LeitartikelChipindustrie

Auseinanderdriftende Oberklasse

Mit dem Erfolg von Nvidia driften unter den Herstellern von Leistungshalbleitern die Unternehmensbewertungen weiter auseinander. Infineon hat das Nachsehen, weil deren Geschäftsmodell nicht so stark auf KI basiert wie beim Tech-Konzern aus Silicon Valley.

Auseinanderdriftende Oberklasse

Chipindustrie

Auseinanderdriftende Oberklasse

Von Stefan Kroneck

In der schnelllebigen Chipindustrie ging einst Masse vor Klasse. Seinerzeit dominierten Hersteller von Massenware wie Speicherchips den Weltmarkt. Die Branchenzyklen waren extrem, die Ausschläge in der Geschäftsentwicklung enorm. Im Kostenwettbewerb gewannen die Asiaten die Oberhand. Zwischen dem Platzen der Dotcom-Blase 2003 und der Finanzmarktkrise 2009 setzte ein Wandel ein. Die Gewichte verschoben sich: Klasse bekam zunehmend Vorrang vor Masse.

Die Qualität der immer komplexer werdenden elektronischen Bauelemente ist nunmehr ein entscheidender Erfolgsfaktor der Anbieter. Wer in der Forschung und Entwicklung bei hohem Tempo nicht mehr Schritt halten kann, wird von der Konkurrenz verdrängt. Chipdesign ist seitdem die Grundlage für die Geschäftsmodelle. Darauf basierend sind Leistungschips essenziell für die Wettbewerbsfähigkeit eines Halbleiterkonzerns. Ohne diese Kompetenz wären die Unternehmen in ihrer Existenz bedroht.

Zwar tragen auf Langfristverträgen basierende Lieferungen von Leistungshalbleitern dazu bei, die starken Branchenzyklen abzumildern, allerdings sorgt der fortwährende Wandel der Technik für einen stetigen Anpassungsbedarf. Gab noch vor Jahren die moderne Telekommunikation den Takt vor, sind heute die dominierenden Themen die Dekarbonisierung, die Elektromobilität und die künstliche Intelligenz (KI).

Wer auf diesen drei Feldern gut unterwegs ist, zählt zur Oberklasse in der Chipindustrie. Das führt aber in diesen Segmenten nicht zu einem Gleichklang bei den Unternehmensbewertungen an den Kapitalmärkten – das Gegenteil ist der Fall. Die Bewertungen driften auseinander. Das verdeutlicht der Hype um die KI: Auf KI basierende Geschäftsmodelle von Tech-Unternehmen finden bei den Anlegern derzeit einen viel größeren Anklang als Strategien, die auf Energieeffizienz und Elektromobilität bauen. Das zeigt ein Vergleich zwischen Nvidia und Infineon. Der US-Technologiekonzern, der sich mit Grafikkarten und Hochleistungschips auf KI ausrichtet, ist mit einer Marktkapitalisierung von umgerechnet 1,1 Bill. Euro 26-mal so schwer wie der größte deutsche Halbleiterhersteller, der auf 43 Mrd. Euro kommt. Der Rausch um KI brachte jüngst die Aktie von Nvidia auf Rekordniveau. Seit Jahresbeginn ging das Papier um über 250% durch die Decke. Der Titel von Infineon verzeichnete im gleichen Zeitraum ein Plus von nur 15%.

An der Börse rangiert der mittlerweile am höchsten bewertete Chipkonzern der Welt auf dem Niveau von Amazon, aber noch deutlich hinter den teuersten US-Unternehmen Microsoft (2,2 Bill. Euro) und Apple (2,6 Bill. Euro). Sind solche extremen Bewertungsunterschiede wie zwischen Nvidia und Infineon gerechtfertigt? Fakt ist, dass Nvidia für Kursfantasie bei den Investoren sorgt, die geradezu euphorisch reagieren. Mit Blick auf die Fundamentaldaten sowie die Chancen und Risiken ist dies nachvollziehbar.

Besonders auffällig ist, dass Nvidia deutlich
profitabler ist als Infineon. Der nach dem Umsatz dreimal so große US-Konzern erwirtschaftete im zurückliegenden Quartal mit überragenden 50% eine operative Marge, die der eines Monopolisten gleicht. Infineon erzielte beachtenswerte 26%. Moderne Anwendungen im Bereich der KI im Silicon Valley funktionieren derzeit nur in Kombination mit Chips von Nvidia. Das sorgt für Unternehmensrekorde. Es verschafft Firmengründer und CEO Jensen Huang eine Vormachtstellung. Nvidia nutzt diesen Vorteil aus.

Infineon agiert mit ihrer Kernsparte Automotive hingegen auf einem Feld, auf dem die Margen nicht in den Himmel wachsen. Der Wettbewerb ist stark, die Einkaufsmacht der Autoindustrie ist groß. Zugleich sorgt der Subventionswettlauf beim Aufbau von Kapazitäten für einen Bewertungsabschlag. Denn ein daraus resultierender Angebotsüberhang könnte die Umsatzrendite drücken. Für Nvidia ist das kein Thema, lassen die Amerikaner doch bei Auftragsfertigern wie TSMC produzieren. Solange Nvidia weiter über diese Vorteile verfügt, wird der Konzern andere Branchenadressen auf deutlichem Abstand halten.

Die deutlich höhere Marktbewertung von Nvidia gegenüber Infineon beruht auf einer höheren Profitabilität.