Moody's lässt Frankreich mit blauem Auge davonkommen
Moody's lässt Frankreich mit blauem Auge davonkommen
Moody's lässt Frankreich mit blauem Auge davonkommen
wü Paris
von Gesche Wüpper, Paris
Frankreich gerät jedoch immer stärker unter Druck: Moody's hat die Aussichten für die Kreditwürdigkeit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone von „stabil“ auf „negativ“ gesenkt, die Gesamtnote im Gegensatz zu den zwei anderen großen Ratingagenturen aber noch nicht weiter herabgestuft. So beließ Moody's die Bonitätsnote erstmal bei „AA3“. Das Urteil der Ratingagentur ist dennoch ein deutlicher Warnschuss für das Land.
Frankreich könnte seine letzte gute Note bei einer der drei großen Agenturen schnell verlieren, sollte es Defizit und Verschuldung nicht bald in den Griff bekommen und seine politische Lähmung überwinden. Ansonsten steigt das Risiko, dass sich Kreditkosten und Schuldenlast weiter erhöhen, so dass sich die Finanzierungsbedingungen für die gesamte Wirtschaft verschlechtern. „Wenn der Darlehenszins des Staates steigt, steigen die Kreditzinsen für Immobilien, Verbraucherkredite und für Unternehmen ebenfalls“, warnte Wirtschafts- und Finanzminister Roland Lescure Freitag in der Assemblée Nationale. „Das trifft alle Mitbürger.“ Da viele Beobachter jetzt eigentlich eine Abstufung durch Moody's erwartet hatten, dürften die Kreditkosten jedoch zumindest kurzfristig nicht plötzlich stark steigen.
Zersplitterung gefährdet Handlungsfähigkeit
Die Entscheidung, die Aussicht auf negativ zu senken, spiegele das gestiegene Risiko wieder, dass die Zersplitterung der politischen Landschaft das Funktionieren der legislativen Institutionen Frankreichs weiter gefährden werde, begründet Moody's seine Entscheidung. Die politische Instabilität gefährde die Handlungsfähigkeit der Regierung, zentrale Herausforderungen wie das hohe Haushaltsdefizit, die steigende Schuldenlast und die dauerhafter Erhöhung der Kreditkosten anzugehen. Das könnte zu einer schnelleren Schwächung der finanzpolitischen Schlüsselkennzahlen Frankreichs führen als bisher erwartet, warnt die Ratingagentur. Auch eine anhaltende Pause oder Aufhebung von strukturellen Reformen, vor allem der Rentenreform, könnte zu einer Abstufung führen.
Die Entscheidung von Moody's zeige, dass es absolut notwendig sei, einen Haushaltskompromiss zu finden, erklärte Wirtschaftsminister Lescure. Mit einem Defizit von zuletzt 5,8% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist Frankreich das Schlusslicht der Eurozone. Die Regierung will es in diesem Jahr auf 5,4% senken, 2026 dann auf unter 5%, möglichst 4,7%. Dass das gelingen wird, ist jedoch alles andere als sicher, wie ein Blick auf die gerade begonnene Haushaltsdebatte zeigt. Gleichzeitig steigt die Verschuldung immer weiter. Ende des zweiten Quartals betrug sie 115,6% des BIP — der dritthöchste Wert der Eurozone nach Griechenland und Italien. Nächstes Jahr könnte sie auf 118% steigen, fürchtet Rechnungshofchef Pierre Moscovici.
Märkte haben antizipiert
Die Entscheidungen der Ratingagenturen werden von den Märkten bisher eher ohne große Reaktionen hingenommen. Der Risikoaufschlag, den Frankreich zahlen muss, hat sich sogar wieder ein wenig verringert, seit Lecornu eine Regierung gebildet hat. Die Märkte würden französische Staatsanleihen schon jetzt gemäß einer Benotung von „A“ oder „A-“ behandeln, meint Ökonom Paul Chollet von Crédit Mutuel Arkéa. Etliche Fondsmanager hatten bereits nach den vorgezogenen Parlamentswahlen im letzten Jahr begonnen, französische Staatsanleihen zu reduzieren. Einige große wie State Street und BlackRock hätten zudem ihre Kriterien inzwischen so geändert, dass sie bei einer weiteren Abstufung/ dem Verlust der „AA“-Note nicht gezwungen sind, zu verkaufen, berichtet „Bloomberg“.
Die durch die überraschenden vorgezogenen Parlamentswahlen ausgelöste politische Instabilität ist neben Defizit und Verschuldung das größte Handicap Frankeichs. Seit dem Sturz von François Bayrous als Premierminister und dem anschließenden Chaos Anfang Oktober hat sie sich noch weiter verstärkt. Nachdem die Regierung von Sébastien Lecornu Mitte des Monates zwei Misstrauensanträge überstanden hat, steht sie erneut unter Druck. Denn die Sozialisten fordern jetzt die Einführung einer Reichensteuer sowie eine höhere Besteuerung großer Technologieunternehmen und großer Erbschaften. Ansonsten zögen sie ihre Duldung der Mitte-Rechts-Regierung zurück, drohte Sozialistenchef Olivier Faure Freitag in einem Interview mit „BFMTV“. Lecornu hat gegenüber den Sozialisten bereits Zugeständnisse gemacht und die Aussetzung der Rentenreform bis zu den Präsidentschaftswahlen 2027 vorgeschlagen.
Franzosen legen Rekordsummen an
Die politische Krise gefährdet nicht nur die dringend notwendige Haushaltskonsolidierung, sondern lastet auch auf der Stimmung von Verbrauchern und Unternehmen. Statt zu konsumieren legen französische Haushalte ihr Geld lieber auf die hohe Kante, so dass ihre Sparquote mit 18,9% abgesehen von der Covid-Pandemie den höchsten Wert der letzten 40 Jahre erreichte. Unternehmen wiederum zögern zu investieren oder neue Mitarbeiter einzustellen. Die neue Regierung von Premierminister Sébastien Lecornu erwartet deshalb in diesem Jahr nur ein Wachstum von 0,7%, nächstes Jahr dann 1%.
Moody's bescheinigt Frankreich dennoch eine starke, diversifizierte Wirtschaft, die von einer im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften günstigeren Demographie profitiere. Dank des robusten Bankensektors sowie der soliden Finanzen von Unternehmen und Haushalten, sei sie in der Lage, Erschütterungen abzufedern, meint die Ratingagentur. In den ersten neuen Monaten haben die Haushalte laut „Le Monde“ 36 Mrd. Euro in Sparprodukten wie Lebensversicherungen und Rentensparplänen angelegt. Da diese vorsichtig investieren, profitieren auch französische Schuldtitel davon.
