Bundestagswahl 2021

Worauf es jetzt für die Wirtschaft ankommt

Coronakrise, Klimawandel, Digitalisierung, Modernisierung der Sozialsysteme: Die künftige Bundesregierung steht vor enormen kurzfristigen und strukturellen Herausforderungen.

Worauf es jetzt für die Wirtschaft ankommt

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Das große Schreckgespenst der deutschen Wirtschaft, eine rot-grün-rote Bundesregierung, ist mit dem Wahlabend vom Tisch. Alles andere aber scheint noch offen – das gilt sowohl für die künftige Regierungskoalition überhaupt, aber das gilt auch für die Frage, wie lange die Parteien brauchen werden, diese neue Koalition zu bilden. Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft? Wie steht sie überhaupt da? Und worauf kommt es für sie künftig an?

Grundsätzlich gibt es kaum etwas, das Wirtschaftsakteure mehr fürchten als Unsicherheit. Eine lange Regierungsbildung mit ungewissem Ausgang ist da also sicher nicht das, was sich Unternehmen & Co. wünschen. Zugleich zeigt die jüngere Vergangenheit aber auch, dass längere Regierungsbildungen in Staaten wie Belgien, Spanien oder den Niederlanden nicht zum Problem für die je­weilige Volkswirtschaft wurden – zumindest solange sich kein dramatischer Politikwechsel abzeichnete. Diese Länder fielen in diesen Phasen wirtschaftlich kaum zurück und toppten gar den Euro-Wachstumstrend, wie die Berenberg Bank in einer Analyse vorgerechnet hat. Als etwa Belgien in den Jahren 2010 und 2011 541 Tage zur Regierungsbildung brauchte, wuchs demnach das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in dieser Phase um 2,2% und damit stärker als der Euro-Durchschnitt (1,7%).

„Die europäischen Verwaltungen kommen nicht zum Stillstand, nur weil es keine neue Regierung gibt: In der Regel gibt es eine geschäftsführende Regierung, die zwar nur begrenzte gesetzgeberische Befugnisse hat, um tiefgreifende Änderungen vorzunehmen, aber in der Lage ist, den laufenden Betrieb des Landes aufrechtzuerhalten“, sagt Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding. „Außerdem verfügen in vielen Fällen auch die lokalen und regionalen Regierungen über weitreichende Befugnisse, so dass ein Vakuum auf zentraler Regierungsebene kein großes Problem darstellt.“

G7-Präsidentschaft steht an

Im Falle Deutschlands haben nun auch beide Hauptkontrahenten, Olaf Scholz von der SPD und Armin Laschet von der CDU, erklärt, bei den anstehenden Gesprächen möglichst rasch zu einem Ergebnis kommen zu wollen. Laschet verwies dabei explizit auch darauf, dass Deutschland im Jahr 2022 die Präsidentschaft der sieben wichtigsten Industriestaaten (G7) innehat und es dann eine handlungsfähige Regierung in Berlin brauche.

Tatsächlich wäre aber auch eine politisch induzierte Belastung aktuell ganz gewiss nicht das, was die deutsche Wirtschaft braucht. Die Dynamik hat sich zuletzt schon merklich abgekühlt. Wenige Tage vor dem Wahlsonntag hatte das Münchener Ifo-Institut gemeldet, dass sich das viel beachtete Ifo-Geschäftsklima im September den dritten Monat in Folge abgeschwächt hat – was normalerweise als Zeichen einer konjunkturellen Trendwende interpretiert wird. Neben der Corona-Pandemie sind es vor allem die weltweiten Lieferengpässe bei vielen Rohstoffen und Vorprodukten, die speziell die deutsche Industrie ausbremsen. Im dritten Quartal könnte die deutsche Wirtschaft noch einmal stärker gewachsen sein als im zweiten mit 1,5%. Für das Schlussquartal 2021 zeichnet sich aber eine deutliche Abkühlung ab. Womöglich reicht es allenfalls zu einem minimalen Plus.

Noch aber scheint es keinen Grund für übertriebene Sorgen zu geben. Wenn zuletzt reihenweise Ökonomen ihre Prognosen für 2021 gesenkt haben, dann war das in der Regel verbunden mit einer Aufwärtsrevision für 2022. Der kräftige Aufschwung scheint also nicht zu Ende, sondern eher vertagt. Die Industrieländerorganisation OECD etwa hat unlängst für dieses und nächstes Jahr 2,9% und 4,6% Wachstum prognostiziert. Bereits im Sommer oder aber im Herbst dieses Jahres könnte die deutsche Wirtschaft ihr Vorkrisenniveau erreichen, so die Bundesbank.

Mit welcher Regierungskoalition absehbar das meiste Wirtschaftswachstum zu erwarten sei, hatten deutsche Ökonomen schon vor der Wahl gesagt: mit Schwarz-Gelb. 44% der von Ifo-Institut und FAZ befragten 153 Teilnehmer äußerten sich in diese Richtung – wohlwissend, dass diese Option absehbar nicht mehrheitsfähig war. Interessant: Die jetzt diskutierten Optionen, die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP und die Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP, lagen in der Umfrage mit 18% gleichauf.

Verschuldung stark gestiegen

In jedem Fall steht die künftige Bundesregierung vor schwierigen Entscheidungen und großen Herausforderungen, wie lange sie an welchen Corona-Stützungsmaßnahmen festhalten will. In der Krise hat Berlin die umfangreichsten Finanzhilfen in der Ge­schichte der Bundesrepublik beschlos­sen. Allein das im Juni 2020 aufgelegte Konjunkturprogramm be­lief sich auf 130 Mrd. Euro. Dadurch ist die staatliche Verschuldung deutlich angestiegen. 2020 legte sie auf 69,8% des BIP zu. Und für die nächsten Jahre geht das Bundesfinanzministerium von einem weiteren Anstieg aus.

Daneben ist die neue Koalition konfrontiert mit enormen strukturellen Herausforderungen. Das gilt zum einen für den Kampf gegen den Klimawandel. Bis 2030 will Deutschland gegenüber 1990 mindestens 65% Treibhausgase einsparen. Wie genau das zu schaffen sein wird, ist aber bislang unklar. Der Industrieverband BDI pocht darauf, „das empfindliche Gleichgewicht zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem im Blick zu behalten“.

Zum anderen ist da die Digitalisierung, bei der Deutschland weltweit hinterherhinkt – wie auch die Pandemie noch einmal deutlich gezeigt hat. „Wir müssen Deutschland mit starken Anreizen für private Investitionen in neue Klimatechnologien und die Digitalisierung zukunftsfähig machen“, sagte der Frankfurter Wirtschaftsweise Volker Wieland der Börsen-Zeitung schon am Wahlabend.

Eine dritte langfristige Herausforderung stellt die Modernisierung der Sozialsysteme dar – insbesondere der Rentenversicherung. Zu groß ist der Druck durch die Demografie, zu groß sind die Sorgen der Bürger. Bislang hat die Politik davor zurückgeschreckt, dieses Thema anzupacken – auch im Wahlkampf. Nach der Wahl muss sich das ändern.

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