Russland

Vorwürfe der Wahlmanipulation

Die Wladimir Putin nahestehende Partei „Einiges Russland“ gewann den Urnengang vom Wochenende. Offenbar griff man aber zu massiven Wahlmanipulationen. Die Kommunisten erstarkten wie zuletzt vor zehn Jahren.

Vorwürfe der Wahlmanipulation

est Moskau

Noch waren nicht mal drei Viertel der Stimmen ausgezählt, als in Moskau am Sonntagabend eine Wahlparty der dominanten Partei „Einiges Russland“ stieg und der sonst ziemlich farblose Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin lautstark „Putin, Putin, Putin!“ skandierte. Die Inszenierung hatte etwas Groteskes, schließlich war auch diesmal klar, dass die vom Kreml favorisierte Partei die Parlamentswahlen gewinnen würde. Und doch feierte man gleichzeitig auch, dass man es trotz allem ein weiteres Mal geschafft hat. Umfragen hatten ihr nämlich weniger als 30% gegeben. Und auch das offizielle Ergebnis zeigt, dass die Zustimmung zurückgeht. Nach Auszählung von über 95% der abgegebenen Stimmen am Montagnachmittag kam „Einiges Russland“ auf knapp 49,6%. Vor fünf Jahren hatte sie immerhin 54,2% erzielt.

Und selbst für die jetzigen 49,6% scheint es wieder zahlreiche Wahlverstöße gebraucht zu haben. Die Beobachterorganisation Golos sprach von über 4000. So hatten in den Wahlkreisen von Moskau bei der Handauszählung der Stimmzettel mehrheitlich Kandidaten anderer Parteien gewonnen. Das Ergebnis der erstmals elektronischen Abstimmung ließ dann lange auf sich warten. Nach der Veröffentlichung lagen plötzlich überall die Bewerber von Einiges Russland vorn. Die Kommunisten wollen das Ergebnis der elektronischen Auszählung nicht an­erkennen. Auch die Europäische Union hat den Ablauf der gesamten Wahl scharf kritisiert. Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert forderte, die angeblich „massiven Unregelmäßigkeiten“ aufzuklären.

An Russlands politischer Landschaft wird sich jedenfalls im Wesentlichen nichts ändern. Die Duma bleibt jene willfährige Institution, das die Vorgaben aus dem Kreml durchwinkt. Dies sei für den Kreml umso wichtiger, als für 2024 ja die große Entscheidung im Raum steht, ob Wladimir Putin Staatsoberhaupt bleibe, sagte Wladimir Pastuchow, Politikwissenschaftler des University College in London, im Moskauer Radio „Echo Moskwy“: Mit der Verfassungsänderung im Vorjahr hatte Putin sich ja alle Möglichkeiten eröffnet. Diese Duma für die Übergangszeit „muss gesetzlich die Präsidentenadministration decken, welch raffiniertes Szenario diese auch immer auswählen wird“, so Pastuchow.

Ins Auge springt, dass die Kommunisten von 13,34% im Jahr 2016 auf nun 19,2% stark gewachsen sind. Dies verdanken sie auch der umstrittenen „taktischen Stimmabgabe“, zu der die Anhänger des inhaftierten Radikaloppositionellen Alexej Na­walny aufriefen und die darin bestand, in den jeweiligen Wahlkreisen die Stimme demjenigen Kandidaten zu geben, der die besten Chancen hat, den Vertreter von Putins Partei zu schlagen. Die Kommunisten gelten – wie die anderen drei Parteien, die die Fünf-Prozent-Hürde schafften – als Systemoppositionelle.

Jedenfalls ähnelt das Wahlergebnis frappant dem aus dem Jahr 2011, in dem es zu den bislang stärksten Straßenprotesten gekommen war, woraufhin der sichtlich schockierte Kreml die Repressionsschrauben anzuziehen begann. 2011 war die Zustimmung zu „Einiges Russland“ auf 49,32% von zuvor 64,3% im Jahr 2007 abgesackt, die Kommunisten auf 19% gestiegen (siehe Grafik). Der Schrecken von damals war freilich Nawalny. Fortan suchte Putin formal die Distanz zur eigenen Partei, um seine eigene Beliebtheit nicht durch die relative Unbeliebtheit der Partei, die von Nawalny als „Partei der Gauner und Diebe“ bezeichnet wurde, zu schmälern.

Heutzutage sind Straßenproteste unwahrscheinlich, da das Regime weit repressiver ist und Nawalny nach der Genesung von der Vergiftungsattacke seit Jahresbeginn hinter Gittern sitzt. Den größten Fragen wird der Machtapparat freilich auch mit der neuen Duma nicht entkommen: Wie lässt sich die seit Jahren stagnierende Wirtschaft nachhaltig ankurbeln? Und wie der Jugend eine Zukunftsperspektive im eigenen Land geben?

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