EZB-Direktorin

Schnabel rechnet nicht mit weiteren Zinserhöhungen

EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel hält die jüngsten Inflationszahlen für ermutigend – und deshalb weitere Zinserhöhung für "eher unwahrscheinlich".

Schnabel rechnet nicht mit weiteren Zinserhöhungen

Die Notenbankbilanz der Europäischen Zentralbank (EZB) wird aus Sicht ihrer Direktorin Isabel Schnabel in Zukunft voraussichtlich deutlich schrumpfen. Es sei zwar schon klar, dass die Bilanz viel größer sein werde als sie es vor der Finanzkrise gewesen sei, sagte die deutsche Volkswirtin im Gespräch mit Reuters. "Aber bei allen Rahmenwerken, die erwogen werden, wird die Bilanz viel kleiner sein als sie es momentan ist", fügte sie hinzu. Aktuell hat die EZB-Bilanz ein Volumen von rund 7 Bill. Euro. Vor Ausbruch der Finanzkrise waren es 1,5 Bill. Euro gewesen.

Die EZB müsse entscheiden, wie sie künftig die Banken der Eurozone mit Liquidität versorgen wolle. Schnabel plädiert für einen Steuerungsrahmen, in dem die Banken selbst entscheiden können, wie viel sie sich von der EZB leihen wollen. Ein nachfrageorientiertes System eigne sich gut für eine heterogene Währungsunion, die zu einer Fragmentierung neigen könne. "Ein solches System begrenzt wahrscheinlich auch den Umfang der Zentralbankbilanz". Zum Vorschlag von EZB-Chefökonom Philip Lane, die EZB solle künftig auch ein "strukturelles Anleihenportfolio" als ständiges Instrument zur Liquiditätssteuerung besitzen, sagte sie: "Was ein strukturelles Portfolio betrifft, so habe ich in meiner Rede im März gesagt, dass das erwogen werden könnte." Aus ihrer Sicht könnte eine Mischung verschiedener Werkzeuge sinnvoll sein.

Die EZB hatte in den Jahren nach der großen Finanzkrise und nach der Euro-Schuldenkrise im Zuge einer lockeren Geldpolitik und Niedrigzinsen massive Programme zum Ankauf von Staatsanleihen und Firmenanleihen zur Ankurbelung der Konjunktur aufgelegt. Dazu kamen großvolumige langfristige Liquiditätsspritzen für Geschäftsbanken - in der Fachwelt "TLTRO" genannt - um den Kreditfluss an die Wirtschaft zu stützen. Und zur Abmilderung der ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie kam 2020 mit dem Kaufprogramm PEPP noch ein weiteres billionenschweres Anleihenkaufprogramm hinzu. Dies ließ die Notenbankbilanz immer mehr anschwellen.

Wohl keine Zinserhöhungen mehr

Zudem rechnet Schnabel nach dem jüngsten Inflationsrückgang damit, dass die EZB ihre Tür hin zu weiteren Zinserhöhungen vorerst schließen kann. "Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Was machen Sie, Sir?," sagte sie im Interview der Nachrichtenagentur Reuters unter Anspielung auf ein berühmtes Zitat des britischen Ökonomen John Maynard Keynes. "Die jüngste Inflationszahl hat eine weitere Zinserhöhung eher unwahrscheinlich gemacht." Noch vor einem Monat hatte die deutsche Volkswirtin dazu geraten, mögliche weitere Anhebungen nicht vom Tisch zu nehmen, da die letzte Meile im Kampf gegen die Inflation unsicherer, langsamer und holpriger sei.

2024 soll Konjunktur wieder anziehen

Die restriktive Geldpolitik zeige Wirkung, sagte das Mitglied des sechsköpfigen Führungsteams der EZB. Sie trage dazu bei, das Nachfragewachstum zu dämpfen. Und diese Phase sei notwendig, damit sich die Inflation wieder zum Zwei-Prozent-Ziel der Notenbank hinbewege. Das Wirtschaftswachstum sei in den vergangenen Quartalen schwach gewesen und werde dies auch im laufenden Jahresviertel bleiben. Schnabel erwartet aber, dass es im nächsten Jahr dann allmählich wieder anziehen wird. Mit einer tiefen und länger anhaltenden Rezession rechne die EZB nicht.

