„Wir brauchen einen neuen Steuermix“
Im Interview: Christoph Spengel
„Wir brauchen einen neuen Steuermix“
Der Mannheimer Finanzwissenschaftler über das Scheitern der globalen Mindeststeuer und die Notwendigkeit, Vermögen- und Erbschaftsteuern anzuheben
lz Frankfurt
Mit dem Ausstieg der USA ist auch die globale Mindeststeuer Geschichte, obwohl einige Unerschrockene daran festhalten, weil sie eine gewisse Steuergerechtigkeit suggeriert. Aber dafür gibt es bessere Instrumente. Zugleich muss der Fiskus die Steuern besser auf das digitale Zeitalter ausrichten. Hier gibt es großen Anpassungsbedarf. Vor allem muss sich die Steuerstruktur ändern.
Herr Prof. Spengel, weder die USA noch China oder Indien machen bei der globalen Mindeststeuer mit. Warum sollte die EU noch weiter im Club bleiben, obwohl es europäische Unternehmen massiv benachteiligt?
Es macht eigentlich keinen Sinn und ist in der Tat sehr nachteilig für heimische Unternehmen. Die Hoffnung, die in die globale Mindeststeuer gesetzt worden ist, war ohnehin übertrieben. Und in ihrer Anwendung hat sich unter Fairness- und Gerechtigkeitsgesichtspunkten nicht viel zum Besseren bewegt – bisweilen sogar ins Gegenteil verkehrt.
Können Sie Beispiele nennen?
Die einheitliche Besteuerung von Unternehmen wird doch schon länger unterlaufen, indem Regierungen ansiedlungswilligen Konzernen etwa Bargeld in die Hand geben zur Finanzierung der neuen Produktion. Intel etwa erhält 4 Mrd. Euro für eine Chipfabrik in Deutschland. In der Schweiz sind es eher Grundstücke, die kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Und weiterhin gibt es Präferenzregime wie etwa Patentboxen, die abgeschafft gehören. Von den Einkommensteuervergünstigungen für Hochqualifizierte ganz zu schweigen. Nur über die Beseitigung von Ausnahmen erreicht man Fairness.
Die Nachteile durch die Mindeststeuer überwiegen die geringen Steuererträge bei weitem.
Hat die Mindeststeuer also ihr eigentliches Ziel, ein Level Playing Field für internationale Unternehmen zu schaffen, gar nicht erreicht?
Bei weitem nicht. Da genügt schon der Blick auf das Steueraufkommen. In Deutschland wird geschätzt, dass netto nur 20 Mill. Euro zusätzlich herausgekommen, die hohen bürokratischen Aufwände sind da noch nicht einmal berücksichtigt. Und die Nachteile durch die Mindeststeuer sind beileibe noch viel größer, weil Asien und die USA nicht mitmachen.

Rike Allendorfer
Wenn die Mindeststeuer schon ein solcher Rohrkrepierer ist – warum halten die Staaten daran fest?
Ganz einfach, weil die Mindeststeuer eine gewisse Steuergerechtigkeit suggeriert und die Komplexität der Globalisierung scheinbar vereinfacht. Es ist zudem ein griffiger Name.
Das erleichtert doch dann auch den Ausstieg aus der Mindeststeuer, weil womöglich nur 20 Mill. Euro wegfallen.
Das ist richtig. Die Abwehrgesetzgebung gegen Steuerverschiebungen ist glücklicherweise noch intakt. Es wäre besser gewesen, daran zu feilen, die Gesetze schlanker, griffiger und zielgenauer zu machen und die dahinterstehende Bürokratie zu entschlacken.
Deutschland wird nie zu einem Niedrigsteuerland.
Aber nun geht natürlich die Debatte über Steuersenkungen wieder los, weil der Standort Deutschland diesbezüglich sehr unattraktiv ist.
Wir müssen uns aber klarmachen. Deutschland wird nie zu einem Niedrigsteuerland. Das ist auch gar nicht nötig, weil der Standort andere Vorteile hat, die höhere Steuern rechtfertigen wie unser großer Markt, Rechtssicherheit, Qualität der Facharbeiter usw. Wir dürfen uns beim Standortvergleich zudem nicht zu sehr auf die Unternehmensbesteuerung konzentrieren, sondern müssen auch auf die Arbeitskosten blicken, die zu einem großen Teil auch vom Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungen bestimmt werden. Das lässt viele Unternehmer noch eher ihr Heil im Ausland suchen bei neuen Standortinvestitionen als der pure Vergleich der Unternehmenssteuern.
