LEITARTIKEL

Salvini ante portas

Mit dem Rücktritt von 5-Sterne-Chef Luigi Di Maio droht nicht nur die Implosion der größten Partei in Italiens Regierung. Es droht auch das Ende der seit September amtierenden Koalition aus dem sozialdemokratischen PD, den 5 Sternen, der kleinen...

Salvini ante portas

Mit dem Rücktritt von 5-Sterne-Chef Luigi Di Maio droht nicht nur die Implosion der größten Partei in Italiens Regierung. Es droht auch das Ende der seit September amtierenden Koalition aus dem sozialdemokratischen PD, den 5 Sternen, der kleinen Linkspartei LeU und der Renzi-Abspaltung Italia Viva. Denn die Chancen des rechtsnationalen Lega-Chefs Matteo Salvini, der Linken bei den Regionalwahlen am Sonntag Kalabrien und die Emilia-Romagna zu entreißen, sind deutlich gestiegen. Damit würde Salvini womöglich kurz vor seinem eigentlichen Ziel stehen: Neuwahlen, nach denen er Chef einer Rechtsregierung aus Lega, neofaschistischer Fratelli d’Italia und Silvio Berlusconis Forza Italia wird.Das wären nicht nur für Italien, sondern auch für Europa schlechte Nachrichten. Denn Salvini besteht nicht nur auf einer aus demografischen Gründen völlig verantwortungslosen Beibehaltung des Rentenalters von 62 Jahren. Er schert sich auch nicht um Defizit- oder Schuldengrenzen. Teile seiner Partei sind gar für den Austritt aus dem Euro.Die Finanzmärkte haben auf Di Maios Rücktrittsankündigung entsprechend reagiert: Der Zinsabstand (Spread) zwischen deutschen und italienischen Zehnjahresanleihen ist auf 170 Basispunkte gestiegen. Nachdem Salvini im August aus der Regierung ausgestiegen war und der Koalitionspartner 5 Sterne die Seiten gewechselt hatte, hatten sich die Bedingungen an den Finanzmärkten schlagartig verbessert. Doch die guten Startvoraussetzungen wurden nicht genutzt. Dem Anfang wohnte nie ein Zauber inne, es fehlten Elan und klare Ziele.Die Mitte-Links-Regierung unter dem neuen und alten Regierungschef Giuseppe Conte betreibt keine grundsätzlich andere Politik als die Vorgänger. Das Budget für 2020 sieht ein gegenüber 2019 unverändertes Defizit von 2,2 % und einen Anstieg der Schulden auf 137 % der Wirtschaftsleistung vor. Aber allein der gute Wille, die EU-Ziele einzuhalten und konstruktiv mitzuarbeiten, veranlasste Brüssel, sich Italien gegenüber sehr nachsichtig zu zeigen. Damit wollte die EU Salvini ausbremsen.Das ist nicht gelungen. Umfragen verheißen dem Lega-Chef bei Neuwahlen eine klare Mehrheit. Die derzeitige Koalition hat sich das auch selbst zuzuschreiben. Sie ist mehr mit internen Streitigkeiten befasst als mit Politik. Ob es um Steuersenkungen, Infrastrukturpolitik oder die geplante Justizreform ging: Es gab praktisch kein Thema ohne monatelange Auseinandersetzungen. Bildungsminister Lorenzo Fioramonti trat wegen unzureichender Budgetmittel für sein Ressort zurück und verließ die 5 Sterne, so wie seit März 2018 rund 30 weitere Abgeordnete. Und Ex-Regierungschef Matteo Renzi hat sich von der PD abgewendet. Er blieb zwar in der Regierung, ist jedoch ein ständiger Unruheherd. Und die populistische 5-Sterne-Bewegung, die bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im März 2018 rund 32 % der Stimmen erhalten hatte, beschloss, bei den Regionalwahlen nicht mit der PD, sondern allein anzutreten. Es droht ein Desaster.Italien bleibt im Chaos stecken und fällt immer weiter zurück. Das Land könnte ganz Europa mit in den Orkus reißen. Die Lösung der Probleme wird nicht angepackt. Zwar soll das Bruttoinlandsprodukt 2020 nach den 0,2 % des Vorjahres um 0,5 % wachsen, doch das Vorkrisenniveau von 2008 ist noch immer nicht erreicht, und die Produktivität ist erschreckend gering. Italien bleibt Europas Wachstumsschlusslicht. Für eine wirkliche Einkommensteuerreform, die Premierminister Conte angekündigt hat, fehlt das Geld. Die Justizreform ist in koalitionsinternen Streitigkeiten stecken geblieben, die hohe Steuerlast und eine ineffiziente Bürokratie lähmen die Wirtschaft, und die Infrastruktur zerbröselt, weil seit Jahrzehnten kein Geld in den Erhalt und Ausbau fließt und die 5 Sterne fast jedes Projekt blockieren. Viele junge Leute verlassen das Land. Die Geburtenrate ist auf ein Rekordtief gesunken. Und marode Unternehmen wie Alitalia, das Stahlwerk von Taranto und die Volksbank von Bari werden mit Staatsgeldern künstlich am Leben erhalten. Das Geld wäre anderswo viel sinnvoller angelegt. Investoren werden durch nachträgliche Gesetzesänderungen oder den möglichen Entzug der Autobahnkonzession für den Autobahnbetreiber Atlantia ohne juristische Grundlage vergrätzt.——Von Gerhard BläskeItalien bleibt im Chaos stecken und fällt immer weiter zurück. Das Land könnte ganz Europa mit in den Orkus reißen.——