Italien

Das Ende der Mega­subvention

Seit Jahren können italienische Immobilienbesitzer auf Staatskosten ihre Häuser sanieren lassen. Doch damit ist jetzt Schluss, denn den staatlichen Selbstbedienungsladen finanzierten die Steuerzahler. Die Baubranche schlägt Alarm.

Das Ende der Mega­subvention

Italien war in den vergangenen zweieinhalb Jahren ein Paradies und ein gigantischer Selbstbedienungsladen für Immobilieneigentümer und Bauunternehmen. Wer sein Haus oder seine Wohnung dämmen, neue Fenster oder Solaranlagen einbauen oder das Dach isolieren ließ, musste dafür keinen Cent ausgeben. Der mit 145% des Bruttoinlandsprodukts hoch verschuldete italienische Staat zahlte alles – und zwar unabhängig von Kosten oder Einkommenssituation des Auftraggebers.

Doch angesichts der gewaltigen Kostenexplosion und unkalkulierbaren Kosten für die Staatskasse hat Ministerpräsidentin Giorgia Meloni jetzt die Reißleine gezogen – nicht zuletzt, weil auch das europäische Statistikamt Eurostat vor einem bedenklichen Anstieg des Defizits warnte. Auf bis zu 120 Mrd. Euro summieren sich die Kosten für die Steuerzahler. Laut Meloni kostet die großzügige Unterstützung einiger weniger jeden Italiener rund 2000 Euro. Die Steuerzahler in Europa sind auch dabei: Mit rund 15 Mrd. Euro finanzierten sie die Maßnahmen, von denen auch Gutverdiener profitierten, im Rahmen des europäischen Aufbauprogramms mit.

Das Gesetz war „gut gemeint“, aber „handwerklich unglaublich schlecht gemacht“, urteilt ein Steuerberater aus Mailand, der namentlich nicht genannt werden will. Es war der damalige Premierminister Giuseppe Conte, heute Chef der Populisten von der Fünf-Sterne-Bewegung, der den „Superbonus 110“ sowie eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen zur energetischen Sanierung von Gebäuden im Mai 2020 auf den Weg brachte. Es konnten sogar mehr als die Kosten von der Steuerschuld abgezogen werden, nämlich 110%. Wer nur wenig Steuern zahlen muss, konnte die Steuergutschrift weiterverkaufen. Käufer waren Bauunternehmen, Banken oder die mehrheitlich staatliche Post.

Kriminelle profitieren

Die Regierung wollte mit der Maßnahme der Bauindustrie unter die Arme greifen. Das gelang. Italiens Wirtschaft ist in den letzten beiden Jahren stärker gewachsen als die fast aller anderen Länder. Es fällt auf, an wie vielen Häusern in Italien Baugerüste stehen. Doch die Sache geriet völlig außer Kontrolle. Da der Staat alles zahlte, hatte keiner der Nutznießer ein Interesse daran, die Kosten zu begrenzen. Im Gegenteil: Je höher die Kosten, desto höher die Steuergutschriften.

Als die Banken und die Post An­fang 2022 ihre Steuerspielräume mit insgesamt 77 Mrd. Euro ausgeschöpft hatten, mussten sie den Aufkauf weiterer Steuergutschriften stoppen. Nun wurden die Gutschriften an Regionen, Provinzen und Kommunen weitergereicht. Auch kriminelle Organisationen nutzten die Goldgräberstimmung. Sie verdienten, indem sie fingierte Rechnungen ausstellten und Scheinrenovierungen vornahmen. Allein die Schäden durch Betrugsfälle summieren sich auf 9 Mrd. Euro.

Die Regierung unter Mario Draghi erkannte die Sprengkraft des Themas. Daniele Franco, bis Oktober 2022 Finanzminister, sprach im Frühjahr 2022 vom „größten Betrug aller Zeiten in Italien“. Doch Draghi korrigierte die großzügigen Regelungen nur minimal. Er wollte Konflikte in seiner von fast allen Parteien getragenen Koalition, darunter auch Contes Fünf-Sterne-Bewegung, vermeiden.

Das Problem verschärfte sich im Lauf der Zeit. Auch Meloni nahm zu Beginn ihrer Amtszeit zunächst nur kleine Änderungen vor. Erst als Wirtschafts- und Finanzminister Giancarlo Giorgetti in der vergangenen Woche Alarm schlug, zog sie die Reißleine und stoppte die Maßnahme per Gesetzesdekret. Die Abtretung von Steuergutschriften für den Umbau und die energetische Sanierung ist mit sofortiger Wirkung für alle Neuprojekte abgeschafft worden.

„So wie in den letzten Jahren konnte es einfach nicht mehr weitergehen, das wäre verantwortungslos gewesen. Mir ist kein Staat in der EU bekannt, der dermaßen übers Ziel hinausgeschossen wäre bei Sanierungsförderungen wie Italien“, sagte Gert Gasser, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater aus Lana in Südtirol, einer Lokalzeitung.

