Im BlickfeldZukunftsfinanzierungsgesetz

Gründer brauchen mehr als Mehrfachstimmrechte

Das Zukunftsfinanzierungsgesetz der Ampel-Koalition soll den deutschen Kapitalmarkt attraktiver machen und vor allem jungen Wachstumsunternehmen den Weg an die Börse erleichtern. Dass Mehrstimmrechtsaktien bei diesem Ziel viel bewirken können, wird von Kapitalmarktrechtlern bezweifelt.

Gründer brauchen mehr als Mehrfachstimmrechte

Im Blickfeld

Gründer brauchen mehr als Mehrstimmrechte

Investoren fordern starken Anreiz, wenn sie auf Aktionärsrechte verzichten sollen

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Digitalisierung und Klimaschutz sind mit umfangreichen Investitionen verknüpft, die auch in der Privatwirtschaft finanziert werden müssen. Die Bundesregierung hat sich deshalb mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz das Ziel gesteckt, die Leistungsfähigkeit des Kapitalmarkts zu stärken und die Attraktivität des deutschen Finanzplatzes zu fördern.

Die neue Regulierung soll insbesondere Start-ups, Wachstumsunternehmen und Firmen aus dem Mittelstand den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern. Speziell in diesem Kreis erwartet die Politik viele Innovationstreiber. Ihnen soll über flexiblere und leichtere Zulassungsverfahren der Gang an die Börse schmackhaft gemacht und vereinfacht werden. Dabei soll Gründern, die ihre Geschäftsidee nicht so schnell aus der Hand geben wollen, auch die Möglichkeit gegeben werden, über Mehrstimmrechte Einfluss zu behalten – unter Wahrung von Minderheitenrechten und Anlegerschutz.

Effekt umstritten

Ein weiterer Aspekt des Gesetzes zur Unterstützung von Start-ups ist die Förderung der Kapitalbeteiligung von Mitarbeitern durch verbesserte steuerliche Rahmenbedingungen. Der Erfolg junger Firmen hänge maßgeblich davon ab, im internationalen Wettbewerb um Talente hochqualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und ans Unternehmen zu binden.

Nicht nur Start-ups sollen weitere Erleichterungen zugutekommen, etwa in der Durchführung von Kapitalerhöhungen. Auch die Einführung elektronischer Aktien soll den Finanzplatz voranbringen.

Ob das Zukunftsfinanzierungsgesetz der deutschen Start-up-Szene auf die Sprünge hilft und die IPO-Abwanderungsbewegung  bremsen kann, ist indes umstritten. Kapitalmarktexperten warnen, zu hohe Erwartungen speziell an das Instrument der Mehrstimmrechte für Gründer zu haben. Die Abkehr von „One share, one vote“ liegt zwar global im Trend, ihre Durchschlagskraft in der Breite gilt aber als begrenzt.  

Rolle rückwärts

Mehrstimmrechtsaktien sind in Deutschland 1998 durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich abgeschafft worden. In anderen europäischen Ländern wie Schweden, Italien oder den Niederlanden sind sie zugelassen, und auf EU-Ebene gibt es Pläne zur Harmonisierung. Speziell in den USA sind Super-Voting Stocks mit schillernden Gründern wie Larry Page bei Google oder Mark Zuckerberg bei Facebook/Meta als Erfolgsrezept anerkannt. So sind im US-Markt im Start-up- und Technologiesegment auch mehr IPOs mit Mehrstimmrechten registriert worden. In anderen Ländern, etwa Großbritannien, sind Mehrstimmrechte nach der Reform dagegen bislang kaum genutzt worden.

Klaus von der Linden, Partner der Kanzlei Linklaters, weist auf die Ambivalenz der Mehrstimmrechte hin. Das Zukunftsfinanzierungsgesetz als Ganzes ist aus Sicht des Anwalts ein wichtiger Impuls im deutschen Kapitalmarkt. "Die aktienrechtlichen Komponenten sind durchaus bedeutsam und sollen eine gewisse Aufbruchstimmung erzeugen. Die Rückkehr zu Mehrstimmrechten kann Optionen für Gründer schaffen. Ich bezweifle aber, dass dieses Instrument breit genutzt werden kann", gibt er zu bedenken.

