„Die Pläne der EZB zum digitalen Euro sind mangelhaft“
„Die Pläne der EZB zum digitalen Euro sind mangelhaft“
Von der Börsen-Zeitung befragte Ökonomen zweifeln am großen Nutzen eines digitalen Euro. „Es gibt keine Riesenlücke, die der geplante, digitale Euro schließen würde, denn es bestehen bereits vielfältige Optionen für kleine und große digitale Transaktionen“, meint etwa Volker Wieland, geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability.
Zu den grundsätzlichen Befürwortern einer digitalen Zentralbankwährung zählt Marcel Fratzscher. Doch der Präsident des Instituts der Deutschen Wirtschaft (DIW) hält die aktuelle Konzeption des digitalen Euro durch die EZB für falsch. Sie sei aufgrund ihrer Beschränkungen wie den geplanten Haltelimits nicht dafür geeignet, dass sich das digitale Zentralbankgeld im globalen Wettbewerb mit etwa US-Stablecoins behaupten kann. „Die gegenwärtigen Pläne sind mangelhaft und werden zu einem Scheitern des digitalen Euro und einer Schwächung der internationalen Rolle des Euro führen.“
Am positivsten von den Befragten klingt bei dem Thema Silke Tober. „Der digitale Euro schließt eine Lücke, da Zahlungen aktuell überwiegend über Banken abgewickelt werden“, sagt die Leiterin des Referats Makroökonomische Grundlagenforschung, Geldpolitik am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung. Als Pluspunkt für den digitalen Euro hebt sie die geplante Möglichkeit hervor, auch offline ohne Interverbindung damit bezahlen zu können. Doch auch für Tober stellt der digitale Euro keine Alternative zu Stablecoins dar.
Die Antworten der Befragten im Wortlaut:
Braucht Europa den digitalen Euro? Wenn ja, auch in der Form, wie ihn die EZB derzeit konzipiert?
Marcel Fratzscher, Präsident des DIW: Europa braucht den digitalen Euro, auch wenn der wirtschaftliche Nutzen nicht überschätzt werden sollte. Denn wir haben bereits ein recht effizientes Zahlungssystem, auch wenn mehr Wettbewerb und Offenheit die Kosten reduzieren und die Effizienz erhöhen dürften. Der digitale Euro wird das Geschäftsmodell der Banken unterminieren. Trotzdem sollte Europa die Umsetzung des digitalen Euros so gestalten, dass er sich im globalen Wettbewerb behaupten kann. Die gegenwärtigen Pläne sind mangelhaft und werden zu einem Scheitern des digitalen Euro und einer Schwächung der internationalen Rolle des Euro führen.
Daniel Hartmann, Chefökonom Bantleon: Der Zusatznutzen eines digitalen Euros für den Verbraucher ist begrenzt – man kann schon heute bequem online bezahlen. Allerdings würde die Digitalwährung eine europäische Infrastruktur schaffen und damit die Dominanz der US-Anbieter brechen und das fragmentierte Zahlungssystem vereinheitlichen. Zugleich würde er die Nachfrage nach Zentralbankgeld stärken. Zu der „braven“ Konzeption der EZB, die vor allem eine Destabilisierung des Bankensystems verhindern soll (z.B. durch Halteobergrenze), gibt es wohl keine Alternative.
Silke Tober, Leiterin des Referats Makroökonomische Grundlagenforschung, Geldpolitik des IMK: Der digitale Euro schließt eine Lücke, da Zahlungen aktuell überwiegend über Banken abgewickelt werden. Die Offline-Funktion erlaubt zudem eine weitgehend anonyme Bezahlung vor Ort bzw. Handy-zu-Handy. Durch die mutmaßliche Beschränkung auf 2000-3000 Euro pro Person sowie auf Zahlungen innerhalb des Euroraums bleibt der digitale Euro allerdings weit hinter seinen Möglichkeiten zurück, taugt nicht als Wertaufbewahrungsmittel und stellt keine Alternative zu den an Bedeutung gewinnenden Stablecoins dar.
