LEITARTIKEL

Riskantes Manöver

Es war eine Entscheidung, die bereits erwartet worden war - wenn auch nicht mit diesem Ausgang. Spekulationen, Präsident Emmanuel Macron könnte wie seine Vorgänger mit einer Regierungsumbildung versuchen, mit neuem Schwung seine bis zu den...

Riskantes Manöver

Es war eine Entscheidung, die bereits erwartet worden war – wenn auch nicht mit diesem Ausgang. Spekulationen, Präsident Emmanuel Macron könnte wie seine Vorgänger mit einer Regierungsumbildung versuchen, mit neuem Schwung seine bis zu den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2022 verbleibende Amtszeit einzuläuten, machten seit längerem die Runde. Nach dem Debakel, das Macrons Regierungspartei La République en marche (LREM) bei den Kommunalwahlen erlitten hat, zeichnete sich das nun immer klarer ab. Denn nicht die Zentrumspartei LREM, sondern die Grünen gewannen in wichtigen Großstädten wie Bordeaux, Lyon und Straßburg. Zudem zog die rechtsextreme, von Front National in Rassemblement National (RN) umbenannte Partei von Marine Le Pen in Perpignan nun erstmals in das Rathaus einer Stadt mit mehr als 100 000 Einwohnern ein.Insofern ist die Regierungsumbildung keine Überraschung. Dagegen kam die Ernennung von Jean Castex als neuer Premierminister unerwartet, da er als Nachfolger des am Freitag zurückgetretenen Regierungschefs Édouard Philippe für Kontinuität und nicht für einen Kurswechsel steht. Beobachter waren nach den Kommunalwahlen davon ausgegangen, dass Macron seiner Regierung einen grüneren und linkeren Anstrich geben würde. Castex gehört jedoch wie Philippe dem gemäßigten konservativen Lager an – und wie Philippe gilt er als ein Politiker, der im Gegensatz zu anderen französischen Staatsdienern nie den Draht zu den Bürgern außerhalb von Paris verloren hat.Mit der Berufung des Bürgermeisters der 6 000-Seelen-Gemeinde Prades bei Perpignan reagiert Macron zum einen auf das Erstarken des RN, zum anderen aber auch auf die von ihm zunächst unterschätzte Protestbewegung der Gelbwesten, die im Winter 2018/19 vor allem von Bürgern aus der Provinz außerhalb von Paris getragen wurde. Angesichts der durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise besteht die Gefahr, dass ihre Proteste nach der Sommerpause wieder aufflammen. Zumal Macron dann mit der wegen der Pandemie auf Eis gelegten Rentenreform weitermachen will. Sie hatte vergangenen Winter für wochenlange Streiks bei der Bahn und im öffentlichen Nahverkehr in Paris gesorgt.Im Herbst droht aber auch Unmut seitens der Pflegekräfte. Macron hat versprochen, auf die nun zutage getretenen Schwächen des französischen Gesundheitssystems zu reagieren. Ob seine Pläne Ärzten und Pflegern ausreichen, ist fraglich. Sie haben in den vergangenen Jahren immer wieder gegen die vorgenommenen Einsparungen im Gesundheitswesen protestiert. Auch die große Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement Macrons seit Ausbruch der Pandemie könnte sich im Herbst auf der Straße entladen.Das ist indes nicht die einzige Gefahr, die Macron droht. Denn es ist zweifelhaft, ob ihm mit der Regierungsumbildung tatsächlich der erhoffte Befreiungsschlag gelingt, ob er sich und seine Politik damit wie versprochen neu erfinden kann. Auch Macrons Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande haben versucht, ihrem Mandat mit Regierungsumbildungen zu neuem Schwung zu verhelfen. Vergeblich. Macron, Hollande und Sarkozy ist gemein, dass ihre Beliebtheit relativ schnell nach ihrem Amtsantritt eingebrochen ist. Dass Frankreich weltweit eines der Länder mit den meisten Covid-19-Todesopfern und den stärksten wirtschaftlichen Einbrüchen ist, hat das Misstrauen der Bevölkerung Macron gegenüber nun noch zusätzlich verstärkt.Macrons Versuch, sich mit der Regierungsumbildung für die Präsidentschaftswahlen 2022 in Stellung zu bringen, ist für die Bürger als wahltaktisches Manöver zu leicht zu durchschauen. Die meisten Wähler nehmen Macron nicht ab, dass er nun aus wirklicher Überzeugung verspricht, mehr für die Umwelt tun zu wollen. Die Ernennung von Castex spricht jedenfalls nicht für einen grüneren Kurs. Viele Wähler könnten Macron auch übelnehmen, seinen bisherigen, in Umfragen weit beliebteren Regierungschef Philippe auszutauschen, weil er Macron zu überschatten drohte. Mit der Regierungsumbildung geht Macron zudem das Risiko ein, dass Philippe von der konservativen Opposition als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen aufgebaut wird. Das könnte ihn bei den Präsidentschaftswahlen 2022 gegenüber Marine Le Pen dringend benötigte Stimmen kosten. Insofern ist die Regierungsumbildung auch für die politische Stabilität der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone ein riskantes Manöver.——Von Gesche WüpperEs ist zweifelhaft, ob Macron mit der Regierungsumbildung der erhoffte Befreiungsschlag gelingt. Langfristig kann sie gar der politischen Stabilität schaden.——