LeitartikelRüdes Vorgehen unter Gläubigern

Selecta war einfach zu viel

Creditor on Creditor Violence: Die Restrukturierung von Selecta wird in der Restrukturierungsszene heiß diskutiert. Wie weit dürfen aggressive Investoren gehen, um die eigene Rendite zu erhöhen?

Selecta war einfach zu viel

Restrukturierung

Selecta war einfach zu viel

Von Philipp Habdank

Das Vorgehen der aggressiven Investoren bei Selecta könnte für die gesamte Private-Credit-Branche noch zum Problem werden – unabhängig vom subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden.

Distressed-Investoren treten nicht an, um sich Freunde zu machen oder Sympathiepreise zu gewinnen. Bei einer Restrukturierung gibt es nichts zu verschenken. Jeder kämpft um seine eigenen Interessen: Gesellschafter wollen ihre Firma behalten, Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze, Investoren und Banken ihr Geld. Win-Win-Situationen gibt es in diesen Situationen nicht, irgendjemand verliert immer. Was allerdings bei der Restrukturierung von Selecta passiert ist, war einfach too much und könnte noch ernste Folge haben.

Bei dem Schweizer Betreiber von Snackautomaten hat eine Gläubigergruppe nicht nur die Firmenschlüssel des bisherigen Gesellschafters KKR übernommen. Sie hat im Rahmen der Restrukturierung für sich auch noch einen besseren Deal herausgeschlagen als für die übrigen Gläubiger. In der Branche wird dieser Fall heiß diskutiert. Denn auch wenn hier niemand gegen Gesetze verstoßen hat, wurde mit Konventionen gebrochen. Wer von den Gläubigern am richtigen Tisch saß, habe jetzt den besseren Deal, sagt zum Beispiel Mark Hoffmann von Robus Capital.

Wer in einer Restrukturierung das größte Risiko trägt und den größten Beitrag zum Turnaround leistet, der soll auch das größte Stück des Kuchens bekommen. Sein eigenes Kuchenstück allerdings zu vergrößern, einfach nur, indem man als großer Investor mit pfiffigen Anwälten im Schlepptau eine kleinere Gläubigergruppe schlechter stellt, hat mit cleveren Verhandlungen wenig zu tun. Im Fachjargon nennt man dieses Vorgehen „Creditor on Creditor Violence“. Allein mit diesem Namen ist eigentlich schon alles gesagt. Gewalt ist keine Lösung, auch wenn sie in diesem Fall nur im übertragenen Sinne zu verstehen ist.

Nichts als verbrannte Erde

Sie hinterlässt in jedem Fall viel verbrannte Erde. Bei den Gesellschaftern sowieso, aber auch bei institutionellen Anleiheinvestoren, Banken und Beratern, auf die man in diesem Geschäft immer wieder trifft. Allzu oft werden es sich Distressed-Investoren so ein Vorgehen nicht erlauben können, da man es in diesem Geschäft immer wieder mit denselben Adressen zu tun hat. Dass einige Investoren derlei Kollateralschäden trotzdem in Kauf nehmen, verdeutlicht, wie groß der Renditedruck bei den großen Distressed-Fonds sein muss.

Die Ausgangslage könnte eigentlich besser nicht sein. Der finanzielle Stress bei deutschen Unternehmen ist gerade so hoch wie letztmals wahrscheinlich nach der Finanzkrise. Der große Unterschied ist, dass dieses Mal die Finanzmärkte in Takt sind. Die Anleihemärkte sind aus den jahrelangen Null-Zins-Jahren mit so viel Liquidität geflutet, dass die Preise für Schuldtitel gestresster Firmen nicht im Keller sind. Anleihen dieser Firmen notieren häufig nicht bei 70% oder weniger, sondern bei 90% oder mehr. Und so sehen sich Distressed-Investoren offenbar genötigt, ihre Rendite woanders herzuholen.

Gefahr der Sippenhaft

Ob es jetzt gerecht ist oder nicht, dass Gläubiger desselben ursprünglichen Schuldtitels nach der Restrukturierung unterschiedlich gut dastehen – darüber lässt sich freilich streiten. Ein Sozialdemokrat hat hier sicherlich einen komplett anderen Standpunkt als ein Hardcore-Kapitalist. Doch unabhängig von dem subjektiven (Un)gerechtigkeitsempfinden könnte das Vorgehen der besonders aggressiven Investoren bei Selecta für die gesamte Private-Credit-Branche noch zum Problem werden.

Es besteht die Gefahr, dass Private-Debt-Fonds in Sippenhaft genommen werden – ohne zu differenzieren. Nicht jeder Distressed-Investor ist so aggressiv. Es gibt auch reine Händler, die in Schuldtitel rein- und wieder raustraden, aber niemals Eigentümer eines Unternehmens werden möchten. Außerdem gilt es nach Vorgehensweisen zu differenzieren: Kauft sich ein Kreditfonds in einen gestressten Schuldtitel ein, um das Unternehmen bei der Restrukturierung zu übernehmen? Oder hat der Kreditfonds das Unternehmen von Anfang an finanziert und übernimmt es in der Restrukturierung nur, weil der bestehende Gesellschafter kein weiteres Geld nachschießt?

Private Debt für Transformationsfinanzierung nötig

Private Debt ist in Deutschland für die Finanzierung restrukturierungsbedürftiger Unternehmen unverzichtbar. Denn Banken scheuen zwar Eigenkapitalpositionen wie der Teufel das Weihwasser. Doch sie haben wenig Lust, sich die Risiken dieser Unternehmen auf die Bilanz zu nehmen und schränken ihr Kreditangebot deshalb ein. Der restrukturierungserfahrenen Unternehmensberatung Roland Berger zufolge ist der Verschuldungsgrad deutscher Unternehmen seit 2022 um 50% gestiegen. In dieser Zeit habe sich der Zinsdeckungsgrad halbiert. Parallel seien die durchschnittlichen Gewinnmargen um 10% gesunken.

Alles klare Indikatoren, dass der finanzielle Stress zunimmt und deutsche Unternehmen alternative Finanzierungsoptionen brauchen. Derzeit stünden in Europa Roland Berger zufolge rund 20 Mrd. Euro privates Fremdkapital für die Finanzierung von Transformationsvorhaben zur Verfügung. Bis 2029 sollen es sogar 28 Mrd. Euro sein. Zu hoffen ist, dass die „Gewalt unter Gläubigern“ bei Selecta ein Einzelfall bleibt und keine Schule macht.