Jörg Krämer, Chefökonom Commerzbank: Der US-Notenbanker Christopher Waller sprach mit Blick auf digitales Zentralbankgeld treffend von „einer Lösung auf der Suche nach einem Problem“. Tatsächlich bietet ein digitaler Euro den Bürgern kaum Vorteile, weil sie auf dem zusätzlichen Konto bei der EZB nur eine vergleichsweise geringe Summe halten dürfen, darüber hinaus gehende Beträge auf normale Bankkonten zurückfließen müssen und das Ganze wohl nicht mit mehr Privatsphäre verbunden wäre.
Volker Wieland, Geschäftsführender Direktor des IMFS: Es gibt keine Riesenlücke, die der geplante, digitale Euro schließen würde, denn es bestehen bereits vielfältige Optionen für kleine und große digitale Transaktionen. Natürlich wäre es für die Bürgerinnen und Bürger interessant, wenn sie ihr Geld statt bei der Bank auf einem Konto bei der Notenbank anlegen könnten. Sicherer geht es nicht. Aber die Banken würden viele Einlagen verlieren. Deshalb soll der digitale Euro nur in kleinen Mengen verfügbar sein, aufzufüllen vom Bankkonto.

Florian Schuh/DIW
Ist der Umgang der EZB mit dem Thema Klimawandel angemessen oder sollte sie mehr oder weniger tun?
Fratzscher: Die EZB muss ihre Politik stärker auf die Neutralität der Geldpolitik und den Schutz der Finanzstabilität ausrichten als bisher. So haben ihre Anleihenkäufe in den letzten zehn Jahren fossile Energieträger zu stark unterstützt. Dies erhöht die Risiken bei Finanzstabilität und Preisstabilität. Und sie konterkarieren die Ziele der Europäischen Union, denen die EZB nach den europäischen Verträgen verpflichtet ist.
Hartmann: Ich bin kein Freund einer Überdehnung des geldpolitischen Mandats. Die EZB sollte sich auf ihre Kernaufgabe – der Wahrung von Preisstabilität – konzentrieren und die Klimapolitik der EU-Kommission und den Nationalstaaten überlassen. Was sie heute bereits macht (z.B. Klimarisiken bei Anleihenkäufen und der Sicherheitenbewertung zu berücksichtigen), ist mehr als genug.
Tober: Vom Ansatz her ist der Umgang der EZB mit dem Thema Klimawandel mittlerweile angemessen, aber in der Durchführung zu zögerlich und nicht hinreichend. Da die EZB verpflichtet ist, neben ihrem primären Ziel der Preisstabilität auch die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU zu unterstützen, hat sie zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Begünstigung klimaschädlicher Investitionen zu verringern. Beispielsweise wird aber der Klimafaktor bei den Abschlägen auf Sicherheiten erst Mitte 2026 eingeführt.
Krämer: Die EZB verfügt anders als die Regierungen nicht über geeignete Instrumente zur Begrenzung des CO₂-Ausstoßes. Faktisch etabliert sie neben dem CO₂-Preis aus dem Handel mit Verschmutzungsrechten einen zusätzlichen Preis, der aber für alle Unternehmen unterschiedlich hoch ist. Er verzerrt den politisch gesetzten CO₂-Preis, damit fehlt ein einheitlicher Maßstab, der wirtschaftliche von unwirtschaftlichen CO₂-Vermeidungsinvestitionen trennt. Der Klimaschutz wird ein Stück weit unwirtschaftlicher.
Wieland: Die EZB sollte die Risiken, die sich aus Klimawandel und Klimaschutz für die Stabilität des Finanzsystems oder die Preisstabilität ergeben, gut im Blick haben, also wenn etwa ein steigender CO₂-Preis einen Inflationsschub auslöst, der dann über Zweitrundeneffekte einen persistenten Nachhall haben könnte. Darüber hinaus ist es nicht ihre Aufgabe, Klimapolitik zu betreiben. Das machen Regierungen und Parlamente. Sie hätte dafür auch nicht die richtigen Instrumente.

Thomas Wieland/Bantleon
Nach aktueller Datenlage: Sollte die EZB den Leitzins nochmal senken?
