Falsche Anreize für Staaten

Scharfe Kritik an EZB-Anleihekaufprogramm TPI

Die EZB plant derzeit keinen Einsatz des Notprogramms TPI wegen Frankreich. Unabhängig von der Lage in Paris steht das Instrument jedoch in der Kritik.

Scharfe Kritik an EZB-Anleihekaufprogramm TPI

EZB in der Kritik wegen TPI

Falsche Anreize durch Anleihekaufprogramm – Derzeit kein Einsatz für Frankreich geplant

Die Europäische Zentralbank plant derzeit nach Angaben von Präsidentin Christine Lagarde keinen Einsatz des Notprogramms TPI wegen Frankreich. Unabhängig von der fiskalischen Lage in Paris steht das Instrument, das der Notenbank theoretisch Staatsanleihekäufe in unbegrenzter Höhe ermöglicht, jedoch in der Kritik.

mpi Frankfurt

Die EZB beabsichtigt derzeit nicht wegen der tiefen politischen Krise in Frankreich das Notprogramm TPI zu aktivieren. Das stellte Notenbankpräsidentin Christine Lagarde am Montagabend bei einer Anhörung im Europäischen Parlament klar. Es gebe bislang keine Diskussionen innerhalb des EZB-Rats über dieses Thema.

TPI ermöglicht der EZB unbegrenzt Staatsanleihen eines in Not geratenen Euro-Landes zu kaufen. Voraussetzung dafür sind „ungerechtfertigte, ungeordnete Marktentwicklungen, die eine ernsthafte Bedrohung für die einheitliche Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen“. Das 2022 geschaffene Instrument kam bislang noch nie zum Einsatz. Dennoch dürfte die bloße Existenz des Instruments nach Einschätzung von Ökonomen Spreads bereits gedrückt haben – auch im Falle von Frankreich.

Nach Streit um sein Kabinett ist der französische Ministerpräsident Sébastien Lecornu am Montag nach nur 27 Tagen im Amt zurückgetreten. Bis Mittwochabend soll er auf Wunsch von Präsident Emmanuel Macron dennoch einen zweiten Anlauf wagen, eine möglichst stabile Regierung zu bilden. Ein großes Streitthema ist die Haushaltspolitik. Das jährliche französische Defizit gemessen am BIP ist derzeit fast doppelt so hoch wie eigentlich von der EU erlaubt.

Falsche Anreize für Staaten

Klaus Masuch, ehemaliger EZB-Ökonom und einst Mitglied der Troika in Griechenland, kritisiert die Konstruktion von TPI. „Die EZB sollte nicht versuchen, die fiskalischen Probleme der Mitgliedsstaaten der Währungszone zu lösen“, sagte er am Montagabend bei der Vorstellung seines Buchs „Crisis Cycle: Challenges, Evolution, and Future of the Euro“ an der Frankfurt School of Finance & Management.

Er stört sich daran, dass es für den Einsatz von TPI nicht die Vorbedingung gibt, dass das Land eine Konsolidierung seiner Fiskalpolitik umsetzt. Bei dem 2012 im Zuge der Eurokrise geschaffenen und ebenfalls noch nie eingesetzten Programm OMT sei dies anders gewesen. TPI setze falsche Anreize, da es die Erwartung gebe, dass die EZB schon eingreife, wenn die Lage brenzlich wird. So würden Länder eine höhere und nicht nachhaltige Staatsverschuldung fahren. Am Ende brauche es dann vielleicht eine hohe Inflation, um die Staatsverschuldung wieder in den Griff zu bekommen. Der EZB drohe also eine fiskalische Dominanz der Geldpolitik.

Demokratisches Problem

Außerdem kritisieren Masuch und seine Mitautoren des Buches, John H. Cochrane und Luis Garicano, dass TPI zu demokratischen Problemen führt. So sei es beispielsweise die Aufgabe von Parlamenten und Regierungen und nicht der EZB, zu beurteilen, ob der Steuerzahler die Schuldenlast tragen kann.

Die Kritik an TPI fiel beim Publikum an der Frankfurt School – darunter einige ehemalige und aktuelle Mitarbeiter von EZB und Bundesbank – auf Zustimmung. Am deutlichsten wurde Otmar Issing, erster Chefökonom der EZB und Mitarchitekt des Euro: „TPI ist ein Desaster und institutioneller Selbstmord.“ Bereits in der Vergangenheit hat er kritisiert, dass eine Überschreitung ihrer Kompetenzen die politische Unabhängigkeit der EZB aufs Spiel setze.

Masuch, Cochrane und Garicano haben jedoch nicht nur Kritik parat, sondern auch Lösungsvorschläge. Sie plädieren unter anderem dafür, dass die EZB nicht mehr Anleihen von einzelnen Staaten kauft, sondern ausschließlich – auch außerhalb von TPI – europäische Anleihen. Diese könnten beispielsweise von EU-Institutionen wie der Kommission oder dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) herausgegeben werden.