Im BlickfeldBrauereien unter Druck

Bier geht immer (weniger)

In Deutschland fällt der Pro-Kopf-Verbrauch an Bier seit vielen Jahren. 2024 ist er auf ein Tief gesunken. Während deutschen Anbietern Preissetzungsmacht fehlt, trifft das die weltgrößten Brauereikonzerne kaum; sie sind auf dem sechstgrößten Biermarkt der Welt unterrepräsentiert. Anheuser-Busch Inbev, Heineken und Carlsberg haben eigene Sorgen.

Bier geht immer (weniger)

Im Blickfeld

Bier geht immer (weniger)

Die Nachfrage nach klassischem Bier schwindet. In Deutschland trinken heute besonders junge Menschen mehr Mineralwasser, Energy-Drinks und Fruchtsäfte als früher. Nur alkoholfreies Bier und Mix-Getränke sind noch angesagt. Auch in den meisten anderen Regionen der Welt sinkt inzwischen der Bierkonsum. Das spiegelt sich in der Bewertung der großen Brauereikonzerne.

Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt

Jetzt auch noch schlechtes Wetter. Auf dem deutschen Markt scheint sich alles gegen die Bierproduzenten verschworen zu haben. Als wären steigende Kosten nicht schon Belastung genug, auf die wegen sinkender Nachfrage bei gleichzeitig hartem Wettbewerb nicht oder nur inadäquat mit Preissteigerungen reagiert werden kann.

Abgesehen von den ersten Tagen, als die Temperaturen weit über 30 Grad Celsius lagen, war der Juli in Deutschland so mild wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Vor allem aber war er nass. Gefühlt folgte den ganzen Monat über Regenschauer auf Regenschauer. Und der August startete genauso. Für die Brauereien ist das verheerend. Denn gerade im Sommer treffen sich Menschen gern unter freiem Himmel – in großen Biergärten oder kleinen Gartenlokalen, auf dem Marktplatz oder zum Grillen im Garten. Und was wird da getrunken? Natürlich Pils, Weizen, Alt oder ein Craftbeer, also ein Bier, das in überschaubaren Mengen von kleinen Brauereien hergestellt wird. Es sei denn, das Wetter macht einen Strich durch die Rechnung.

Regen verdirbt Freiluftsaison

Einen Strich durch ihre Absatzprognosen – sowohl für das Sommerquartal als auch für das Gesamtjahr – dürften nun viele deutsche Brauereien machen. Selbst mit fortan schönem Wetter lässt sich die entstandene Absatzlücke nicht mehr schließen. Ohnehin stehen die Bierproduzenten hierzulande stark unter Druck. Seit vielen Jahren ist der Absatz rückläufig. Nach Zahlen des Deutschen Brauer-Bundes ist der Pro-Kopf-Absatz 2024 auf 88,0 (i.V. 89,3) Liter gesunken. Das ist so wenig wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Aufgeschlüsselt nach alkoholhaltig und -frei zeigt sich allerdings, dass der Pro-Kopf-Verbrauch von Bier ohne Alkohol von 8,0 auf 8,3 Liter gestiegen ist; das ist ein Rekordwert. Es ist also nur das klassische Bier mit Alkohol, das immer weniger getrunken wird.

In Deutschland trinken heute besonders junge Menschen mehr Mineralwasser, Energy-Drinks oder Fruchtsäfte als früher. Wenn schon Bier, dann oft als Mix-Getränk. Ältere Semester greifen ohnehin seltener zu Bier. Dadurch sinkt insgesamt der Absatz traditioneller alkoholhaltiger Sorten. Dem Trend zu gesünderen oder „exotischen“ Biervarianten folgend, bringen die Brauereien neue Marken auf den Markt und erhöhen ihren Ausstoß an alkoholfreiem Bier oder Mix-Getränken zu Lasten klassischer Sorten. Das Problem: Der steigende Verkauf solcher Angebote gleicht die Einbußen beim althergebrachten Bier nicht aus.

Was ist ein typisches Biermischgetränk?

Als das Biermischgetränk gilt Radler (im Norden Deutschlands: Alster); dabei wird Pils oder Helles Bier mit Zitronenlimonade gemischt – oder mit Mineralwasser, dann heißt es Saures Radler. Verwandte sind u.a. Diesel (Bier/Cola) und Berliner Weiße mit Schuss (Berliner Weißbier mit Fruchtsirup).

Radeberger-Gruppe ist Marktführer

Hierzulande liegt die Radeberger-Gruppe gemessen am Ausstoß (10,4 Millionen Hektoliter) mit einigem Abstand vor der TCB Beteiligungsgesellschaft (7,5 Mill. hl). In der vom Hopfenhändler Barth Haas erstellten und stark beachteten Rangliste der weltgrößten Bierproduzenten reicht das aber nur für die Plätze 23 und 28. Mit geringer Distanz zueinander folgen Oettinger, Paulaner, Krombacher und Bitburger an 30. bis 33. Stelle. Zwei Unternehmen, die es in den vergangenen Jahren zeitweise in die Top 40 geschafft hatten, sind in der Rangliste für 2024 nicht vertreten: Veltins und Warsteiner.

