Gefährliche Liebschaften
Industriepolitik
Gefährliche Liebschaften
Von Gesche Wüpper
Frankreichs Präsident wirbt erfolgreich Milliarden ein. Aber das enge Verhältnis von Staat und Unternehmen offenbart auch Schattenseiten.
Die Veröffentlichung hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt erfolgen können. Just an dem Tag, an dem sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron anschickte, mehr als 200 Unternehmenschefs aus dem Ausland in Versailles zu umwerben, legte eine parlamentarische Untersuchungskommission ihren Bericht zum Mineralwasser-Skandal vor, der Frankreich seit anderthalb Jahren erschüttert. Die Schlussfolgerungen der Berichterstatter sind verheerend für Macron und seine Regierung. Denn ihre Untersuchungen haben „die gefährlichen Beziehungen zwischen dem Staat und Nestlé“ offenbart. Der französische Staat hat demnach nicht nur unzulässige Machenschaften bei Mineralwasser-Marken von Nestlé geduldet, sondern diese auch gegenüber lokalen Behörden, der EU und Verbrauchern vertuscht.
Der Skandal zeigt die Grenzen der Strategie auf, mit der Frankreich in den letzten Jahren gezielt ausländische Unternehmen umwirbt. Denn Macron und seine Regierung müssen sich jetzt den Vorwurf gefallen lassen, dem Lobbying des Schweizer Lebensmittelgiganten nachgegeben zu haben, um nicht seine Gunst zu verlieren und dadurch Arbeitsplätze in Frankreich zu gefährden. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich eine französische Regierung von den vollmundigen Versprechen eines ausländischen Investors ködern lässt. So hatte der französische Staat vor elf Jahren auf den Verkauf der Energiesparte Alstoms an Generale Electric (GE) gedrungen, für die Siemens und Mitsubishi Heavy Industries (MHI) ebenfalls geboten hatten. GE hatte damals versprochen, rund 1.000 Arbeitsplätze in Ostfrankreich zu schaffen — ein Versprechen, das nicht gehalten wurde.
Macron kann sich zu Recht zugutehalten, Frankreich als Wirtschaftsstandort in den Augen ausländischer Investoren mithilfe von unternehmensfreundlichen Reformen zu Beginn seiner ersten Amtszeit wieder attraktiv gemacht zu haben – sicherlich ein Fingerzeig für die just angetretene deutsche Regierung, dass verbesserte Rahmenbedingungen ihre Wirkung auf internationale Firmen und Geldgeber nicht verfehlen. Wenn Werbung in Kungelei ausartet und der Staat auf Druck von Konzernen Missstände ignoriert oder falschen Versprechen aufsitzt, ist das jedoch kein Vorbild für Deutschland. Zwar hat Frankreich in den letzten Jahren auch deutliche Fortschritte gemacht, was die Regulierung von Lobby-Arbeit angeht. Aber der Nestlé-Skandal zeigt, dass dabei noch reichlich Luft nach oben ist.