Im ureigensten Interesse der EU
Im ureigensten Interesse der EU
Russische Vermögen
Im ureigensten Interesse
Von Detlef Fechtner
Die Europäische Union versucht sich diese Woche an der Quadratur des Kreises. Am Donnerstag und Freitag treffen sich die Staats- und Regierungschefs – und dieses Mal geht es weder um Berichte von Enrico Letta oder Mario Draghi, stehen weder Wettbewerbsfähigkeit noch Entbürokratisierung ganz oben auf der Agenda, sondern zwei Fragen: Wie bekommt Europa das nötige Geld zusammen, um die Ukraine auch nächstes Jahr im Krieg gegen Russland nicht allein zu lassen? Und inwieweit können die eingefrorenen russischen Vermögen helfen, eine Finanzierung zu organisieren?
Was anfangs wie eine technische Detailfrage erschien, hat sich mittlerweile zu einem existenziellen Thema der EU entwickelt: Wenn es der EU nicht gelingen sollte, zügig eine gemeinsame Antwort zu finden, würde die Europäische Union in eine dramatische Krise gestürzt – vergleichbar Frankreichs Politik des leeren Stuhls in den 1960ern oder der Staatsschuldenkrise vor 15 Jahren. Schließlich würde das Vertrauen von Polen oder Balten in die Staatenunion erodieren, wenn es der EU nicht gelänge, der Ukraine weiterhin die Mittel zu Verfügung zu stellen, damit sie sich nicht Russland ergeben muss. Insofern geht es längst nicht mehr nur um die „Solidarität“ mit Dritten, sondern um ureigenste Interessen der EU.
Verzwickte Lage
Die Lage freilich ist arg verzwickt. Die Vorstellung ist irreführend, lediglich die belgische Regierung mit einigen Zusagen beruhigen zu müssen, dass die EU-Partner Belgien – als Heimat von Euroclear, wo die russischen Vermögenswerte lagern – nicht allein ließen, falls Russland das Land mit Klagewellen überzöge. Denn auch andere EU-Staaten – ebenso wie die EZB – haben erhebliche Vorbehalte gegenüber dem Zugriff auf die frozen assets der russischen Notenbank. Und zwar nicht nur Ungarn und die Slowakei.
Vieler Einwände haben durchaus plausible Argumente. Sei es das Kopfschütteln darüber, dass die EU gerade den für Naturkatastrophen und andere Notstände vorgesehenen Art. 122 sehr großzügig interpretiert, um die russischen Vermögen langfristig eingefroren zu lassen. Oder sei es die Sorge, dass ein Zugriff auf die Assets den Ruf der Eurozone als rechtssicherer Raum so beschädigt, dass Staaten wie Saudi-Arabien künftig Europa meiden.
Angespannte Fiskalpolitik
Offensichtlich lassen sich die Ukraine-Hilfen nicht durch zusätzliche Milliardenbeiträge der EU-Staaten zusammenbekommen. Denn erstens dürften einzelne Staaten wie Ungarn ihre Beteiligung verweigern, die Lösung wäre also keine „europäische“. Zweitens wären Länder wie Frankreich aktuell nicht in der haushaltspolitischen Lage, um sich noch tiefer zu verschulden, ohne damit das Risiko einer merklichen Ausweitung ihrer Anleihespreads zu provozieren. Die Staatsschuldenkrise lässt grüßen. Eine gemeinsame europäische Schuldenaufnahme lehnen derweil Deutschland und einige „like-minded“-Länder ab, weil das aus ihrer Sicht den endgültigen Einstieg in eine Schuldenunion bedeuten würde.
Gegenwärtig werden Optionen sondiert, die jeweils Elemente eines zumindest indirekten Zugriffs auf die eingefrorenen russischen Vermögenswerte als auch der Absicherung durch Garantien der Mitgliedstaaten und der EU kombinieren. Die juristische Debatte ist kompliziert. Klar ist nur, dass die noch vor kurzem in Aussicht gestellte, vermeintlich rechtlich robuste Lösung, die keine ernsthaften Rechtsrisiken beinhaltet, ein frommer Wunsch ist. Insofern geht es gerade in Brüssel um Risikomanagement für Fortgeschrittene. Wobei auf der Gefahrenseite nicht nur Schadenersatzklagen stehen, sondern auch Vergeltungsmaßnahmen wie Cyberangriffe oder Drohneneinsätze, die bewusst Luftraum verletzen.
Vor diesem Hintergrund treffen sich Europas Regierungschefs diese Woche ganz sicher nicht zu einer Routinesitzung, sondern zum wahrscheinlich wichtigsten Gipfel des nun zu Ende gehenden Jahres. Das schlechteste denkbare Ergebnis des EU-Gipfels wäre, wenn den Premiers keine Einigung über die frozen assets gelänge.
Das schlechteste
denkbare Ergebnis
des EU-Gipfels wäre, wenn keine Einigung über die frozen
assets gelänge.
