Im BlickfeldTherapiedurchbruch mit Abnehmspritzen

Aufbruchstimmung im Kampf gegen Fettleibigkeit

Übergewicht wurde lange nicht als Krankheit anerkannt, doch neue Medikamente wecken Hoffnung in der Behandlung von Adipositas.

Aufbruchstimmung im Kampf gegen Fettleibigkeit

Aufbruchstimmung im Kampf gegen Fettleibigkeit

Neue Wirkstoffe gegen Stoffwechselstörungen wecken Hoffnung in der Behandlung der chronischen Krankheit Adipositas.

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Der am 4. März begangene Welt-Adipositas-Tag hat zuletzt daran erinnert, dass die Anzahl stark übergewichtiger Menschen weltweit rasant zunimmt. Nach einem Bericht der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ sind global mehr als 1 Milliarde Personen an Fettleibigkeit erkrankt, rund 2,5 Milliarden gelten als übergewichtig. Die Zahl der Betroffenen hat sich seit 1990 verdoppelt, unter Heranwachsenden zwischen 5 und 19 Jahren sogar vervierfacht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von einer Epidemie. Fast als Wundermittel im Kampf gegen Adipositas werden derzeit sogenannte Abnehmspritzen gefeiert mit einem vielversprechenden Wirkstoff, der ursprünglich gegen Diabetes entwickelt wurde. Es könnte ein neuer Goldstandard in der Medizin werden.

Heißumworbener Markt

Der Erfolg von neuen Therapieansätzen gegen Fettleibigkeit elektrisiert auch den Schweizer Finanzdienstleister Bellevue Asset Management. „Die Behandlung von Übergewicht profitiert wie kaum ein anderes Gebiet von starkem politischen Rückenwind und gleich­zeitig überdurchschnittlichem Wachstumspotenzial“, sagt Portfoliomanager Christian Lach.

In der Diabetestherapie galt mehr als 100 Jahre Insulin als das Maß der Dinge. Es sei aber schon lange bekannt gewesen, dass auch andere Verdauungshormone im Wechselspiel mit Insulin eine wichtige Rolle spielten, erläutert Lach. Diabetes Typ 2 gehe mit einer Stoffwechselstörung einher, bei der die Kommunikation im Körper mit verschiedenen Signalen nicht mehr richtig funktioniere. „Muskeln und Leber stumpfen ab gegen Insulin, die Bauchspeicheldrüse produziert immer mehr Insulin, und es kommt zur Verkettung von Reaktionen: steigender Blutzuckerspiegel, Gefäßschädigung sowie Schädigung von Herz und Niere. Wenn dann noch Übergewicht und zu hohe Blutfettwerte dabei sind, entwickelt sich eine Fettleber und das Risiko von Diabetes“, erklärt Lach, von Hause aus promovierter Biochemiker. Für Fettleibige sei das Risiko für mehr als 200 Krankheiten erhöht, wobei Diabetes Typ 2 zu den bekanntesten zähle.

Die in Zusammenhang mit Abnehmspritzen euphorisch gefeierte Medikamentenklasse der Pharmakonzerne Eli Lilly und Novo Nordisk ahmt die Wirkung des körpereigenen Verdauungshormons GLP-1 nach. „GLP-1 animiert die Bauspeicheldrüse dazu, mehr Insulin zu produzieren, und macht gleichzeitig Muskelgewebe und Leber wieder sensitiver für das Insulin – das ist der wichtigere Effekt“, erklärt Lach. Deshalb sei die GLP-1-Medikamentenklasse zunächst für Diabetes entwickelt und zugelassen worden. Erst Jahre später folgte 2024 die erste Zulassung gegen Fettleibigkeit.

Der Markt ist heißumkämpft. Auch der deutsche Pharmakonzern Boehringer Ingelheim arbeitet gemeinsam mit dem dänischen Biotechunternehmen Zealand Pharma in ähnlicher Wirkstoffklasse an einem Medikament gegen Adipositas. Der Schweizer Pharmakonzern Roche kehrt mit dem Kauf von Carmot Therapeutics für mindestens 2,7 Mrd. Dollar in den Markt für Abnehmmedikamente zurück. Ende Februar 2024 erregte zudem die kalifornische Viking Therapeutics laut Lach Aufmerksamkeit mit einem experimentellen Medikament zur Gewichtsreduktion, das in einer mittleren Studienphase bemerkenswerte Wirksamkeit gezeigt habe.

Breite Wirkung der Substanzen

Die breite Wirkung der Medikamentenklasse sei zunächst unterschätzt worden. Anfangs hätten einige Beobachter behauptet, die Gewichtsabnahme werde von den Nebenwirkungen des Diabetes-Medikaments ausgelöst. Das Mittel löse Übelkeit aus, schlimmstenfalls Erbrechen, und die Patienten hätten deshalb keinen Appetit mehr. „Zehn Jahre später wurde bewiesen, es ist nicht nur der Gewichtseffekt“, sagt Lach.