Die Mindeststeuer ist nach Ihren Worten auch deshalb so attraktiv und öffentlichkeitswirksam, weil sie dem Wunsch nach Steuergerechtigkeit in der Gesellschaft entgegenkommt. Wie kann man diesen Wunsch ohne Mindeststeuer befriedigen?
Wir brauchen ein neues Steuerregime, einen neuen Steuermix. Der technologische Wandel samt Digitalisierung erlaubt es ja, die Wertschöpfungskette immer mehr aufzuspalten. Die Entwicklung innerhalb der Unternehmen findet nicht mehr an einem Ort statt, schon gar nicht in einem Land, auch die Produktion wird entzerrt und verteilt – nur der Markt ist gleichgeblieben.
Der Mehrwertsteuer muss künftig eine größere Bedeutung zukommen.
Was hat das für Folgen?
Der Mehrwertsteuer muss künftig eine größere Bedeutung zukommen. Vor allem muss sie hinsichtlich digitaler Geschäftsmodelle konsequenter umgesetzt werden. Hier steht der Fiskus noch weitgehend am Anfang – noch zu viele Steuerpflichtige kommen hier steuerfrei weg. Eine stärker konsumbasierte Besteuerung käme sowohl der Bedeutung und Größe unseres Marktes näher, als auch der globalen Steuergerechtigkeit. Denn im digitalen Sektor werden noch mehr Dienstleistungen in Niedrigsteuerländern und unter arbeitsrechtlich fragwürdigen Umständen erbracht als im materiellen Sektor.
Wie könnte man aber die Besteuerung umsetzen in einem Bereich, der sich fluid über Ländergrenzen bewegt und dem oft kein physischer Produktionsort zugeschrieben weden kann?
Die Dienstleistungen werden in der Regel ja nicht bar bezahlt. Transaktionsdaten sind vorhanden. Und wenn man den Steueranspruch durchsetzen will, kann man Dritte in die Steuererhebungspflicht nehmen. Bei der Lohnsteuer sind das die Unternehmen, bei der Kapitalertragsteuer die Banken und bei digitalen Geschäften wären das die Zahlungsdienstleister.
Mit der Digitalisierung der Geschäftsmodelle sieht sich der Fiskus Phänomen gegenüber, auf die es noch keine allumfassende Antwort gibt.
Geschieht das nicht schon?
Nur im Ansatz. Mit der Digitalisierung der Geschäftsmodelle sieht sich der Fiskus Phänomenen gegenüber, auf die das Steuerrecht und die Steuererhebung bisher noch keine allumfassende Antwort haben. Obendrein gibt es nicht die Strukturen, um den Herausforderungen durch die Digitalisierung der Geschäfts- und Verkaufsprozesse gerecht zu werden.
Wo hakt es konkret?
Erst seit vergangenem Jahr muss etwa der Wohnungsvermittler AirBnB sämtliche Transaktionsdaten dem Fiskus melden, der diese dann anderen europäischen Steuerbehörden mitteilt, um etwa die Einnahmen heimischer Anbieter von Wohnungen im Ausland zur Steuer heranzuziehen. Das gilt auch für Ebay, und sollte m.E. auf alle Anbieter digitaler Dienstleistungen und Netzwerke ausgeweitet werden. Das wäre nur gerecht gegenüber dem stationären Handel, der seiner Steuerpflicht kaum entfliehen kann.
Aber würden diese zusätzlichen Einnahmen schon genügen, um eine Senkung der Unternehmenssteuersätze zu finanzieren? Wohl kaum!
Unterschätzen Sie das Volumen des Mehrwertsteueraufkommens nicht! Da kommt schon einiges zusammen. Wenn die Steuern konsequent auch auf digitale Güter erhoben würden, was in modernen Gesellschaften möglich sein müsste, käme man schon auf viele Milliarden. Denken Sie nur an die Kleinunternehmerregel in Europa, bei der bis zu 25.000 Euro jährlich keine Umsatzsteuerpflicht besteht. Das ist obendrein ja eine krasse Wettbewerbsverzerrung gegenüber dem stationären Handel.
Wir sollten über die Erbschaftsteuer sprechen.