Im November waren die Verbraucherpreise im Euroraum nur noch um 2,4% im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen – das ist seit Juli 2021 die niedrigste Rate. Im Oktober lag die Teuerung noch bei 2,9%. Im Herbst 2022 hatte der Preisschub zeitweise bei über 10% gelegen. Der kräftige Rückgang hatte Erwartungen geschürt, die EZB werde womöglich schneller zu ihrer Zielmarke zurück gelangen. Schnabel warnte aber davor, den Märkten zu weit im voraus eine Orientierung über den möglichen Kurs zu geben. "Wir wurden oft in beide Richtungen überrascht", sagte sie. "Daher sollten wir vorsichtig sein, wenn wir Aussagen über Ereignisse machen, die in sechs Monaten stattfinden werden."

Erwartungsvolle Finanzmärkte

EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau hatten unlängst in Aussicht gestellt, dass es in der Zinspolitik voraussichtlich in den nächsten paar Quartalen keine Änderungen geben werde. Am Finanzmarkt wird dagegen bereits fest mit einer ersten Zinssenkung im April 2024 gerechnet. Selbst für den Monat März wird an der Börse schon mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Schritt nach unten erwartet. Die Märkte seien zuversichtlich, dass die Inflation schnell sinken werde, und daher rechneten sie frühe und große Zinssenkungen im nächsten Jahr in den Kursen ein, sagte Schnabel. "Zentralbanken sind vorsichtiger und ich würde argumentieren, sie müssen vorsichtiger sein." Nach mehr als zwei Jahren mit Inflationsraten oberhalb der Zielmarke müssten sie das sein.

Die EZB hatte auf ihrer jüngsten Zinssitzung im Oktober eine Zinspause beschlossen. Der am Finanzmarkt richtungsweisende Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, liegt damit weiterhin bei 4% – das höchste Niveau seit dem Beginn der Währungsunion 1999. Seit Sommer 2022 hatte die EZB die Zinsen bereits zehn Mal in Folge nach oben gesetzt. Die nächste Zinssitzung ist am 14. Dezember in Frankfurt.

"Wir müssen wachsam bleiben"

Nicht nur die allgemeine Inflationsrate war zuletzt kräftig gesunken in der Gemeinschaft aus 20 Ländern. Auch die sogenannte Kernrate, die die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise sowie Alkohol und Tabak ausgeklammert, ging im November auf 3,6% zurück nach 4,2% im Oktober. "Das ist durchaus bemerkenswert", sagte Schnabel. Die EZB verfolgt dieses Inflationsmaß ebenfalls genau, denn es gilt als guter Indikator für zugrundeliegende Inflationstrends.

Insgesamt ist die jüngste Inflationsentwicklung aus Schnabels Sicht ermutigend. Dies habe ihr mehr Zuversicht gegeben, dass die EZB in der Lage sein werde, spätestens 2025 wieder auf 2% Teuerung zu kommen, sagte sie. "Also ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, aber wir müssen wachsam bleiben." Es gelte, nicht zu früh den Sieg über die Inflation zu verkünden. So werde weiterhin ein leichter Anstieg der Teuerung in den nächsten Monaten erwartet. Unter anderem laufen einige Hilfsprogramme von Regierungen aus. Zudem gibt es statistische Effekte, die sich in den kommenden Monaten bemerkbar machen dürften. So sanken etwa vor einem Jahr im Dezember 2022 die Gaspreise in Deutschland, der größten Volkswirtschaft der Eurozone, kräftig, da der Staat die Kosten für den Abschlag übernommen hatte.

Schnabel rechnet mit deutlich kleinerer EZB-Bilanz

Reuters Frankfurt