Wer ist Barth Haas und welche Rolle spielt das Unternehmen für die Bierproduktion?

Das Familienunternehmen Barth Haas (Eigenschreibweise: BarthHaas) ist der weltweit führende Anbieter von Hopfen und Dienstleistungen rund um diesen Agrarrohstoff, der neben Wasser, Malz und Hefe zu den traditionellen Zutaten von Bier zählt. Diese vier Ingredienzien werden seit dem Erlass des Reinheitsgebots von 1516 zur Bierherstellung verwendet und sind auch heute noch die Grundlage für viele Biersorten. Die jährlich von Barth Haas erstellte Rangliste der weltgrößten Bierproduzenten nach Ausstoß - das Merkmal, das in der Branche für Vergleiche mehr Beachtung findet als der Umsatz - wird auch international aufmerksam verfolgt.

Die dem Oetker-Konzern gehörende Radeberger-Gruppe hat rund 60 Biermarken im Portfolio. Zu den bekanntesten Marken zählen Radeberger, Jever, Binding, Ur-Krostitzer, Schöfferhofer, Clausthaler (alkoholfrei) sowie der Mineralbrunnen Selters und der Limonadenhersteller Bionade. Zur Paulaner-Gruppe gehört neben sieben Marken (u.a. Paulaner und Hacker-Pschorr) die Privatbrauerei Schmucker aus dem Odenwald. Krombacher produziert nicht nur die gleichnamige Marke, sondern hat auch die Vertriebs- und Markenrechte für Schweppes, Dr Pepper und Orangina für den deutschen Markt inne. Die Bitburger-Gruppe umfasst u.a. die Marken Bitburger, König Pilsener, Köstritzer und Licher.

Marken versus Billig-Labels

Während Radeberger, Paulaner, Krombacher und Bitburger so genannte Markenhersteller sind, die viel Geld in Werbung und Image investieren, konzentrieren sich TCB (Gilde in Hannover, Frankfurter Brauhaus, Feldschlößchen in Dresden) und Oettinger mit ihren Billigbieren auf das Preiseinstiegssegment. Oettinger bietet unter dieser Marke zahlreiche Biersorten an. Dagegen bezeichnet sich die in Frankfurt (Oder) ansässige TCB, die Beteiligungen an verschiedenen Brauereien und Getränkeunternehmen hält, als Europas größten Private-Label-Bierproduzenten. So kommen viele Bier-Handelsmarken aus Brauereien von TCB.

Grundsätzlich ist die Treue der Konsumenten zu „ihrer“ Biermarke groß. Doch steigende Preise und eine negative Gemengelage (Konjunkturerwartungen, politisches und gesellschaftliches Umfeld) können dazu führen, dass auch Stammkunden ihrer Marke den Rücken kehren und zu billigeren Bieren greifen. Dieser Gefahr sind sich die Brauereien bewusst, daher führen sie Preiserhöhungen derzeit nur durch, wenn sie zur Kostendeckung unumgänglich sind. Das kollidiert jedoch mit dem Ziel, die Kapazitäten zu einem Mindestmaß auszulasten, denn tendenziell gilt auch hier: Je höher der Preis, desto geringer die Nachfrage.

Daneben belastet die Brauereien in Deutschland noch eine Besonderheit: Im Lebensmittel-Einzelhandel war Bier im ersten Halbjahr 2025 laut Marktguru – wieder einmal – die bei weitem am häufigsten mit Sonderangeboten beworbene Warengruppe. In der Branche ist man darüber alles andere als glücklich. Aus Sicht von Edeka, Rewe, Lidl, Aldi & Co. ist das zwar nachvollziehbar, denn Bier ist ein Verkaufsmagnet. Aber die Folge ist, dass sich Kunden an die Rabattaktionen gewöhnen. Gemäß dem Marktforscher NIQ kaufen Konsumenten der großen Pilsmarken etwa zwei Drittel des Flaschenbiers zu Aktionspreisen. Vor diesem Hintergrund sind Preiserhöhungen, wie sie Krombacher und Veltins vor kurzem angekündigt haben, nur schwer durchzusetzen.

Weltmarktführer in Deutschland unterrepräsentiert

Die großen Brauereigruppen in Deutschland sind allesamt in privater Hand; aktuelle Ergebnisse werden nicht publiziert. Anders sieht es bei den weltgrößten Bierkonzernen aus. Anheuser-Busch Inbev (AB Inbev), Heineken und Carlsberg sind börsennotiert. Sie trifft das bislang schwache Sommergeschäft in Deutschland aber kaum; sie sind auf dem sechstgrößten Biermarkt der Welt stark unterrepräsentiert. Lediglich AB Inbev hat mit Beck´s eine Marke, die hierzulande zu den zehn am meisten verkauften gehört. Zum Jubeln haben die Nummer 1, 2 und 4 in der Rangliste von Barth Haas dennoch keinen Grund, denn nun beginnt der Absatz auch andernorts zu bröckeln.

