Demografischer Blindflug
Demografischer Blindflug
Rentenpolitik
Demografischer Blindflug
Von Stephan Lorz
Beim demografischen Wandel spielt die Politik â wie beim Klimawandel â auf Zeit. Doch der Kipppunkt rĂŒckt auch hier nĂ€her. Wo bleibt die Rebellion der Jungen?
Mit vereinten gesellschaftlichen KrĂ€ften, gegen politische, ökonomische und oftmals mentale WiderstĂ€nde ist es in Deutschland gelungen, den Klimawandel als groĂe Bedrohung unseres Wohlstands zu verankern. Das hat die Politik verĂ€ndert; und auch in der Wirtschaft wurden â Stichwort ESG â eigene SchlĂŒsse daraus gezogen. Selbst, wenn das Engagement zuletzt wieder etwas nachgelassen hat und der Kurs nachjustiert wurde: Die Umweltpolitik diffundiert weiter in alle politischen und gesellschaftlichen Bereiche hinein und verĂ€ndert die Gesellschaft zum Positiven.
Umso verwunderlicher ist es, dass der demografische Wandel, der auf andere Art und Weise unseren Wohlstand bedroht, einfach hingenommen wird. Der Sozialstaat wird mit Blick auf MĂŒtterrente, Fixierung des Rentenniveaus und neuen VorschlĂ€gen zur Leistungsausweitung bei der Pflege sogar weiter ausgebaut, obwohl man sich bewusst sein mĂŒsste, dass die Finanzierung lĂ€ngst ausgereizt ist und die Belastung fĂŒr die Beitragszahler dramatisch steigen wird. Dass Letztere bislang nicht rebellieren, sich organisieren und in den Beitragsstreik gehen, ist erstaunlich.
Letztlich geht es bei der Finanzierung des Sozialstaats immer um das Geld der anderen. Es sind die Beitrags- und Steuerzahler, die fĂŒr Wahlgeschenke an einzelne Gruppen wie Rentner aufkommen mĂŒssen. Oftmals will man das kaschieren und schwadroniert, dass man âdie Vermögendenâ oder âdie Beamtenâ zur Finanzierung heranziehen will. Aber damit wĂŒrde man sich allenfalls etwas Zeit kaufen, weil das Problem um Dimensionen gröĂer ist. Zudem wĂŒrde die Einbeziehung neuer Gruppen die Probleme noch verschĂ€rfen, weil kĂŒnftig noch mehr LeistungsempfĂ€nger von immer weniger Beitragszahler getragen werden mĂŒssen.
Jetzt soll erst eine Kommission bis 2027 VorschlĂ€ge fĂŒr Reformen machen. Dabei gab es schon eine ganze Legion solcher Arbeitskreise. Ihren Rat hat die Politik meist in den Wind geschlagen. Letztlich blieben davon nur die Riesterrente ĂŒbrig und der inzwischen abgeschwĂ€chte und immer wieder einmal ausgesetzte âdemografische Faktorâ; jetzt wieder mit der Fixierung des Rentenniveaus (âHaltelinieâ). Die Stellschrauben sind lĂ€ngst bekannt, um den Sozialstaat â und damit zugleich unsere Wirtschaftsordnung und unser Wachstumspotential â nachhaltig zu stabilisieren. Warum auf die nĂ€chste Kommission warten? Jedes verlorene Jahr macht ein Umsteuern schwieriger.
Ein paar Daten: Schon heute liegt die deutsche Staatsquote bei ĂŒber 50%. Die SozialbeitrĂ€ge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sind mit rund 42% des Bruttoeinkommens so hoch wie noch nie. In den 30er Jahren dĂŒrfte die 50%-Schwelle erreicht werden, wenn die Masse der Babyboomer im Ruhestand ist. Die Lohnnebenkosten werden also weiter steigen. Das macht Arbeit teurer und bremst die Schaffung neuer Jobs. Dabei werden in der Privatwirtschaft jene Steuermittel und SozialbeitrĂ€ge verdient, die das Staatswesen ĂŒber Wasser halten. Der Wohlfahrtsstaat droht also seine eigenen Grundlagen zu zerstören.
Viele BĂŒrger haben die ZusammenhĂ€nge lĂ€ngst vor Augen. Sie lassen sich nicht mehr mit Floskeln abspeisen wie âWir schaffen das!â oder âDie Rente ist sicher!â. Jedes Zaudern der Politik bei der Problemlösung untergrĂ€bt daher die Zustimmung zur Demokratie. Doch statt ĂŒber konkrete Reformen zu sprechen, reibt man sich an Einzeldebatten ĂŒber die Abschaffung von Feier- oder Urlaubstagen auf.
Wie beim Klimawandel gibt es auch beim demografischen Wandel einen Kipppunkt, ab dem alle Reformen nichts mehr nĂŒtzen, weil â in diesem Fall â das Wachstum zusammenfĂ€llt, das Steuer- und Beitragsaufkommen kollabiert. Dann zerplatzen ohnehin alle Rentenversprechen. Daher muss jede Reform bei der jungen Generation ansetzen: Wie viel Belastung ist ihnen zuzumuten? Worauf mĂŒssen die Ălteren verzichten? Um eine lĂ€ngere Lebensarbeitszeit, eine Anpassung der Renten nur an die Kaufkraft und andere schmerzhafte VerĂ€nderungen kommt man nicht herum. Deshalb reden die meisten wohl lieber ĂŒbers Wetter (Feiertagsabbau) statt ĂŒbers Klima (Rentenreform).
