PERSONEN

Wer ist Martín Guzmán - und was kann er?

Von Andreas Fink, Buenos Aires Börsen-Zeitung, 10.12.2019 Über diese Personalie war seit Wochen spekuliert worden. Mehr als zehn prominente Ökonomen waren für den Job gehandelt worden, einige mit eher orthodoxer Weltsicht und guten Verbindungen an...

Wer ist Martín Guzmán - und was kann er?

Von Andreas Fink, Buenos AiresÜber diese Personalie war seit Wochen spekuliert worden. Mehr als zehn prominente Ökonomen waren für den Job gehandelt worden, einige mit eher orthodoxer Weltsicht und guten Verbindungen an Wall Street und andere mit unkonventionellen Ansichten und Vorleben in den zwölfeinhalb Jahren der Regierung des Ehepaars Kirchner. Als nun am vorigen Freitagabend Argentiniens neuer Präsident seine Ministerriege vorstellte, saß in der zweiten Reihe ein junger Mann mit Vollbart, der im Wirtschaftsleben der Republik noch nie eine Rolle gespielt hatte. Er ist der neue Finanzminister. Er soll sein Land vor dem neunten Staatsbankrott seiner Geschichte bewahren. Er heißt Martín Guzmán. Assistent von Stiglitz Ein Unbekannter, selbst für viele informierte Argentinier. Die wenigsten Journalisten kannten bislang überhaupt seine Stimme, was nicht nur an seinem jugendlichen Alter von 37 Jahren liegt, sondern auch daran, dass er die letzten zehn Jahre in New York lebte und arbeitete. Allerdings nicht an Wall Street. Sondern am – auch ideologisch – anderen Ende Manhattans, etwa 140 Straßenblocks nördlich. Sein bisheriges Büro gehört zur Columbia University, wo der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz lehrt und forscht. Martín Guzmán war wissenschaftlicher Assistent des vormaligen Weltbankpräsidenten, der inzwischen zu den vehementesten Kritikern des Weltfinanzsystems zählt. Gemeinsam publizierten sie 2016 ein Buch mit dem Titel “Zu wenig, zu spät”. Der Untertitel: “Die verzweifelte Suche, um Schuldenkrisen zu lösen”.Das ist Guzmáns Sujet. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Staaten, deren Regierungen Mühe haben, gleichzeitig die sieche Wirtschaft zu stabilisieren und Kredite zu bedienen oder gar auszuzahlen. Guzmán kennt viele Fehlversuche. Und er hat jene Länder analysiert, die dem Teufelskreis entkommen konnten. Dieses Fachwissen beeindruckte Argentiniens neue Doppelspitze: den Präsidenten Alberto Fernández und seine mächtige Stellvertreterin Cristina Kirchner.Sicher ist, das Guzmán sehr viel weiß. Aber alle fragen, was er kann. Die Situation ist düster: 30 Mrd. Dollar muss Argentinien in diesem Jahr zurückzahlen, 12 Mrd. Dollar 2021, und jeweils 32 Mrd. Dollar 2022 und 2023. Die im kommenden Jahr fälligen Schulden sind halb in US-Währung, halb in Peso. Diese entsprechen etwa 80 % der Geldmenge, die aktuell im Umlauf ist. Sollten diese Peso, die aufgrund der inzwischen sehr strikten Devisenkontrollen nicht in Fremdwährungen getauscht werden können, in den Umlauf gelangen, droht eine Hyperinflation in einem Land, dessen Produktivkraft am Boden liegt. Seit September 2018 setzte die Zentralbank die Leitzinsen auf mehr als 60 % an und schloss damit de facto die Kreditaufnahme für kleine und mittlere Unternehmen. Um etwa 10 % fiel die akkumulierte Wirtschaftsleistung seit Jahresanfang, die Arbeitslosigkeit erreicht Werte von 12 %. Und das, obwohl Argentinien in den vergangenen 18 Monaten 45 Mrd. Dollar vom Internationalen Währungsfonds geliehen bekam. Ein Großteil dieses Geldes sei für den Schuldendienst verwendet worden, rechtfertigte sich Mauricio Macri bei seinem öffentlichen Abschied aus dem Präsidentenpalast am vorigen Samstag.Diesen Teufelskreis will Martín Guzmán unterbrechen. Im Zentrum seines schriftlich fixierten Generalplans, den er am Mittwoch präsentieren will, steht ein Moratorium: Zwei Jahre lang soll Argentinien weder Zinsen zahlen noch Anleihen fällig stellen. Das werde sowohl private Gläubiger als auch den IWF betreffen. So wolle die neue Regierung “die Wirtschaft beruhigen, dringende soziale Probleme lindern und den Schuldendienst so gestalten, dass die Rückzahlung dann erfolgen kann, wenn das Land wieder wächst”, zitiert die Zeitung “La Nación” aus dem Umfeld des neuen Ministers. Kein SchuldenschnittAber werden die Geldgeber das akzeptieren? “Einem Toten kann man nicht in die Tasche greifen” sagte 2003 Néstor Kirchner den internationalen Gläubigern und brachte 2005 einen Großteil davon dazu, auf drei Viertel ihrer Anlagen zu verzichten. Von einem solchen Schuldenschnitt will Guzmán nicht sprechen, er will die Verbindlichkeiten voll zurückzahlen. Allerdings käme eine zeitliche Verzögerung natürlich einem gewissen Ablass gleich.Noch vor Weihnachten will Guzmán nach New York fliegen, in seine zweite Heimat. Allerdings dürfte es in den Büros an Manhattans Südspitze weniger gesittet zugehen als im Institut von Professor Stiglitz. Dieser habe sich bereit erklärt, seinem Schützling öffentlich und praktisch beizustehen, hieß es. Guzmáns Name dürfte bald in aller Welt bekannt sein.