Frankfurt

Gefangen in Offenbach

Jede Stadt, die etwas auf sich hält, pflegt ihre Abneigung gegenüber einer Kommune im Umland. In Frankfurt kommt die Rolle der ungeliebten Nachbarin bekanntermaßen Offenbach zu. Aus Sicht lokalpatriotischer Frankfurter bildet der Kaiserlei die...

Gefangen in Offenbach

Jede Stadt, die etwas auf sich hält, pflegt ihre Abneigung gegenüber einer Kommune im Umland. In Frankfurt kommt die Rolle der ungeliebten Nachbarin bekanntermaßen Offenbach zu. Aus Sicht lokalpatriotischer Frankfurter bildet der Kaiserlei die Demarkationslinie zwischen zivilisierter Welt und dem Wilden Osten.

Die Antipathie wird von Kindes Beinen an trainiert. So wird jungen Frankfurtern, wenn das Gespräch auf die Erfolge der Eintracht kommt, nicht etwa erzählt, dass Frankfurt 1959 Deutscher Fußballmeister wurde. Sondern dass die SGE die Offenbacher Kickers im Finale mit 5:3 zerlegt hat.

Eine besonders sublime Form der Häme hat sich die Frankfurter Verkehrsgesellschaft ausgedacht. Die Tram-Haltestelle nahe der Autobahnbrücke in Oberrad trägt nicht etwa den Namen „Dreieichring“ oder „Deutscher Wetterdienst“, sondern „Stadtgrenze“ – das erinnert an Berliner Warnhinweise in Zeiten des Kalten Krieges.

Vor dem Hintergrund dieser tiefverwurzelten Städtefehde sorgt ein Urteil des EU-Gerichtshofs jetzt in Frankfurt für Gesprächsstoff. In der Rechtssache geht es um die Klage eines in Offenbach tätigen Feuerwehrmanns, der sich nur so weit entfernen darf, dass er im Alarmfall binnen 20 Minuten am Einsatzort sein kann. Er wehrt sich vor Gericht dagegen, dass seine Rufbereitschaft nicht als Arbeitszeit gezählt wird. Europas oberste Richter reichen den Fall nun an die unteren Gerichte mit der Feststellung zurück, Rufbereitschaft sei nur dann vollumfänglich Arbeitszeit, wenn die „auferlegten Einschränkungen die Möglichkeiten, während dieser Zeit seine Freizeit zu gestalten, ganz erheblich beeinträchtigen“. Sollte die Sache vor einem Frankfurter Gericht landen, dürfte der Feuerwehrmann beste Chancen haben. Denn die 20-Minuten-Vorgabe bedeutet letztlich, dass er in Offenbach gefangen ist – und das kommt aus Sicht eingefleischter Frankfurter nicht bloß einer „Beeinträchtigung der Freizeitgestaltung“ gleich, sondern einer veritablen Haftstrafe.

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Wie skurril die Städtefeindschaft Besuchern aus fernen Ländern erscheinen muss, deutet eine Geschichte an, die einmal Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir erzählt hat. Er habe einen chinesischen Investor am Mainufer getroffen, weil der Geschäftsmann dort Immobilien erworben hatte. Al-Wazir wies den Investor darauf hin, dass er noch eine Bescheinigung der Stadt Offenbach einzuholen habe, da sich einige seiner Immobilien nicht mehr auf Frankfurter, sondern auf Offenbacher Terrain befänden. Darauf habe der Investor zur großen Rede angehoben: Wenn man in Peking 100 Kilometer stadtauswärts laufe, sei man immer noch in Peking. Für ihn sei daher unvorstellbar, sich nicht mehr auf Frankfurter Boden zu befinden, wenn er doch nur wenige Gehminuten von der Europäischen Zentralbank entfernt sei. Al-Wazir hat übrigens seinerzeit das Gespräch mangels Aussicht auf Verständigung abgebrochen – und sich selbst um die Anträge in Offenbach gekümmert. Naja, ist ja auch seine Geburtsstadt.