Vor der Welle

Über das „Ob“ der gesetzlichen Wiedereinführung der Mehrstimmrechte brauche nicht diskutiert werden, ergänzt von der Linden. Der politische Wille sei vorhanden, zudem gebe es vergleichbare Pläne auf EU-Ebene im Listing Act. "Deutschland will sich vor die Welle setzen, das ist zu begrüßen. Es ist ein schönes Signal an Gründer. Es zeigt, dass sie im Fokus der Politik stehen und man sie unterstützen will", fasst er das Szenario zusammen.

Dass Mehrstimmrechte in der Praxis die politisch erhoffte Wirkung zeigen, wird kein Selbstläufer. "Das muss man differenziert betrachten", erklärt der Gesellschaftsrechtler. Man wolle Gründern den Weg an den Kapitalmarkt dadurch erleichtern, dass sie über Mehrstimmrechtsaktien die Kontrolle über ihr Unternehmen bewahren können.  "Das ist zu begrüßen, allerdings in der Sache nichts wirklich Neues, denn schon heute kann man über Vorzugsaktien oder KGaA-Strukturen den Einfluss der Gründer konservieren."

In Konkurrenz zur Vorzugsaktie

Das Ganze habe eine Spiegelseite, das sind die Investoren. "Wer geht in solche besonderen Kapitalstrukturen hinein, wer interessiert sich für eine Beteiligung, die nur unterproportionalen Einfluss vermittelt?", fragt von der Linden. Investoren dürften Mehrstimmrechtsaktien in den Händen der Gründer aus seiner Sicht eher zurückhaltend betrachten. "Warum sollen sie investieren, wenn ein anderer das Ruder allein in der Hand hält?" Die Vorzugsaktie habe als Ausgleich prioritären Zugriff auf die Gewinne, dieser Vorteil entfällt aber im Modell der Mehrstimmrechtsaktie. Gleichwohl gebe es Beispiele aus dem Ausland, wo es dennoch gelinge, Investoren von Mehrstimmrechten zu überzeugen. Auch das Porsche-IPO, bei dem ausschließlich stimmrechtslose Vorzugsaktien ausgegeben wurden, sei sehr gut am Markt angekommen, unterstreicht der Experte für Aktien- und Konzernrecht. 

Die Investoren müssten veranlasst werden, trotz Mehrstimmrechten zu zeichnen. "Es braucht einen besonderen Anreiz. Die Investoren müssen von einem überragenden Geschäftsmodell und einem herausragenden Gründer überzeugt sein. Nur dann werden sie bereit sein, weniger Einfluss hinzunehmen, um als Geldgeber an einer außergewöhnlichen und aussichtsreichen Idee finanziell zu partizipieren", unterstreicht von der Linden. Das müsse jedem Gründer bewusst sein, der sich zusätzlichen Einfluss auf sein Unternehmen sichern will.

Ausstieg programmiert

Eine Besonderheit der Mehrstimmrechte im Vergleich zur KGaA oder Vorzugsaktie ist, dass die Mehrstimmrechte den Gesetzesplänen zufolge zehn Jahre nach dem IPO erlöschen und sie auch bei Verkauf oder Übertragung der Anteile untergehen. Es braucht also weder Rechtsformwandel noch Aktienumwandlung, um aus der Konstruktion herauszukommen. Manche Investoren dürfen ihren Anlagerichtlinien zufolge indes keine Aktien ohne Stimmrecht erwerben, so dass sie bei Vorzugsaktien nicht zugreifen können, wohl aber bei Stammaktien mit einem relativ geringen Stimmrecht.

Der deutsche Fondsverband BVI lehnt indes Mehrstimmrechtsaktien grundsätzlich ab, weil sie die Aktionärsrechte einschränken, und hält das "One share, one vote"-Prinzip für essenziell für das Engagement institutioneller Investoren, um die Corporate Governance von Unternehmen zu stärken und die nachhaltige Transformation der Wirtschaft voranzubringen.