„Die berühmte Select-Studie von Novo Nordisk hat 2023 gezeigt, dass der Wirkstoff Semaglutid die Sterblichkeit von Fettleibigen mit Vorerkrankungen um 19% reduziert. Erkrankungen wie Herzinfarkt, Hirnschlag, Herzversagen verminderten sich als Kombination um 20%. Das Risiko, Diabetes zu entwickeln, sank mit der GLP-1-Therapie um 70%“, fast Lach die zentralen Studienergebnisse zusammen.

Startschuss für neuen Fonds

Verbessert hätten sich bei den Studienteilnehmern auch die Nierenfunktion, die Blutzucker- und Blutfettwerte sowie die Entzündungswerte. „Das war eine Überraschung, denn die Wirksamkeit von Semaglutid kommt bezüglich der Sterblichkeit an die Wirkung sehr guter Herzmedikamente heran. Das ist für ein Abnehm- und Diabetesmittel erstaunlich.“ Bemerkenswert ist aus Sicht von Lach auch, dass die positiven Gesundheitseffekte in der Studie schon vor Abschluss der Gewichtsabnahme auftraten.

Christian Lach, Portfoliomanager von Bellevue Asset Management. Foto: Bellevue

Die positiven Studienergebnisse seien für Bellevue Asset Management der Startschuss gewesen, ein eigenes Produkt anzubieten, den Bellevue Obesity Solutions Fonds. „Denn zum ersten Mal in der Geschichte der Medizin gelingt es, dass man übergewichtigen oder fettleibigen Risikopatienten mit Vorerkrankungen helfen kann, nicht nur Gewicht zu reduzieren, sondern dies kombiniert mit positivem Effekt auf viele Gesundheitsparameter.“  Das erste Mal in der Geschichte komme man zudem mithilfe von Medikamenten in den Bereich eines Gewichtsverlusts, der früher nur operativ über eine Magenverkleinerung oder einen -bypass erreicht werden konnte.

Über die gesamte Wertschöpfungskette

Der Obesity-Fonds von Bellevue Asset Management beschränkt sich nicht auf die Anbieter der Wirkstoffe, sondern bildet laut Lach die gesamte Wertschöpfungskette ab – vom Medikament über Verpackung, Distribution bis zu Lifestylefirmen, die Ernährungscoaching, Fitnessangebote und spezifische Sportartikel offerieren. Es sei inzwischen auch bekannt, dass das Belohnungszentrum im Stammhirn von Fettleibigen die typischen Muster von Suchterkrankungen zeige. „Damit ist klar, dass Fettleibigkeit nicht verhaltensbedingt ist.“

Nichts für die Lifestyle-Ecke

Inzwischen sei Adipositas offiziell als chronische Krankheit anerkannt. „Es herrscht enorme Aufbruchstimmung in dem Gebiet, viele nachgelagerte Gesundheitseinschränkungen und Begleiterkrankungen lassen sich bessern, wenn man am Grundproblem der Fettsucht ansetzt.“

Für Lach ist es schwer nachzuvollziehen, dass die Medikamentenklasse in der Öffentlichkeit auch in die Lifestyle-Ecke gestellt werde. Aus seiner Sicht geht es um Effekthascherei. Die GLP-1-Antidiabetika würden zwar auch den Appetit bremsen, ein besseres Sättigungsgefühl schaffen und Stoffwechsel und Darm aktivieren. Doch es seien Medikamente mit Nebenwirkungen: „Es ist kein Spaß“. Ein geselliges Zusammensein beim Abendessen könne man nach der Abnehmspritze schwerlich genießen, nach der Vorspeise vergehe einem in der Regel der Appetit.  

„Unser Investmentgedanke ist der medizinisch indizierte Bereich“, stellt Lach klar. „Und dieses Segment ist riesig.“ Weltweit stuft die WHO 40% der Menschen als übergewichtig und fettleibig ein, in den USA mehr als 70% der Bevölkerung. „Die Politik ist sich der direkten und indirekten Folgekosten bewusst: Sie werden global bis zum Jahr 2035 auf 4.000 Mrd. Dollar geschätzt“, sagt Lach. Angesichts der hohen ökonomischen Relevanz gebe es politisch Unterstützung. „Viele internationale Organisationen wie WHO und Unicef sind dabei, mit den Staaten Programme zu erarbeiten, um gegenzusteuern – möglichst schon im Kindesalter.“    

Imposante Dynamik

Der GLP-1-Markt habe 2023 bei rund 36 Mrd. Dollar gelegen. Die Dynamik habe gerade erst begonnen. Lach rechnet bis 2030 mit einem Marktvolumen von 100 Mrd. Dollar. Anfang März beeindruckte Novo Nordisk beim Capital Markets Day mit einem optimistischen Ausblick für ihre Pipelinekandidaten. Die Umsatzprognosen für den globalen Obesity-Markt erhöhten sich daraufhin nochmal deutlich.

Der limitierende Faktor ist  – noch – die Produktionskapazität. Hier gehen die Hersteller der Abnehmspritzen in die Vollen und investieren weltweit in neue Anlagen, um der hohen Nachfrage gerecht zu werden. Novo Nordisk hat Anfang Februar zudem die Übernahme des US-Auftragsfertigers Catalent für 16,5 Mrd. Dollar angekündigt, der bereits Injektionspens für den dänischen Konzern abfüllt.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.