LEITARTIKEL

Kampf dem Protektionismus

Die Handelsminister der EU haben auf ihrem jüngsten Treffen erwartungsgemäß noch keine formalen Beschlüsse gefasst. Das Ergebnis der Unterredungen in Bratislava ist aber ermutigend: Es gibt wieder die berechtigte Hoffnung, dass die EU-Staaten das...

Kampf dem Protektionismus

Die Handelsminister der EU haben auf ihrem jüngsten Treffen erwartungsgemäß noch keine formalen Beschlüsse gefasst. Das Ergebnis der Unterredungen in Bratislava ist aber ermutigend: Es gibt wieder die berechtigte Hoffnung, dass die EU-Staaten das geplante “Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen” (Ceta) mit Kanada einvernehmlich billigen werden. Ein rechtsverbindliches Zusatzprotokoll zu dem ohnehin schon mehr als 1 600 Seiten starken Vertrag soll in den nächsten zwei Wochen erarbeitet werden, die letzten Zweifler besänftigen und an einigen Stellen noch für mehr Klarheit sorgen. Nach Unterzeichnung auf dem EU-Kanada-Gipfel in einem Monat und der anschließenden Ratifizierung durch das Europaparlament könnte Ceta im ersten Quartal 2017 in großen Teilen vorläufig in Kraft treten.Die EU verhandelt Ceta bereits seit 2009. Dass sich nun tatsächlich eine Umsetzung abzeichnet, liegt vor allem an der seit dem vergangenen November amtierenden neuen kanadischen Regierung um Premier Justin Trudeau, die das Abkommen mit Europa unbedingt wollte und bereit war, deutliche Zugeständnisse zu machen. Deshalb stehen zum Beispiel nicht mehr die umstrittenen privaten Schiedsgerichte im Vertrag, sondern ein neuer öffentlicher Gerichtshof zum Schutz von Investoren. In der Brüsseler EU-Kommission, die all ihre wesentlichen Forderungen durchsetzen konnte, wird heute nicht ohne Grund vom besten Handelsabkommen gesprochen, das die EU jemals verhandelt habe. Es wäre ein verheerendes politisches Signal, wenn es nicht einmal gelänge, ein solches Abkommen durchzusetzen. Mit wem sollte die Europäische Union denn dann noch in Zukunft über ein Handelsabkommen verhandeln können? Der Gestaltungsspielraum in der europäischen Handelspolitik – einem Kernbereich der EU-Politik – wäre auf nahe null gesunken.Es wäre ein wichtiges Zeichen, wenn die europäische Politik den Mut aufbringen würde, sich gegen den mit sehr effektiven Kampagnen geschürten Druck der Straße zu stellen. Es wäre ein Zeichen gegen die protektionistischen und nationalistischen Tendenzen, die in einzelnen EU-Staaten, aber auch international immer stärker um sich greifen. Dass diese nach der anstehenden US-Präsidentschaftswahl – in welchem Ausmaß auch immer – selbst im Weißen Haus in Washington Einzug halten, ist ja längst kein Geheimnis mehr.Bei den jüngsten Großdemonstrationen gegen TTIP und Ceta in Deutschland hat sich gezeigt, dass die Gegner aus breiten Schichten der Gesellschaft kommen und aus höchst unterschiedlichen Gründen auf die Straße gehen. Die grundsätzliche Ablehnung von Freihandel gehört ebenso dazu wie ein diffuses Misstrauen gegen die EU-Institutionen und die Angst vor dem Abbau von europäischen Standards in allen Lebensbereichen. Diese Sorgen gilt es ernst zu nehmen, und es gilt, mit Argumenten gegen den immer wieder aufkeimenden Verdacht vorzugehen, über den Freihandel würden demokratische, soziale und ökologische Errungenschaften den multinationalen Konzernen zum Fraß vorgeworfen.Lange Zeit wurden solche Sorgen in Brüssel, aber auch in den EU-Mitgliedstaaten abgebügelt oder zumindest ignoriert. Dies hat mit dazu beigetragen, dass Ceta- und TTIP-Gegner vor allem in Deutschland und Österreich und mit Abstand auch in Ländern wie Frankreich und Italien so viel Zulauf hatten. Neues Vertrauen und neue Glaubwürdigkeit erreicht man jetzt aber nicht, wenn die auf der Hand liegenden Vorteile des Freihandels – angefangen vom schnellen Zollabbau über die Marktöffnung für Unternehmen bis hin zu Wachstumseffekten – nicht mehr öffentlich vertreten werden. In 42 nationalen und regionalen europäischen Parlamenten braucht Ceta ab dem nächsten Jahr noch eine Mehrheit. Hier ergibt sich eine gute Gelegenheit für die Politik, an einem konkreten Beispiel noch einmal den Wert eines gemeinsamen Europa deutlich zu machen.Mit anderen Handelsabkommen, die die EU zurzeit verhandelt, allen voran TTIP mit den USA und Tisa (“Trade in Services Agreement”) mit den USA, Japan, Südkorea, der Türkei und anderen, ist diese Situation nicht vergleichbar. Im Gegensatz zu Kanada sind die USA bislang nicht bereit, in irgendeiner Art und Weise auf europäische Positionen zuzugehen. Vielleicht wäre ein Abbruch der TTIP-Gespräche jetzt nicht der schlechteste Weg. Für ein neues Verhandlungsmandat könnte dann irgendwann das Ceta-Abkommen als Vorlage dienen. Auch dafür wäre es gut, wenn es hierfür bald grünes Licht gäbe.——–Von Andreas HeitkerDer Druck der Straße gegen Ceta ist groß. Sollte das Abkommen scheitern, hätte die EU künftig keinen Gestaltungsspielraum mehr in der Handelspolitik.——-