LEITARTIKEL

Im Fadenkreuz der Politik

Investmentbanker mögen die Halbleiterindustrie. Trotz der Coronakrise hält das Fusionsfieber in diesem Hochtechnologiesektor unvermindert an. Das verdeutlichen die zuletzt angekündigten Megadeals mit US-Beteiligung. Je umfangreicher die...

Im Fadenkreuz der Politik

Investmentbanker mögen die Halbleiterindustrie. Trotz der Coronakrise hält das Fusionsfieber in diesem Hochtechnologiesektor unvermindert an. Das verdeutlichen die zuletzt angekündigten Megadeals mit US-Beteiligung. Je umfangreicher die Transaktionen, desto größer sind die Provisionen für die mandatierten Kreditinstitute.In der Geldflut aufgrund einer anhaltend ultralockeren Politik der Notenbanken sind die auf Expansion ausgerichteten Chiphersteller bereit, für ein Übernahmeobjekt das Viereinhalbfache des Jahresumsatzes zu zahlen. Das exerzierte Infineon mit dem Erwerb von Cypress vor. Akquisitionen sind für die Häuser relativ einfach zu finanzieren.Treiber der Konzentrationswelle sind Branchentrends, bei denen sich die Akteure mit einem verbreiterten Produktangebot via Zukäufe bessere Chancen erhoffen, sich rasch Wettbewerbsvorteile im schnelllebigen, kapitalintensiven Geschäft mit mikroelektronischen Bauelementen zu verschaffen. Als Wachstumstreiber gelten hochkomplexe Leistungshalbleiter, die zum Beispiel in Rechenzentren eingesetzt werden. Von Seiten der Abnehmer wächst zugleich der Bedarf an Komplettlösungen. Halbleiterhersteller, die über das nötige Know-how und über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, entwickeln sich zu Vollsortimentern. Im Markt herrscht ein Darwinismus. Die Devise lautet: schlucken oder geschluckt werden.Die Wettbewerbshüter sehen diesem Treiben nicht tatenlos zu. Die staatlichen Behörden, die Übernahmen genehmigen müssen, greifen rigoros ein, wenn aus ihrer Sicht nationale Sicherheitsinteressen berührt werden. Sie verfügen über die Macht, das Tempo und das Ausmaß der Transformation in der Chipindustrie zu bestimmen. Hochwertige Halbleiter sind mittlerweile ein Instrument von Regierungen, um ihre geo- und industriepolitischen Interessen weltweit durchzusetzen. Die Branche steht im Fadenkreuz der Politik. Das zeigt der Handelskonflikt zwischen den USA und China deutlich. Die Trump-Administration setzt Chips als Waffe gegen Peking ein, um im Wettstreit beider Länder um die Vorherrschaft in der Weltwirtschaft das kommunistische Regime in die Knie zu zwingen. Die Boykottmaßnahmen des derzeitigen republikanischen Amtsinhabers im Weißen Haus gegen chinesische Technologieunternehmen im Allgemeinen und Huawei im Besonderen, im Amtsjargon Exportkontrollen genannt, treffen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt auf diesem Feld ins Mark.Auch europäische Adressen wie zum Beispiel Infineon, die bislang den chinesischen Telekomausrüster und Smartphonehersteller beliefert haben, beugen sich diesem Bann, um einen größeren Schaden für sich selbst abzuwenden. Washington bestimmt die Intensität des Drucks. Daran dürfte sich auch nichts ändern, wenn der neue US-Präsident nach den Wahlen Anfang November Joe Biden heißt. Der Spitzenkandidat der Demokraten würde womöglich die Auseinandersetzung mit dem asiatischen Rivalen nur mit außenpolitisch geschmeidigeren Mitteln fortsetzen als der ruppig agierende Donald Trump.Die Causa Huawei zeigt, wie verletzbar China ist. Staatspräsident Xi Jinping läuft Gefahr, sein Ziel zu verfehlen. Peking will sich von Chips aus dem Westen unabhängig machen. Die Herrscher des Landes streben an, bis 2025 den einheimischen Bedarf an Halbleitern zu 70 % selbst zu decken. Die Zwischenbilanz fällt nüchtern aus. Derzeit liegt der Anteil bei geschätzten 30 %. China ist nicht in der Lage, aus eigener Kraft seinen Rückstand deutlich zu verkürzen. Dafür fehlt das Know-how, insbesondere ausreichend Fachingenieure, die Peking versucht aus Taiwan abzuwerben – vom Erzfeind. Mit dem Subventionsfonds im Umfang eines hohen zweistelligen Dollar-Milliardenbetrags, der zum Ziel hat, eine eigene starke Chipindustrie aufzubauen, verbuchten die Kommunisten bisher nur mäßige Fortschritte.Chinas Führung verfügt als wirksames Gegenmittel über die Wettbewerbsbehörde. Daher ist es keine ausgemachte Sache, dass der US-Grafikkartenspezialist Nvidia seinen Plan umsetzt, sich den britischen Chipdesigner ARM für 40 Mrd. Dollar einzuverleiben. ARM ist in China aktiv. Nvidia lässt in Taiwan (TSMC) fertigen. Peking könnte den Deal ablehnen. Wie wichtig es ist, an den entscheidenden Stellen eine wirksame Lobbyarbeit für sich zu machen, davon kann Infineon in der Causa Cypress ein Lied singen. Um sich im Ringen mit der Politik schlussendlich durchzusetzen, musste Deutschlands Marktführer zuvor viel Lehrgeld zahlen.——Von Stefan KroneckHalbleiter werden von der Politik im Extremfall als Waffe eingesetzt. Das verdeutlicht der Handelskonflikt zwischen den USA und China.——