Fratzscher: Angesichts anhaltender Abwärtsrisiken – wie Handels- und Ukrainekrieg, politischer Lähmung etwa in Frankreich sowie Finanzmarktrisiken – sollte die EZB klarer signalisieren, bei Bedarf die Zinsen weiter zu senken. Daten zeigen eine schwächere Erholung und die Finanzierungsbedingungen verschlechtern sich, sodass der Leitzins noch zu restriktiv ist. Ein stärkeres Signal der Handlungsbereitschaft würde zudem die Unsicherheit reduzieren.
Hartmann: Wir rechnen in der Eurozone in den nächsten Monaten mit einer konjunkturellen Belebung und in den USA mit einem stabilen Makro-Umfeld. Dazu passt in beiden Fällen ein neutrales Leitzinsniveau. Dies sehen wir in der Eurozone bei 2%, in den USA bei rund 3,5%. Die EZB kann daher in der Zinspolitik weiter geradeausfahren.
Tober: Die EZB sollte den Leitzins zügig noch einmal senken. Die Inflation dürfte in den kommenden zwei Jahren leicht unter dem 2%-Ziel liegen, während zugleich die wirtschaftlichen Belastungen und Risiken hoch sind. Die EZB kann wenig gegen die hohen Energiepreise und US-Zölle ausrichten, aber sie kann der starken Euro-Aufwertung entgegenwirken und die Investitionen stützen.
Krämer: Ich würde der EZB nicht empfehlen, ihre Zinsen weiter zu senken. Die Verbraucherpreise ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Nahrungsmittel sind in den zurückliegenden drei Monaten stärker gestiegen, als mit dem 2%-Ziel der EZB vereinbar ist. Außerdem zeichnet sich bei den Frühindikatoren eine gewisse Konjunkturerholung ab. Darüber hinaus liegt der EZB-Einlagensatz bereits unter dem neutralen Niveau, das wir bei drei Prozent sehen.
Wieland: Die EZB hat den Einlagezinssatz bereits auf 2% gesenkt. Die Kerninflation liegt weiter bei 2,4% und damit über dem Ziel der EZB von 2%. Der Realzins ist jetzt schon negativ. Da sehe ich keinen Bedarf, den Notenbankzins im Euroraum weiter zu senken.

Matter Images
Banken haben zuletzt ihre Vergaberichtlinien bei Krediten überraschend gestrafft, da ihre Risikotoleranz gesunken ist. Funktioniert die geldpolitische Transmission im Euroraum weiterhin einwandfrei?
Fratzscher: Die Finanzierungsbedingungen in der Eurozone haben sich trotz der schwachen wirtschaftlichen Lage erneut verschlechtert. Auch deshalb sollte die EZB entschiedener agieren und kommunizieren. Ein zusätzliches Problem ist die Asymmetrie der geldpolitischen Transmission innerhalb der Eurozone, was die EZB jedoch mit ihrer Geldpolitik allein nicht adressieren kann. Auch deshalb sind Reformen auf europäischer Ebene, wie die Vollendung der Bankenunion und die Kapitalmarktunion, so wichtig und dringend.
Hartmann: Laut jüngster Bank Lending Survey sind die Richtlinien für Unternehmenskredite immer noch weitgehend neutral. Zahlreiche Indikatoren, welche die aktuellen Finanzierungskonditionen messen (einschließlich unserer eigenen), bewegen sich darüber hinaus im expansiven Bereich. Dazu korrespondiert, dass die Risikoprämien für Unternehmensanleihen in der Nähe mehrjähriger Tiefststände liegen. Insgesamt funktioniert der geldpolitische Transmissionsprozess derzeit so einwandfrei wie selten zuvor.
Tober: Die geldpolitische Transmission funktioniert, aber die konjunkturellen Risiken sind hoch. Besonders stark haben die Banken die Kreditrichtlinien in Deutschland erhöht, und zwar bereits das vierte Quartal in Folge. Neben der Euro-Aufwertung, den hohen Energiepreisen und den US-Zöllen sprechen auch die restriktiveren Kreditvergabebedingungen für eine weitere Zinssenkung. Das gilt umso mehr, da die EZB durch die Reduzierung ihres Wertpapierportfolios ebenfalls restriktive Impulse setzt.