Die stärkere Besteuerung digitaler Angebote würde aber nur einen Gerechtigkeitsaspekt bedienen. Noch mehr regen sich die Bundesbürger über die Vermögensungleichheit auf. Doch jeder Steuervorstoß wird hier mit der Drohung zurückgewiesen, das dies Jobs gefährdet und dem Standort schadet.
Wir sollten daher über die Erbschaftsteuer sprechen. Über zwei Drittel der deutschen Vermögen ist auf Erbschaften zurückzuführen. Und trotz Milliardenwerten gehen die allerallermeisten deutschen Unternehmen steuerfrei auf die nächste Generation über. Das ist ungerecht.
Und warum fällt es so schwer, diese Ungerechtigkeit anzugehen?
Weil die entsprechenden Verbände sogleich darüber klagen, dass es Arbeitsplätze kostet. Das kann mir aber keiner erzählen, weil es auch bei der laufenden Regelung bisher kein einziges Unternehmen einen Stundungsantrag gestellt hat. Alle waren also in der Lage, die Steuern zu begleichen, sofern sie durch diverse Begünstigungen überhaupt welche zahlen mussten.
Das ist aber nur ein indirektes Indiz.
Das Bundesverfassungsgericht hat zuletzt klargestellt, dass es keinen Anhaltspunkt hat, dass die Erbschaftsteuer Betriebe gefährden würde – gerade, weil die Steuer gestundet werden kann. Es scheint also eher politisch und gesellschaftlich gewollt zu sein, Unternehmenserbschaften zu begünstigen. Aber es besteht aus meiner Sicht eigentlich kein Grund dafür, Milliardenvermögen zu schonen. Schon jetzt gibt es Begünstigungen, die ich nicht nachvollziehen kann.
Man kann ein Milliardenunternehmen selbst dann steuerfrei übergeben, wenn im Depot 500 Mill. Euro flüssige Mittel zur Verfügung stehen.
Welche wären das etwa?
Ein Vermögen bis 26 Mill. Euro darf steuerfrei übertragen werden. Liegt es höher, gibt es eine Verschonungsbedarfsprüfung. Und die legt noch eine Begünstigung drauf: Denn wenn die Hälfte des nicht unternehmerischen Vermögens nicht ausreicht, die Steuer zu bezahlen, bekomme ich die ganz erlassen. Und die dann herangezogenen Verfahren ermöglichen rein rechnerisch, dass man ein Milliardenunternehmen selbst dann steuerfrei übergeben kann, wenn im Depot 500 Mill. Euro flüssige Mittel zur Verfügung stehen. Das ist ungerecht. Warum nicht zumindest die Hälfte nehmen? Oder die Steuer abstottern lassen?
Was wäre dann aus Ihrer Sicht gerecht?
Eine Flat-Tax für Erbschaften. Um sie aufkommensneutral zu gestalten, würden 9% ausreichen, dann ohne jegliche Begünstigungen oder Rücksichtnahmen. Das dürfte aber ein frommer Wunsch bleiben, weil die Widerstände wohl groß wären.
Ein solches Vorhaben (Flat-Tax für Erbschaften) könnte nur die Linkspartei durchsetzen.
Warum? Klingt doch gut – niedrige Besteuerung, gleichhohes Aufkommen, und vor allem mehr auf den Schultern großer Vermögen.
Naja, das ist richtig, aber in der Öffentlichkeit würde man in Unkenntnis der tatsächlichen Belastung wohl heftig kritisieren, dass eine Steuerlast von 9% für Milliardäre wohl zu wenig sei. Tatsächlich kommen sie im etablierten System aber besser weg. Das interessiert viele aber nicht, weil sie eher ideologisch argumentieren, was in der deutschen Öffentlichkeit verfängt. Auch die Wirtschaft dürfte dagegen sein, weil sie befürchtet, dass dann nach Streichung aller Begünstigungen in Zukunft umso leichter an der Steuerschraube gedreht werden kann.
Eine Flat-Tax ist also eher unwahrscheinlich?
Ja, leider. Auch, weil die öffentliche Berichterstattung und Wahrnehmung über Steuerpolitik scheußlich schlecht und ideologisch überfrachtet ist. Eigentlich könnte ein solches Vorhaben nur die Linkspartei umsetzen, weil man ihr glauben würde, dass sie Milliardäre gewiss nicht begünstigen will.
Das Interview führte Stephan Lorz.
Das Interview führte Stephan Lorz.