Rezession ist aufgeschoben, nicht aufgehoben

Schocks können immer noch den Abschwung einleiten - Konjunkturampel steht weiter auf Gelb

Rezession ist aufgeschoben, nicht aufgehoben

Von Alexandra Baude, FrankfurtIm Großen und Ganzen sind sich die Experten einig: Aus heutiger Sicht wird die deutsche Wirtschaft nicht in eine Rezession abgleiten. Allzu große Zuversicht ist trotz der zuletzt erfolgten Stabilisierung allerdings auch nicht angesagt, denn die konjunkturelle Grundtendenz bleibt schwach, wie etwa die Bundesbank im Monatsbericht November mahnt. Auch die Konjunkturampel, die Kiel Economics für die Börsen-Zeitung berechnet, zeigt, dass die Rezessionsgefahr noch nicht vorüber ist. “Aufgeschoben ist insofern nicht aufgehoben”, kommentiert Carsten-Patrick Meier, Chef von Kiel Economics, einer Ausgründung aus dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) den aktuellen Ampelwert. Mit der Ampel schätzt Kiel Economics auf Basis von mehr als 50 erwartungsbasierten Indikatoren die Wahrscheinlichkeit, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer ausgeprägten Abschwungphase wie etwa zuletzt 2008/2009 befindet. “Kein klares Signal” Für das Jahr 2020 steht die Ampel sowohl für die USA als auch für Deutschland weiter auf Gelb (siehe Grafik). Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession wird dabei für die Vereinigten Staaten auf 36 % taxiert, für Deutschland auf 49 %. Damit liefere die Konjunkturampel für die hiesige Wirtschaft “derzeit kein klares Signal”, so Meier. Man möge bedauern, dass die Frage der Bewertung, ob ein Wert von knapp 50 % nun eher Chance oder Risiko bedeutet, von der psychologisch-charakterlichen Grundeinstellung abhänge – vor dem Hintergrund des Konjunkturbilds sei die Botschaft aber klar: “Sofern Schocks ausbleiben, kann der Aufschwung weiter laufen.”Meier bezieht sich dabei auf einen für die praktische Konjunkturanalyse immer noch relevanten Beitrag aus den späten 1950er-Jahren von Wilhelm Krelle, dem Bonner Pionier der quantitativen Konjunkturforschung. Gemäß den mathematischen Modellen verstärkt sich ein einmal begonnener kumulativer Prozess zunächst weiter, fällt aber dann allmählich auf das gleichgewichtige Niveau zurück. Wirken nun auf ein solches deterministisches System stochastische Schocks – so Krelles Einsicht -, dann müssen diese schon sehr stark ausfallen, um einen Aufschwung in dessen Anfangsphase unterbrechen zu können; in der Spätphase des Aufschwungs dagegen, wenn die Auftriebskräfte bereits erlahmt sind, reichen schon schwache Störungen aus, um den Aufschwung zu beenden, und die Modellwirtschaft in die Rezession zu stürzen.Aktuell am schwierigsten zu beantworten ist die Frage, wo im Zyklus die Weltwirtschaft genau steht. Gemessen an den elf Jahren seit der Lehman-Pleite, dem Auslöser der großen Rezession, würde man laut Meier rein von der Länge des Zeitraums her “zu dem Urteil kommen, dass das Ende des Zyklus wohl erreicht oder in Sicht ist”. Ein konjunktureller Aufschwung ende mangels Verfallsdatum, wenn die Auftriebskräfte ab- und die konjunkturellen Verspannungen zunehmen. Für China etwa lassen sich solche Verspannungen erkennen, insbesondere da sich die private Verschuldung in der zurückliegenden Dekade glatt verdoppelt hat auf zuletzt 208 % in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (siehe Grafik). Im Euroraum und in den USA sind nennenswerte konjunkturelle Verspannungen bislang ausgeblieben. Der Aufschwung verlief über weite Strecken schleppend, wohl nicht zuletzt, weil in vielen Ländern eher die Schulden aus dem vorangegangenen Aufschwung abgebaut wurden statt zu investieren. Eine wenn auch nur moderate Überauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten lässt sich gemessen an den Produktionslückenschätzungen der EU-Kommission bzw. des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Industrieländerorganisation OECD für beide Wirtschaftsräume erst seit 2017 feststellen. Vor allem im Euroraum ist der Preisauftrieb in der Tendenz geringer als angestrebt und die private Verschuldung ist niedriger als zum Zeitpunkt der letzten Rezession – im Euroraum freilich nur geringfügig, so Meier. Die Wirtschaft in den entwickelten Ländern stehe sicher nicht mehr am Anfang des Aufschwungs, aber für dessen baldiges Ende gebe es derzeit kaum Gründe – zumindest wenn man Krelles Schocks aus dem Spiel lässt. Risikofaktoren Der Brexit, die aggressive US-Handelspolitik sowie die Wachstumsschwäche Chinas könnten zu solchen Schocks erwachsen, die den Aufschwung beenden könnten. Mit Blick auf Deutschland ist auch die Neuorientierung der Automobilindustrie in Richtung umweltschonender Antriebe zu nennen. All diese Risikofaktoren haben im Verlauf dieses Jahres ihre Spuren im Konjunkturbild hinterlassen. Dies zeigt sich etwa in der Nahezu-Stagnation der gesamtwirtschaftlichen Produktion und dem Rückgang der Industrieproduktion um voraussichtlich mehr als 5 %. Auch wenn die deutsche Wirtschaft, die im zweiten Quartal geschrumpft war, mit dem Wirtschaftswachstum in den drei Monaten bis September von 0,1 % im Quartalsvergleich knapp an der technischen Rezession – zwei Minusquartale in Folge – vorbeigeschrammt ist, kann dies nach einer Revision der Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ganz schnell anders aussehen.Aktuell sind es laut Meier vor allem die Umfragesalden, die das geschätzte Rezessionsrisiko treiben – “und dabei sind die jüngsten Stabilisierungstendenzen bereits berücksichtigt”, mahnt der Institutschef. Trotz des zuletzt gestoppten Rückgangs der Stimmungsindikatoren haben sich die Exporterwartungen in der Tendenz seit Mitte 2017 so stark verschlechtert wie zu Zeiten der Euro-Krise 2011/2012. In der Folge haben sich auch die Geschäftserwartungen der Unternehmen stark eingetrübt. Gleichzeitig ist die Streuung der Geschäftserwartung, mit der die Unsicherheit der unternehmerischen Absatz- und Ertragserwartungen gemessen wird, ebenfalls auf ein Niveau gestiegen, das zuletzt während der Euro-Krise und davor während der weltweiten Finanzkrise 2008/2009 zu beobachten war.