Brüssel

Europas schwieriger Neustart mit Afrika

Zum ersten Mal seit 2017 sitzen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen und der Afrikanischen Union beisammen, um eine engere Partnerschaft auszuloten. Wichtigstes Streitthema ist die Impfstoffverteilung.

Europas schwieriger Neustart mit Afrika

Ein solcher Aufgalopp an Staats­führern war selbst für das gipfel­erprobte Brüssel ungewöhnlich: Nahezu  70 Präsidenten, Staats- und Regierungschefs versammelten sich am Donnerstag zum sechsten EU-Afrika-Gipfel in der Stadt. Bei dem zweitägigen Treffen soll so etwas wie ein Neustart in den bilateralen Beziehungen ausgelotet und am Ende dann eine gemeinsame Vision für 2030 verabschiedet werden. Die EU will zugleich ein 150 Mrd. Euro schweres Investitionspaket für den Nachbarkontinent mit seinen 1,3 Milliarden Bewohnern auf den Weg bringen. Es ist der erste Gipfel der Europäischen und der Afrikanischen Union seit November 2017. Unter anderem die Pandemie hatte einen früheren Termin verhindert.

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Die Wirtschaft – insbesondere auch die deutsche Industrie – beobachtet die Ergebnisse des Treffens genau. Im Vorfeld des Gipfels unterzeichneten bereits afrikanische und europäische Automobilverbände eine Absichtserklärung zur weiteren Zusammenarbeit, initiiert unter anderem durch den Verband der Automobilindustrie (VDA). „Der afrikanische Kontinent ist stark fragmentiert, wird jedoch in Bezug auf alternative Antriebe immer mehr an Bedeutung gewinnen und kann hier auch eine Vorreiterrolle spielen“, erwartet VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Von einer „wichtigen Partnerregion“ spricht auch der Maschinenbauverband VDMA: „Hier befinden sich Absatzmärkte mit Wachstumspotenzial.“ Und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat vor allem Rohstoffe wie Kobalt, Lithium oder die Metalle der Platingruppen im Blick, die als unverzichtbar für die weitere Digitalisierung wie den geplanten Ausbau der Elektromobilität oder allgemein für eine Industrie 4.0 gelten. „Die EU sollte sehr zügig nachhaltige Rohstoffallianzen mit afrikanischen Partnern schmieden“, forderte der BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Auch für die Produktion von grünem Wasserstoff hat Afrika nach Einschätzung des BDI „riesige Möglichkeiten“ – von denen auch deutsche Konzerne profitieren könnten.

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Die 150 Mrd. Euro, die die EU für Investitionen in Afrika mobilisieren will, sind allerdings weder frisches Geld noch schon fest gesicherte Mittel. Immerhin sollen wohl 36 Mrd. Euro bis 2027 dafür aus dem EU-Haushalt kommen. 20 Mrd. Euro sollen die Mitgliedstaaten beisteuern. Hinzu kommen 53 Mrd. Euro an Krediten, und der Rest sind erhoffte private Investitionen. Das Ganze ist Teil der Global-Gateway-Initiative, die die EU-Kommission bereits Anfang Dezember vorgestellt hat und in der es darum geht, den weltweiten Einfluss der EU auch gegenüber Ländern wie China zu stärken.

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Zum Auftakt des Gipfels herrschte am Mittwochnachmittag noch allgemein gute Laune. „Wir sind Afrikas beste Freunde“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Und Senegals Präsident Macky Sall, der den Vorsitz in der Afrikanischen Union innehat, sagte, er hoffe auf einen „Neubeginn“. Vor dem Abendessen im Brüsseler Kulturtempel Bozar ging es dann aber in den Arbeitsgruppen schon zur Sache. Dabei standen schwierige Themen wie Klimaschutz, Governance-Fragen und die Migration auf der Agenda.

Das mit Abstand sensibelste und konfliktträchtigste Thema ist allerdings zurzeit eindeutig die Impfstoffverteilung. In Afrika sind erst 12% der Bevölkerung geimpft. Europa steht auch bei vielen Nichtregierungsorganisationen in der Kritik, weil Impfstoffpatente nicht freigegeben werden. Die EU selbst betont hingegen immer wieder, wie spendabel sie ist: Bislang seien 148 Millionen Dosen Impfstoff an Afrika gespendet worden, heißt es in Brüssel. Bis zum Sommer könnte diese Zahl sogar verdreifacht werden. Und beim Gipfel könnten nun konkret weitere 29 Millionen Dosen fest zugesagt werden. In Berliner Regierungskreisen heißt es, dass hiervon allein 21 Millionen aus Deutschland kommen werden. Ob dies ausreicht, um die 40 afrikanischen Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel zufriedenzustellen, ist allerdings eher ungewiss.

               (Börsen-Zeitung,

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