Krämer: Die Banken haben ihre Kreditvergabestandards nur wenig gestrafft. Wir sind meilenweit von einer Kreditklemme entfernt. Die Transmission der Geldpolitik in die Realwirtschaft funktioniert weiter reibungslos, ich sehe hier kein Problem.
Wieland: Das ist nur einer von vielen Transmissionskanälen. Die Transmission kann aber sicherlich nur ungefähr abgeschätzt werden. Deshalb empfiehlt es sich, Prognosen nicht so viel Gewicht zu geben, und stattdessen auf die tatsächliche Entwicklung von Inflationsmaßen zu schauen, die die volatilsten Elemente ausklammern, wie etwa die Kerninflation.

Commerzbank
Sollte sich die EZB mittelfristig eher vor zu niedrigen oder einer zu hohen Inflation sorgen, gemessen am Inflationsziel von 2%?
Fratzscher: Sowohl als auch. Die EZB muss eine zu niedrige Inflation genauso ernst nehmen, wie eine zu hohe Inflation. Zurzeit überwiegen die Risiken einer zu niedrigen Inflation, da viele Faktoren auf eine weiterhin zu schwache Entwicklung der Wirtschaft der Eurozone hindeuten. Die EZB muss sehr klar in ihrer Kommunikation sein, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um ihr Ziel der Preisstabilität zu erreichen. Gleichzeitig wird dies in einer Welt zunehmender externer Schocks immer schwieriger.
Hartmann: Zahlreiche strukturelle Veränderungen sprechen für wachsende Inflationsgefahren in den nächsten Jahren und damit Inflationsraten über 2%: Die Tendenz zu steigender Staatsverschuldung, die Deglobalisierung (Decoupling zwischen den USA und China, höhere Handelshemmnisse), die Dekarbonisierung (CO₂-Bepreisung, anziehende Rohstoffpreise) und der demographische Wandel (Überalterung der Gesellschaften und Fachkräftemangel). Die zunehmende Digitalisierung dürfte diesen Prozess bestenfalls dämpfen aber nicht aufhalten.
Tober: Die EZB sollte dafür sorgen, dass die Inflation das 2%-Ziel in der mittleren Frist weder unter- noch überschreitet. Da die Geldpolitik eher in der Lage ist, einen starken Aufschwung mit dem Potenzial einer mittelfristigen Zielüberschreitung zu bremsen, als die Wirtschaft aus einer Stagnation oder gar Rezession zu führen, ist eine frühzeitige Zinssenkung im Fall einer für die mittlere Frist drohenden zu niedrigen Inflation wichtig. Derzeit ist eine Unterschreitung das wahrscheinlichere Szenario.
Krämer: Mit Blick auf die lange Sicht dominieren bei der Inflation die Aufwärtsrisiken. Das liegt an den zahlreichen strukturellen Inflationstreibern wie der Demographie, der De-Globalisierung oder der De-Karbonisierung. Hinzu kommt, dass die EZB wegen der hohen Staatsschulden mehr Rücksicht auf die Wünsche der Finanzminister nimmt, die möglichst niedrige Zinsen wollen. Das hat der belgische Notenbankchef Pierre Wunsch in einer Rede vor zwei Jahren öffentlich eingestanden.
Wieland: Sie muss beide Risiken im Blick behalten und die aktuellen Trends nach entsprechenden Anzeichen durchforsten. Dafür gibt es Methoden und Modelle. Ich befürchte allerdings, dass in Zukunft die steigende Staatsverschuldung die Aufwärtsrisiken bei der Inflation verstärkt. Zudem ist nicht damit zu rechnen, dass die Globalisierung von Lieferketten, wie etwa in der Zeit zwischen Euro-Krise und Corona-Krise zu sinkenden Importpreisen und damit niedriger Inflation beiträgt, eher das Gegenteil.

Goethe-Universität Frankfurt
Die Fragen stellte Martin Pirkl.