Hauptgrund für die plötzliche Entscheidung Melonis quasi über Nacht war der dramatische Anstieg der Verschuldung um bis zu 120 Mrd. Euro. Die Premierministerin droht durch den Anstieg des Defizits ihren haushaltspolitischen Spielraum zu verlieren. Allerdings wird wohl der Großteil der Kosten auf die Defizite der Jahre 2021 und 2022 angerechnet, nicht auf das Jahr 2023. Meloni muss voraussichtlich nicht ganz auf die Verwirklichung von Plänen wie Steuersenkungen oder großzügigen Vorruhestandsregeln verzichten.

„Staatliche Drogen“

Einmal mehr zeigt sich, dass das hoch verschuldete Italien nicht in der Lage ist, eine haushaltspolitisch verantwortliche Politik zu führen. Zum Vorteil einiger weniger Profiteure wird der Großteil der Steuerzahler im eigenen Land und in Europa – etwa über die Aufnahme von europäischen Schulden – an der Finanzierung großzügiger und unverantwortlicher Ausgaben beteiligt. Vergleichbare Beispiele sind die seit Jahrzehnten trotz einer katastrophalen demografischen Entwicklung verlängerten extrem teuren Vorruhestandsregeln, das Bürgergeld (reddito di cittadinanza) sowie eine Vielzahl von Boni und Vergünstigungen während und nach der Coronakrise. Meloni fordert sogar eine neue, durch gemeinsame europäische Schuldenaufnahme finanzierte Maßnahme gegen den US-amerikanischen Inflation Reduction Act. Dabei ist Rom nicht einmal in der Lage, die Gelder des europäischen Wiederaufbauprogramms oder der EU-Strukturfonds auszugeben.

Nach Auffassung des Ökonomen Giuseppe Pisauro, bis 2021 Präsident der parlamentarischen Haushaltsbehörde UPB, der als einer der ersten vor den Folgen der sehr großzügigen Förderungen gewarnt hatte, steht die Bauwirtschaft seit 25 Jahren „unter staatlichen Drogen“ und hat es sich unter diesen Bedingungen bequem gemacht. Er ist überzeugt, dass ein Großteil der Maßnahmen, etwa die Sanierung von Fassaden, auch ohne die großzügigen Hilfen erfolgt wäre. Das Grundproblem ist nach seiner Auffassung, dass „die Aufmerksamkeit für ausgeglichene Bilanzen in der politischen Landschaft Italiens ein seltenes Gut ist“.

Unterdessen malt der Bauverband Ance das Schreckgespenst einer Pleite von 25000 Unternehmen und des Verlustes von 130000 Arbeitsplätzen an die Wand. Vor allem aus der Partei Forza Italia von Ex-Premierminister Silvio Berlusconi, unter dem die Bauwirtschaft stets großzügig unterstützt worden war, kommen Forderungen nach Übergangslösungen. Das ist schon deshalb von Bedeutung, weil Forza Italia der Regierung angehört. Ein Problem ist, dass rund 19 Mrd. Euro an Steuergutschriften, die Unternehmen aufgekauft hatten und weiterverkaufen wollten, nun blockiert sind.

Giovanni Pelazzi, Präsident der Zertifizierungsgesellschaft Argenta SOA, hat jüngst eine Studie über die Bedeutung der diversen Maßnahmen für den Bausektor vorgestellt. Er hält es für zentral, die Branche jetzt nicht im Stich zu lassen und eine Lösung zu suchen. „Man kann das regulatorische Umfeld nicht ständig ändern. Es muss eine schnelle und wirksame Lösung gefunden werden. Das Risiko für die Branche mit Tausenden von Entlassungen ist riesig.“ Pelazzi ist der Auffassung, man solle wenigstens die steuerliche Förderung von Sanierungen für die niedrigeren Einkommensgruppen belassen. Er unterstützt den Vorschlag von Ance und dem Bankenverband ABI, die aufgelaufenen Steuergutschriften von 19 Mrd. Euro freizugeben und eine Verbriefung der Gutschriften zu erwägen.

„Riesenschweinerei“

Für den anonym bleibenden Steuerberater aus Mailand dagegen ist die ganze Sache eine „Riesenschweinerei“ – nicht nur wegen der gewaltigen Haushaltsbelastungen, sondern auch weil sie sozial ungerecht sei: „Statt einkommensunabhängig sogar die Sanierung von Ferienhäusern zu bezahlen, hätte man mit dem vielen Geld eher Schulen oder Krankenhäuser renovieren sollen. Das wäre der Allgemeinheit zugutegekommen.“ Pisauro plädiert dafür, dass Eigentümer mindestens 50% der Kosten für Sanierungen übernehmen müssten. Sie profitierten ja von einem Wertgewinn ihrer Immobilien und niedrigeren Energierechnungen. Maßnahmen wie Boni für den Kauf von Möbeln müssten fallen. Stattdessen sollten sich die Hilfen auf Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz und der Erdbebensicherheit konzentrieren.

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