterzucken weggesteckt. Auch der Immobilienmarkt, der Anfang Juni ein Allzeithoch erreicht hat, neigt weiter zur Stärke. Gemäß dem Brokerhaus Centaline sind die Preise für Wohnimmobilien infolge einer sich abzeichnenden geldpolitischen Lockerung in den USA seit Jahresbeginn um über 8 % angestiegen.Die von den Märkten an den Tag gelegte Gelassenheit ist umso bemerkenswert, als auch in- und ausländische Wirtschaftsverbände Bedenken gegen die Gesetzesvorlage vorgebracht haben. Denn in ihren Augen wird die neue Auslieferungsregelung das bisherige Erfolgsrezept des internationalen Finanzplatzes untergraben. Unter der Formel “ein Land, zwei Systeme” verfügt Hongkong nicht nur über wirtschaftliche Autonomie und mit dem HK-Dollar auch eine eigene Währung. Vor allem gelten in Hongkong bürgerliche Rechte wie Pressefreiheit und eine unabhängige Justiz.Bisher besteht zwischen Hongkong und dem Festland kein Auslieferungsabkommen. Daher können Einwohner wie auch Besucher Hongkongs vor Ort nicht für in anderen Teilen Chinas begangene Gesetzesverstöße haftbar gemacht und damit auch nicht an die Behörden auf der anderen Seite der innerstaatlichen Grenze überstellt werden. Damit können sich – wie die Regierung hervorhebt – Verbrecher in der Sonderverwaltungsregion der Strafverfolgung entziehen.Die Proteste zeigen, dass große Teile der Bevölkerung der eigenen Regierung wie auch Peking nicht vertrauen. Dieses Misstrauen droht einen dunklen Schatten auf das Investitionsklima zu werfen, das bereits unter dem sich mittlerweile über ein Jahr hinziehenden US-chinesischen Handelsstreit leidet.Das zeigt sich etwa am stark rückgängigen Konsum der Privathaushalte. Nach Angaben des Hongkonger statistischen Amts lag der Umsatz des Einzelhandels im April 4,5 % unter dem Vorjahresstand. Auch Hongkongs Exporte neigen zur Schwäche. Anfang der Woche korrigierte die Hongkonger Handelsförderagentur Trade Development Council ihre Prognose für das diesjährige Exportwachstum von zuvor 5 % auf 2 % nach unten. All diese Faktoren trugen bereits im ersten Quartal 2019 zu einem stark verlangsamten Wirtschaftswachstum bei. Das Bruttoinlandsprodukt expandierte mit 0,6 % gegenüber dem Vorjahr am langsamsten seit 2009.Vieles weist darauf hin, dass auch der Immobilienmarkt vor einer empfindlichen Korrektur stehen könnte. Das schon deshalb, weil Wohnen nirgendwo in der Welt so viel kostet wie in Hongkong. Die großen Preistreiber waren in den vergangenen Jahren neben einer Flut billigen Geldes vor allem auch Käufer aus Festlandchina. Doch hat Peking schon seit einiger Zeit die Kapitalausfuhrkontrollen verschärft, womit diese Käuferschicht rarer geworden ist. Sollte sich das politische Klima weiter verschlechtern, könnten auch die eigenen Bürger bei Investitionen in Hongkonger Immobilien verlieren.