LeitartikelKonjunktur

Der Abgesang auf die Wirtschaft ist verfrüht

Für den Abgesang auf die deutsche Wirtschaft ist es noch etwas früh. Den Boden für eine mittelfristige Erholung hat die neue Bundesregierung bereitet. Sie muss jetzt Reformen angehen und die Unternehmen müssen mitziehen.

Der Abgesang auf die Wirtschaft ist verfrüht

Deutsche Konjunktur

Verfrühter Abgesang

Von Alexandra Baude

Deutschland steht vor dem dritten Rezessionsjahr in Folge. Das gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie. Angesichts der Krisen und strukturellen Probleme wäre es eine beachtliche Leistung, wenn es 2025 wieder aufwärtsgehen sollte. Aber vielleicht werden wir ja doch noch von einer kleinen Erholung überrascht.

Die ersten Umfragedaten für Mai trudeln eben erst herein. Die harten Daten hingegen reichen gerade mal bis zum Ende des ersten Quartals. Letztere sind verheißungsvoll, aber von Sonderfaktoren verzerrt. Besser: Von einem ganz speziellen Sonderfaktor namens Donald Trump, der mit seinen am Liberation Day Anfang April verkündeten Zöllen den Welthandel gehörig durcheinandergewirbelt hat. Und damit wenig überraschend zum größten Risiko der Weltkonjunktur avanciert ist. Wegen der starken Exportorientierung droht der deutschen Wirtschaft dabei besonders großes Ungemach.

Kurzfristige Sonderkonjunktur

Vorher aber hat Trump noch für eine kleine Sonderkonjunktur gesorgt, da US-Unternehmen wegen der absehbar höheren Zollkosten reihenweise ihre Bestellungen vorgezogen und sich ihre Lager so richtig vollgestopft haben. Diese in die Gegenwart verschobenen Käufe sorgen zwar in der Zukunft für eine geringere Nachfrage, zunächst aber darf sich das produzierende Gewerbe einfach freuen: Die Produktion und die Exporte wurden gesteigert, und sogar die Auftragsbücher wurden gefüllt. Bemerkenswert ist dabei, dass nicht nur die Bauproduktion merklich expandierte, sondern auch die Herstellung von Pharmazeutika, Autos, Maschinen und sonstigen Fahrzeugen ordentlich zulegte. In der darbenden Industrie scheint die Talsohle erreicht, zumal das Infrastrukturprogramm der neuen Bundesregierung für das kommende Jahr neuen Schwung verspricht. Das ist mit Blick auf den Standort lange überfällig.

Die zeitliche Vorverlagerung von Aufträgen ist ein sinnvolles Vorgehen, das sich aber nicht lange fortsetzen wird. Auch wenn immer noch unklar ist, wann und in welcher Höhe auf welche Produkte die USA Importzölle erheben wird. Bislang ist vieles bereits angekündigt, teils aber wieder auf Eis gelegt worden. Die ersten bilateralen Absichtserklärungen der USA mit Großbritannien und China machen Hoffnung. Nun ist die EU an der Reihe. Und die Kommission hat schon als Verhandlungsmasse ein Paket mit möglichen Gegenmaßnahmen auf den Tisch gelegt.

Semigute Ausgangslage

Bis aber eine etwaige Zollabmachung in trockenen Tüchern ist, gibt die herrschende Unsicherheit weiter den Spielverderber für die bereits so lange erwartete Erholung. Unternehmen und private Haushalte drücken sich konsequenterweise vor größeren finanziellen Entscheidungen, die Investitionen leiden. Und die Geschäfts- und Exporterwartungen bleiben gedämpft. Da die Insolvenzzahlen steigen und die Stellenstreichungspläne der Unternehmen immer umfangreicher werden, wachsen zudem die Jobsorgen. Im weiteren Jahresverlauf geht es daher eher wieder bergab. Alles in allem zeigt sich die konjunkturelle Ausgangslage für die frisch formierte Bundesregierung also durchwachsen.

Die scheint die strukturellen Probleme, die die Wirtschaft bremsen, durchaus wahrzunehmen. Die Wettbewerbsfähigkeit will Bundeskanzler Friedrich Merz zum Maßstab der Wirtschafts- und Finanzpolitik machen. 0,2 bis 0,3% mehr Wachstum sei allein durch den Regierungswechsel möglich, sekundiert Unions-Fraktionschef Jens Spahn.

Zuversicht mit den − wenn auch immer noch recht unklaren − Entlastungszusagen bei Energiekosten, Bürokratie und Steuern zu verbreiten, ist ein richtiger erster Schritt. Die neue Regierung muss sich nun als verlässlich erweisen und die Rahmenbedingungen rasch verbessern, damit die Firmen hierzulande wieder investieren und sich mehr Start-ups gründen − die für mehr Innovation, Jobs und Wachstumsimpulse sorgen können. Die Patentanmeldungen zeigen den Reichtum an Ideen und Kreativität, den es hier im Land immer noch gibt. Politik und Wirtschaft haben es nun selbst in der Hand, ein Aufschwung ist also nicht ganz außer Reichweite. Aber nicht in diesem Jahr.

Für den Abgesang auf die deutsche Wirtschaft ist es noch etwas früh. Der Boden für eine mittelfristige Erholung ist bereitet.

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