Kurseinbrüche bei AB Inbev und Heineken

In der vergangenen Woche veröffentlichten AB Inbev und Heineken ihre Halbjahresberichte. Beide kamen nicht gut an. Am Tag der Veröffentlichung brach die Aktie von Heineken an der Euronext Amsterdam um mehr als 8% (Montag) und die von AB Inbev an der Euronext Brüssel um fast 10% (Donnerstag) ein; beim Branchenführer wurden so mehr als 10 Mrd. Euro Marktkapitalisierung ausradiert. Wie AB Inbev mitteilte, seien die konzernweit abgesetzten Mengen im zweiten Quartal organisch – also ohne Währungseffekte sowie Zu- und Verkäufen von Unternehmensteilen – um 2% gesunken. Dagegen hatten von Bloomberg befragte Analysten im Schnitt mit einem leichten Zuwachs gerechnet.

Damit setzte sich die Verkaufsschwäche aus den vergangenen Kalendervierteln fort. Die deutlichsten Einbußen gab es in Südamerika und der Asien-Pazifik-Region. Allein in Brasilien, wo der im belgischen Löwen ansässige Konzern Marken wie Brahma und Skol vertreibt und Marktführer ist, brachen die Bierverkäufe um 9% ein. Der Konzern begründete dies mit schlechtem Wetter. Und in China – einem wegen der gesunkenen Konsumlaune ebenfalls schwierigen Markt – gingen die Volumina über das gesamte Getränkeportfolio gesehen um mehr als 7% zurück.

Überdies bekam das Unternehmen im Umsatz die ungünstige Wechselkursentwicklung zu spüren: Der Erlös sank um rund 2% auf etwa 15 Mrd. Dollar; zu konstanten Wechselkursen wäre er um 3% geklettert. Immerhin kletterte dank Einsparungen der Nettogewinn um fast 14% auf 1,68 Mrd. Dollar, und CEO Michel Koukeris betonte, AB Inbev dürfte die Jahresziele erreichen, auch wenn das Umfeld „dynamisch“ bleibe.

Konzentration auf Leitmarken

AB Inbev nennt mehr als 500 Marken ihr eigen. Deutschlandweit sind neben Beck´s vor allem Franziskaner und Corona bekannt. Darüber hinaus gibt es regionale Marken wie Hasseröder, Löwenbräu, Spaten und das Altbier Diebels. Als seine globalen Marken bezeichnet der Konzern Budweiser und Michelob Ultra (beide USA), Corona Extra (Mexiko) und Stella Artois (Belgien).

Gegenwärtig vollziehen die großen Brauereigruppen einen strategischen Kurswechsel: Nach den Erfahrungen mit Russland – u.a. wurden Heineken und Carlsberg dort quasi enteignet – setzen sie nicht länger auf geografische Diversifikation und Übernahmen von regionalen Brauereien und Craftbeer-Produzenten, sondern konzentrieren sich zunehmend auf ihre Leitmarken.

Heineken verliert in Kernregionen

Heineken, die Nummer 2 auf dem Weltbiermarkt, verzeichnete im zweiten Quartal einen Absatzrückgang um 0,4%, was stärker war als Analysten erwartet hatten. Hauptursache waren sinkende Verkäufe in Europa und Amerika – den wichtigsten Märkten. In Frankreich, den Niederlanden und Spanien hätten die Niederländer mit regionalen Einkaufsorganisationen länger als erwartet, bis ins zweite Quartal hinein, über Preise gestritten. Das habe Umsatz gekostet. Immerhin habe der steigende Absatz in Asien und Afrika zu einem Betriebsergebnis geführt, das über der Konsenserwartung lag.

China führt im Länder-Ranking klar

Vergleicht man den Bierausstoß in den Ländern, liegt China mit einer Produktion von 341 Mill. hl im Ranking ganz vorn. Mit großem Abstand folgen die USA auf Platz 2 (184,5 Mill. hl). Dahinter, fast gleichauf, folgen Brasilien und Mexiko mit jeweils knapp 150 Mill. hl. Russland auf Rang 5 hat 2024 erstmals Deutschland überholt, das seit 2013 die Liste anführte, und ist nun größter Bierproduzent Europas.

Interessant und aufschlussreich – weil es verdeutlicht, wie groß die Brauereigruppen sind – ist der Vergleich zwischen dem Bierausstoß von Ländern und Konzernen: In China, dem nach Bierausstoß führenden Land in der Welt, wird fast ein Drittel weniger produziert als in den Brauereien von AB Inbev (496 Mill. hl). Der drittgrößte Bierproduzent der Welt, die China Resources Snow Breweries (rund 109 Mill. hl), sorgt rechnerisch für jedes dritte Bier in China. Und Heineken würde in einer kombinierten Länder-Konzerne-Rangliste – in der es natürlich Doppelzählungen gäbe – mit ihren 241 Mill. hl hinter AB Inbev und China, aber vor den USA, auf Platz 3 rutschen.