Notiert in Schanghai

Chinas Su Super Sommermärchen

Chinas Fußballnationalmannschaft bringt nichts als Kummer. Mit der WM-Teilnahme ist es wieder Essig. Prompt öffnet sich eine neue Tür. Der Weg zum rauschenden Sommermärchen führt über die Provinzkicker der Jiangsu Super League.

Chinas Su Super Sommermärchen

Notiert in Schanghai

Chinas Su Super Sommermärchen

Von Norbert Hellmann

Einem reservierten chinesischen Gesprächspartner ausdrucksstarke Gebärden zu entlocken ist kinderleicht. Man muss ihn nur ganz unschuldig auf die heimische Fußball-Nationalmannschaft ansprechen. Schon stößt man auf ein schier unerschöpfliches Reservoir an Ausdrucksformen der Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Resignation gepaart mit Wut, Enttäuschung, Ironie und Galgenhumor. Neue Wortkombinationen reichern das Schimpfwörterlexikon an. Kaskaden an verächtlichen Gesten und Grimassen werden mit Zischlauten, Schnauben und röchelnden Geräuschen untermalt.

Schmach ohne Ende

Auch die diesmalige Qualifikationsrunde für die WM 2026 hat nichts als Schmach gebracht. Erstmals werden 48 Mannschaften zugelassen, das bringt deutlich mehr Qualifikations-Slots für asiatische Teams. Da jedoch trotz einer Handvoll eingebürgerter Brasilianer auch gegen Indonesien oder Bahrain das Runde nicht ins Eckige wollte, müssen die Teilnahmeträume wieder begraben werden.

Aber es gibt ein Kontrastprogramm. Das Zauberwort für aufgehellte Mimik lautet „Su Chao“ oder „Su Super League“. Wer immer es hört, beginnt zu strahlen und von einer neuen Zukunft zu sprechen. Es ist die Kurzformel für die neue aus dem Boden gestampfte Jiangsu City Football League, einem Turnier auf „Grassroots-Level“ der führenden 13 Städte in der Provinz Jiangsu.

Lokalpatriotismus siegt

Jedes Wochenende laufen sechs Begegnungen unter den bunt aus Halbprofis, Amateuren, Studenten, Reservespielern von etablierten Liga-Mannschaften sowie Jugendtalenten zusammengewürfelten Städteteams. Ab September kommt es dann zur Finalrunde. Es gibt keine Verträge, keine Prämien und kein kommerzielles Geschacher. Lokalpatriotismus, Spielfreude und die Ehre, die Heimatstadt zu vertreten, stehen im Vordergrund. Die Eintrittskarten für die Spiele sind mit etwa 10 Yuan (1,30 Euro) spottbillig, die Stadien proppenvoll. Das fußballerische Niveau mag bescheiden sein, aber die Stimmung auf den Rängen ist bombastisch.

Tourismus-Kracher

Die Jiangsu-Liga entpuppt sich gar als Massentourismus-Magnet. Um die mittlerweile schwer zu ergatternden Tickets werden Programme von Reiseveranstaltern gestrickt. Jiangsu erlebt einen neuen „Kulturtourismus“ mit Fußball und Partyatmosphäre als Hauptgericht und kulinarischer Verwöhnung mit lokalen Spezialitäten als Beilage. Für Public Viewing ist ebenfalls gesorgt. Überall locken Einkaufszentren mit Live-Übertragungen auf dem Großbildschirm.

Alle mit dabei

Das Provinzspektakel Su Super League wird zum nationalen Phänomen. Ganz China ist mit von der Partie, diskutiert Spielverläufe und Tabellenstände und weiß plötzlich über jede Facette von Teams Bescheid, die es vor kurzem gar nicht gab. Die Zuschauerzahlen liegen öfters über denen der Partien etablierter Erstliga-Proficlubs, die Einschaltquoten für Live-Übertragungen sowieso. Hunderte Millionen Einträge auf sozialen Medien sorgen für Diskussionsstoff. Der Fußballsommer ist sowas von gerettet.

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