Notenbankchefin Nabiullina

„Russlands Wirtschaft muss sich neu aufstellen“

Die Auswirkungen westlichen Sanktionen gegen Russland greifen immer weiter um sich. Die Zentralbankchefin der russischen Notenbank Nabiullina kündigt einen Strukturwandel an etwa auf „Produkte früherer Generationen“.

„Russlands Wirtschaft muss sich neu aufstellen“

Die russische Wirtschaft kann der Zentralbank zufolge nicht unbegrenzt von ihren Finanzreserven leben und muss sich angesichts internationaler Sanktionen neu aufstellen. „Der Zeitraum, in dem die Wirtschaft von den Reserven leben kann, ist endlich”, sagte Notenbankchefin Elvira Nabiullina am Montag. Bereits im Frühjahr und Sommer werde eine Phase des Strukturwandels und der Suche nach neuen Geschäftsmodellen beginnen müssen. Die Sanktionen hätten bislang vor allem den Finanzmarkt betroffen. „Aber jetzt werden sie sich zunehmend auch auf die Wirtschaft auswirken”, warnte Nabiullina.

Die Hauptprobleme dürften in den Importbeschränkungen und der schwieriger gewordenen Logistik im Außenhandel liegen. Auch die Exportbeschränkungen dürften sich zunehmend bemerkbar machen. „Russische Hersteller werden nach neuen Partnern und Logistikmöglichkeiten suchen oder auf die Produktion von Produkten früherer Generationen umsteigen müssen”, sagte Nabiullina. Die Exporteure wiederum müssten sich nach neuen Abnehmern umschauen. „All dies wird Zeit brauchen”, sagte die Zentralbankerin.

Nabiullina: Keine Entwarnung bei der Teuerung

Keine Entwarnung gibt sie bei der Inflation. Es werde bis zum Jahr 2024 dauern, bis die Teuerungsrate wieder das Ziel von 4% erreicht habe. Aktuell liegt sie mit 17,49% auf dem höchsten Stand seit mehr als 20 Jahren, da sich seit der Beginn der russischen Invasion in der Ukraine fast alles verteuert hat – von Zucker über Gemüse bis hin zu Smartphones und Bekleidung. „Der Anstieg der Inflation sollte nicht unkontrollierbar sein”, sagte Nabiullina.

Putin: Lage hat sich stabilisiert

Präsident Wladimir Putin klang weit weniger pessimistisch. Die Inflation habe sich bereits stabilisiert, während sich zugleich die Nachfrage im Einzelhandel normalisiert habe, sagte er. Er forderte die Regierung aber dazu auf, die Einkommen von Staatsbediensteten und Rentnern sowie die Sozialleistungen anzuheben. Sie sollten der Inflation angepasst werden, sagte der Kremlchef am Montag bei einer per Video abgehaltenen Regierungssitzung. „Jetzt ist es äußerst wichtig, die Binnennachfrage zu unterstützen, ihre übermäßige Schrumpfung zu verhindern”, sagte er. Dazu könne die Regierung Haushaltsgelder direkt einsetzen oder als Kredithilfen verwenden. Die Mittel dazu seien vorhanden, weil im ersten Quartal des Jahres „ein Etatüberschuss auf Rekordniveau” erzielt worden sei. Insgesamt habe sich die wirtschaftliche Lage stabilisiert, meinte Putin fast zwei Monate nach Beginn seines Krieges gegen die Ukraine.

Dem Westen warf Putin vor, mit seinen Sanktionen einen „Blitzkrieg“ gegen Russlands Wirtschaft geführt zu haben. Dieser sei gescheitert. Letztlich, so Putin, schade sich der Westen mit seinen Sanktionen selbst. Diese hätten dort zu einer Verschlechterung der Wirtschaft geführt.

Weltbank: BIP schrumpft um 11,2%

Nach Einschätzung der Weltbank wird das russische Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 11,2% schrumpfen, das wäre der stärkste Einbruch seit 1994. Arbeitslosigkeit und Inflation steigen nach Ansicht von Wirtschaftsexperten 2022 deutlich an. Die Teuerungsrate wird auf einem Niveau von etwa 20% erwartet.

ZInssenkung signalisiert

Die russische Zentralbank hat als Reaktion auf die Sanktionen ihren Leitzins zunächst auf 20% mehr als verdoppelt. Sie senkte ihn dann aber auf 17%. Die oberste Währungshüterin signalisierte nun die Bereitschaft zu weiteren Rücknahmen, mit denen Kredite für Unternehmen wie Verbraucher günstiger würden. „Wir müssen die Möglichkeit haben, den Leitzins schneller zu senken”, sagte Nabiullina. „Wir müssen Bedingungen schaffen, um die Verfügbarkeit von Krediten für die Wirtschaft zu erhöhen.”

Russland will die vom Westen verhängte Blockade russischer Gold- und Devisenreserven nicht hinnehmen. Dagegen seien rechtliche Schritte geplant, sagte Nabiullina. Durch die ausländischen Sanktionen wurden etwa 300 der insgesamt rund 640 Mrd. Dollar großen Gold- und Devisenreserven eingefroren.

Die Zentralbank erwäge, den Verkauf von Devisenerlösen durch Exporteure flexibler zu gestalten, kündigte sie an. Bislang müssen sie 80% ihrer Devisenerlöse in die Landeswährung Rubel umtauschen. Getestet werden solle zudem die Ausgabe digitaler Rubel. Das solle Russen ermöglichen, Überweisungen zwischen digitalen Geldbörsen vorzunehmen. Erste Pilotprojekte sollen in der zweiten Jahreshälfte beginnen.

Russland ist am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert. Westliche Staaten haben daraufhin Sanktionen verhängt, die mehrfach verschärft wurden. So wurde Russland weitgehend vom internationalen Zahlungssystem Swift abgeklemmt, der Handel etwa mit Hochtechnologie stark eingeschränkt.

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