Investoren-Aktivismus

Freie Fahrt für Aktivisten

Ihre Unterbewertung an der Börse macht viele japanische Firmen zum gefundenen Fressen für ausländische Finanzinvestoren.

Freie Fahrt für Aktivisten

Japan führt gerade ein Schauspiel um Kapital und Macht auf, das jedem Landeskenner noch vor zehn Jahren undenkbar erschienen wäre. Man stelle sich vor, japanische Beteiligungsfonds würden die deutsche Industrie-Ikone Siemens komplett schlucken und von der Börse nehmen wollen. Dann lässt sich begreifen, wie schockierend es für Japan sein muss, was westliche Finanzinvestoren gerade mit dem 145 Jahre alten Traditionskonzern Toshiba vorhaben. Trotzdem rasseln weder die Politik noch die Presse in Japan mit dem nationalen Säbel.

Ihre sachliche Reaktion hängt vordergründig mit dem speziellen Fall von Toshiba zusammen. Der Tabubruch ereignete sich bereits Ende 2017, als sich das Unternehmen aus eigenem Antrieb in die Arme von ausländischen Finanzinvestoren warf. Nur durch die massive Ausgabe neuer Aktien an aktivistische Auslandsfonds konnte Toshiba damals dem drohenden Delisting durch die Tokioter Börse wegen fortgesetzt negativen Eigenkapitals entgehen. Seitdem bedrängen die neuen Anteilseigner das Management, den Konzernwert zu erhöhen, jedoch weitgehend vergeblich. Das Übernahmeangebot von CVC Capital und der sich abzeichnende Bieterwettbewerb sind letztlich die logische Folge des damaligen Schrittes.

Aber hinter der breiten Akzeptanz der Kaufofferte für das ganze Konglomerat steckt auch die Einsicht von Politik und Wirtschaft, dass nur Ausländer genug Kontakte, Erfahrung, Kapital, Personal, Risikobereitschaft und Rücksichtslosigkeit mitbringen, damit Japans Firmen auf dem umkämpften Weltmarkt künftig mehr Geschäftserfolge erzielen. Früher holte man einzelne Manager wie Carlos Ghosn bei Nissan oder Christophe Weber bei Takeda, um alte Zöpfe abzuschneiden und überholte Strukturen zu modernisieren. Heute sollen ausländische Kapitalgeber die Transformation der japanischen Unternehmenswelt beschleunigen.

Diesen Investoren haben die Regierung in Tokio und der Börsenbetreiber Japan Exchange Group mit mehreren Reformen der Corporate Governance den roten Teppich ausgerollt. Viele Unternehmen verzichteten auf giftige Pillen für Angreifer, bauten Überkreuzbeteiligungen ab, setzten sich höhere Renditeziele und beriefen mehr unabhängige Verwaltungsräte. Die Vorreiter schlucken börsennotierte Töchter, um Entscheidungen schneller treffen zu können, oder sie stellen ganze Sparten außerhalb des Kernportfolios ins Schaufenster. Letztere Gesellschaften sind die klassischen Ziele für Private Equity.

Aber die Öffnung von Wirtschaft und Konzernen lockt nur so viel ausländisches Kapital an, weil die Gewinnaussichten außerordentlich attraktiv sind. Ein Fondsvertreter nannte Toshiba den „Deal des Jahrhunderts“. Bisher belasten ein Konglomeratsabschlag und ein sichtbarer Strategiemangel den Aktienkurs. Würde ein Käufer – etwa nach dem Muster von Hitachi – die Geschäfte der Gruppe inhaltlich fokussieren sowie alle anderen Aktivitäten ausgliedern und Beteiligungen verkaufen, ließen sich enorme Schätze heben. Undurchsichtige Ka­pitalverflechtungen und konservative Manager, die lieber Umsatz und Marktanteile bewahren, als Renditen und Ausschüttungen zu steigern, erklären das schwache Ab­schneiden vieler Unternehmen an der Börse. Dabei bleibt ihr Vermögen an Firmenanteilen, Barbeständen und Immobilien meist unberücksichtigt. Diese Unterbewertung macht sie zu einem gefundenen Fressen für Private Equity. Dessen Geschäftsmodell von Übernehmen, Zukaufen, Zerlegen, Verschulden und dann Aussteigen funktioniert in Japan besonders gut. Ein schwacher Yen und fast kostenloses Geld hebeln die Ertragschancen zusätzlich nach oben. In diesem Umfeld spielten diese Kapitalgeber immer vielseitigere Rollen, stellte der M&A-Berater Shigeo Yamaguchi von der Düsseldorfer Anwaltskanzlei Arqis fest.

Allerdings fühlen sich manche Politiker und Manager in Japan angesichts der Aggressivität einiger aktivistischer Investoren inzwischen wie Goethes Zauberlehrling, der die gerufenen Geister nicht mehr loswird. Daher verschaffte sich das Wirtschaftsministerium METI im Vorjahr mit einem neuen Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit ein Instrument, um unliebsame Angreifer zu stoppen. Doch die Ausländer organisieren einfach Kaufkonsortien mit japanischer Beteiligung. Nun verschafft die Pandemie ihnen frische Kaufgelegenheiten, etwa bei den angeschlagenen Bahnbetreibern. Der Siegeszug der Private Equity in Japan ist daher noch lange nicht vorbei.