Keine Übernahmefantasie

"Mehrstimmrechte sind auch aus Gründersicht nicht ausschließlich vorteilhaft", gibt Linklaters-Partner von der Linden bedenken. Die im Stimmrecht beschnittene Stammaktie habe im Zweifel einen Bewertungsabschlag an der Börse, drücke also auf die Marktkapitalisierung der Gesellschaft. Zudem könne mit Mehrstimmrechten kaum Übernahmefantasie entfacht werden. "Wenn der Gründer sein Unternehmen zur Reife gebracht hat und aussteigen will, ergibt sich für ihn das Problem, dass sein Aktienpaket für ihn mehr Wert hat als für den Erwerber, für den das Mehrstimmrecht bei Übertragung verfällt. Wer echte Kapital- und Stimmrechtskontrolle ausübt, bekommt für sein Paket am Ende mehr Geld als derjenige, der 10% mit 10-fachem Stimmrecht hält, diesen überproportionalen Einfluss aber nicht weitergeben kann", resümiert der Anwalt.

Beim Abwägen aller Argumente sollten Gründer also vorsichtig abmessen, in welchen Fällen Mehrstimmrechte sinnvoll sein können. "Das Ruder nicht aus der Hand zu geben hat einen Preis. Es kommt nur in Betracht, wenn man mehrere Investoren an der Hand hat, für die ein Einstieg trotzdem interessant ist. Ein IPO wird dadurch anspruchsvoller", mahnt der Linklaters-Partners.

Ein Abwandern von Unternehmen an ausländische Börsenplätze werden sich mit dem Instrument kaum verhindern lassen. "Mehrstimmrechte sind nicht entscheidend dafür, dass Unternehmen sich für ein IPO in den USA entscheiden", sagt von der Linden. "Sie treffen dort auf einen reiferen Kapitalmarkt und eine ausgeprägtere Investitions- und Risikokultur. Auch gibt es im US-Kapitalmarkt mitunter ein tieferes Verständnis bestimmter Geschäftsmodelle, etwa im Bereich Biotechnologie. Diese Unterschiede kann man per Gesetz nicht wegregeln."  

Mit gutem Beispiel voran

Euphorie lässt auch Martin Back, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht bei Pinsent Masons, nicht erkennen. Die Regelungen des Zukunftsfinanzierungsgesetzes sind aus seiner Sicht grundsätzlich "sehr zu begrüßen". Im internationalen Vergleich werde Deutschland damit aber keine Vorreiterrolle als Investitionsstandort einnehmen. "Es stehen Gesetzesänderungen im Raum, mit denen Deutschland keinen neuen Vorsprung schafft – bis auf eine Ausnahme vermutlich. Die E-Aktie ist tatsächlich etwas, was ich als Gesetzesstandard in anderen Rechtsräumen so noch nicht wahrgenommen habe", sagt Back. Mit der Neuerung werde ermöglicht, Aktien unter anderem über eine Blockchain zu begeben. "Die Technologie, die für Bitcoin verwendet wird, kann somit also auch für Aktien genutzt werden. Auf diesem Weg dürfte eine direktere und einfachere Kommunikation zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären möglich sein. Zumindest im europäischen Vergleich geht auch Deutschland hier mit gutem Beispiel voran."

Kein Durchgriff

Den Nutzen von Mehrstimmrechten sieht auch Back kritisch. "Es hilft Gründern nur bedingt dabei, den Einfluss auf das Unternehmen bewahren zu können." Er verweist auf den Schutz von Minderheitsrechten. Denn für wichtige Hauptversammlungsbeschlüsse – etwa über Kapitalerhöhungen – ist den Gesetzesplänen zufolge nicht nur die Mehrheit der Stimmen erforderlich, sondern zusätzlich die Mehrheit des vertretenen Kapitals. Das Mehrstimmrecht allein schafft hier also keinen Durchgriff. Anders sieht es bei Aufsichtsratswahlen aus, wo allein die Stimmenmehrheit für das Votum ausreicht.

"Immerhin kann auf einer Hauptversammlung nichts gegen den Willen des Gründers beschlossen werden", sagt Back. Der Gründer könne also über sein Mehrstimmrecht ungewollte Hauptversammlungsbeschlüsse verhindern. Andererseits kann er im Falle der auch erforderlichen Kapitalmehrheit aber mit seiner Mehrstimmrechtsmacht allein nichts durchsetzen. "Das Instrument garantiert dem Gründer somit nicht den vollen Einfluss auf sein Unternehmen, denn Kapitalmaßnahmen zählen gerade für ein junges Unternehmen zu den wichtigsten Entscheidungen, um das Wachstum voranzubringen."

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