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Stärke als Credo der Regentschaft

Von Eduard Steiner, Moskau Börsen-Zeitung, 19.3.2020 Als Russlands Präsident Wladimir Putin 2014 gefragt wurde, ob er denn auf immer dieses Amt einnehmen werde, sagte er einen seiner denkwürdigsten Sätze überhaupt: "Nein. Denn das wäre für das Land...

Stärke als Credo der Regentschaft

Von Eduard Steiner, MoskauAls Russlands Präsident Wladimir Putin 2014 gefragt wurde, ob er denn auf immer dieses Amt einnehmen werde, sagte er einen seiner denkwürdigsten Sätze überhaupt: “Nein. Denn das wäre für das Land nicht richtig, ja schädlich, und auch ich habe es nicht nötig.” Gewiss, er entwickelte damals seinen Gedanken weiter, indem er auf die Verfassung verwies, die die Amtszeit ja limitiere, was einzuhalten er für wichtig erachte. Und fügte dennoch kryptisch hinzu: “Es wird sich zeigen, wie sich die Situation entwickelt.” Verfassung wird geändertInzwischen weiß man, wie sich die Situation in den Augen des Kreml-Chefs entwickelt hat: und zwar so, dass er eine Verfassungsänderung für angebracht erachtet hat. Anfang Januar hatte er sie ins Spiel gebracht. Am vergangenen Samstag nun hat er sie unterzeichnet, nachdem sie vom Parlament im Eilverfahren abgesegnet worden war. Nach der Zustimmung durch das Verfassungsgericht wird die Bevölkerung am 22. April darüber abstimmen. Die Opposition spricht von einem “Staatsstreich”. Denn neben einer Verankerung des Gottesbegriffes und einer Festschreibung radikal-konservativer Werte enthält sie den Kunstgriff, dass bisherige Amtszeiten nicht mehr gezählt – oder in der russischen Terminologie “vernullt” – werden. Damit könnte Putin entgegen der bisherigen Verfassung erneut bei den Präsidentschaftswahlen 2024 antreten. Dass Putin entgegen allen Beteuerungen nun doch eine weitere Amtszeit anstrebe, erklärte sein Sprecher mit der globalen Instabilität.Mag dieses Argument zum Teil auch vorgeschoben sein, um den Machttrieb des mittlerweile 67-Jährigen und seiner Millionen von ihm abhängigen Gesinnungsgenossen im Establishment zu kaschieren, so ist es doch ein Schlüssel zur Psyche des Ex-Geheimdienstmannes. Sie will Stabilität um jeden Preis, damit sich nicht nochmals ein Zusammenbruch oder eine Revolution ereignet, wie es in der russischen Geschichte so oft der Fall war und wie er es selbst 1990 als Spion in Dresden erlebt hatte, als Putin am Telefon in Moskau keine Antwort mehr auf die Frage bekam, was denn nun zu tun sei.”Die Schwachen werden geschlagen”, wurde später ein Lieblingssatz des studierten Juristen, der in seiner Jugend in St. Petersburg Judo lernte, um sich als Kleinwüchsiger gegen die Hofjungen verteidigen zu können. Die persönliche Erfahrung überträgt er auf den Staat und macht dessen Stärke zum Credo seiner Regentschaft. Ob in der Marginalisierung der Oligarchen, ob in der außenpolitischen Machtrückgewinnung oder eben gar in der Gebietserweiterung – der körperlich nach wie vor gut Trainierte muss fast zwanghaft Kraft und Stärke demonstrieren, gleich wie er bluffen und täuschen muss – eine Eigenschaft, die er laut seinem einstigen Judolehrer wie kein Zweiter schon beim Kampfsport beherrschte. Für die Wirtschaft sind das fatale Signale, wie die schwachen Daten zeigen.Als Staatschef hätte er die Wahl, entweder überall Gefahren oder überall Chancen zu sehen, wie es eine renommierte russische Publizistin einmal im Gespräch formulierte. Putin hat sich für die Gefahr entschieden. Und glaubt sichtlich auch nicht daran, dass das von ihm geschaffene System einen gefahrenfreien Machtwechsel erlaubt.