Neuer Favorit für Draghi-Nachfolge
Von Mark Schrörs, FrankfurtEZB-Präsident Mario Draghi ist noch bis Ende Oktober im Amt – also noch gut ein halbes Jahr. Aber die Debatte über seine Nachfolge nimmt längst kräftig Fahrt auf. Die EU-Staats- und -Regierungschefs wollen dem Vernehmen nach bereits heute bei ihrem Gipfel im rumänischen Sibiu informell über den Prozess zur Auswahl des neuen EZB-Präsidenten, des neuen EU-Kommissionschefs und des EU-Ratspräsidenten sprechen. Denn in diesem Jahr sind alle drei Top-EU-Jobs zu besetzen – eine Konstellation, wie es sie nur alle 40 Jahre gibt. Wer wird Kommissionschef?Bereits vergangene Woche hatte es Medienberichte gegeben, EU-Ratspräsident Donald Tusk bereite einen Sondergipfel für den 28. Mai vor – also nur zwei Tage nach der Europawahl vom 23. bis 26. Mai. Bereits dann könnten die EU-Staats- und Regierungschefs ihre Positionen zur Neubesetzung der Top-Jobs abstimmen. Die große Frage ist nicht zuletzt, ob der aus der Wahl als Sieger hervorgehende Spitzenkandidat in jedem Fall auch wieder neuer EU-Kommissionspräsident wird. Eine andere Frage ist, ob über alle drei Jobs gleichzeitig entschieden wird.Wenn es nach Volkswirten und EZB-Beobachtern geht, gibt es zumindest für die Nachfolge des Italieners Draghi nun einen neuen Favoriten. In einer Umfrage der Nachrichtenagentur Bloomberg schaffte es jetzt Frankreichs Zentralbankpräsident François Villeroy de Galhau auf Platz 1. Bei der bislang letzten Umfrage im Februar hatten die Experten noch mehrheitlich auf den ehemaligen finnischen Zentralbankchef Erkki Liikanen gesetzt. Bundesbankpräsident Jens Weidmann landete nun wie bereits im Februar auf Platz 5 (siehe Grafik).Tatsächlich sind aber bis zur Europawahl alle Spekulationen eben genau das – Spekulationen. Denn bei EU-Topjobs geht es immer auch um den richtigen Proporz zwischen den Mitgliedsländern. Auch eine regionale sowie parteipolitische Ausgewogenheit und Genderfragen spielen beim Ausbalancieren der Macht zumindest theoretisch eine Rolle. Deswegen hängt erst einmal alles vom Ausgang der Europawahl ab – und der ist äußerst ungewiss.Was die Draghi-Nachfolge betrifft, hatte Bundesbankchef Weidmann lange als Top-Kandidat gegolten. Deutschland war als einziges der drei größten Euro-Länder noch nicht am Zug. Zudem können im EZB-Rat nur wenige mit Weidmanns Expertise mithalten. Mit dem CSU-Europaabgeordneten Manfred Weber greift nun aber ein Deutscher als Spitzenkandidat der konservativen EVP nach dem Posten des EU-Kommissionspräsidenten. Sollte Weber das schaffen, hätte Weidmann keine Chance mehr. Sollte Weber dagegen nicht zum Zuge kommen und auch kein anderer Deutscher, wäre Weidmann ohne Frage wieder im Rennen. Er hat aber auch das Problem, dass er im Euro-Süden auf viel Widerstand stößt. Juncker lässt aufhorchenVor wenigen Tagen hatte der scheidende EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit Aussagen aufhorchen lassen, die mitunter derart interpretiert wurden, dass er sich für Weidmann als Draghi-Nachfolger aussprach. Tatsächlich sagte Juncker zwar, dass Weidmann ein “überzeugter Europäer und ein erfahrener Zentralbanker” und deshalb geeignet sei. Zugleich machte er aber auch ganz klar, dass er explizit weder für noch gegen Weidmann plädiere. In einem anderen Punkt war er aber ganz klar: “Die in Teilen Südeuropas vertretene Auffassung, dass ein Deutscher nicht EZB-Präsident werden dürfe, teile ich dezidiert nicht.”Immer wieder gibt es auch Spekulationen, Deutschland könne zwar zum Zuge kommen, aber nicht Weidmann. Als mögliche Kandidaten werden dann ESM-Chef Klaus Regling und Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch genannt. Eine solche Lösung erscheint aber doch sehr unwahrscheinlich.Sollte Weidmann bei der EZB nicht erfolgreich sein, sehen auch in Notenbankkreisen viele Frankreichs Zentralbankchef Villeroy de Galhau als Favoriten. Mit Jean-Claude Trichet gab es zwar bereits einen Franzosen an der Spitze der Zentralbank. Aber inzwischen gilt es nicht mehr als ausgeschlossen, dass Frankreich erneut zum Zuge kommt. Als möglicher französischer Kandidat gilt auch EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré, der unlängst ungewöhnlich offen Interesse bekundet hatte.Letztlich hängt aber vieles auch davon ab, wo vor allem Deutschland und Frankreich ihre Priorität sehen: Zuletzt hatte es sowohl aus Berlin als auch aus Paris Signale gegeben, den jeweiligen Regierungen sei der Posten des Kommissionspräsidenten wichtiger als jener des EZB-Chefs – entschieden scheint aber noch nichts.