Mailand

Land ohne Kinder, aber mit großzügigen Renten

Italien hat die niedrigste Geburtenrate Europas. Doch statt auf Familienpolitik zu setzen, mästet Rom die Rentner mit großzügigen Vorruhestandsregelungen, die man sich eigentlich nicht leisten kann.

Land ohne Kinder, aber mit großzügigen Renten

Zum Klischeebild Italiens gehören in Deutschland Piazze voll quirligem Leben und Fußball spielenden Kindern. Doch die Piazze bevölkern heute eher Rentner und, in Nicht-Corona-Zeiten, Touristen. Die wenigen Kinder, die noch zu sehen sind, spielen selten Fußball.

Italien war nach dem Zweiten Weltkrieg das geburtenfreudigste Land Europas und zählte drei Millionen Einwohner mehr als Frankreich. Heute steht das Land mit einer Geburtenrate von 1,17 Kindern pro Frau am Ende der europäischen Rangliste und hat acht Millionen Einwohner weniger als das Nachbarland. Der Trend geht weiter nach unten. Das Statistikamt Istat hat errechnet, dass die erwerbsfähige Bevölkerung in den nächsten 20 Jahren um 6,8 Millionen schrumpft, die Zahl der Rentner um 6,6 Millionen steigt und es 1,2 Millionen weniger Kinder zwischen 0 und 14 Jahren geben wird. Papst Franziskus klagt, dass italienische Paare sich lieber Katzen anschaffen als Kinder.

Nun will Italiens Regierung gegensteuern. Die Regierung Dra­ghi hat ein Kindergeld eingeführt. Bis zu 175 Euro pro Monat und Kind sollen Familien künftig erhalten. Insgesamt 18,2 Mrd. Euro soll das im Jahr kosten. Doch Experten bezweifeln, dass dies für eine Trendwende reicht. Strukturelle Steuervorteile und Starthilfen für junge Familien gibt es nach wie vor nicht.

Statt Familien zu fördern, mästet der italienische Staat lieber die Rentner, die bald die größte Wählergruppe sind. Bis in die neunziger Jahre gab es die „baby pensioni“, die es Frauen nach 14 Jahren und sechs Monaten Berufstätigkeit im öffentlichen Dienst teilweise schon mit Mitte 30 erlaubten, in den „Ruhestand“ zu gehen. Gesamtkosten für den Staat: Geschätzte 150 Mrd. Euro. Die Regierung Conte senkte 2018 das Rentenalter auf 62. Wer dann 38 Beitragsjahre zusammenhatte, erhält eine volle Rente. Selbst Mario Draghi stellt diese „soziale Errungenschaft“ nicht grundsätzlich in Frage: Er hat 2022 das Rentenalter vorerst um gerade zwei Jahre angehoben. Frauen können nach 35 Beitragsjahren mit 58 in Rente gehen. Italien gibt mehr als 16% des Bruttoinlandsprodukts für Renten aus, Deutschland 11%.

Dabei bräuchte Italien gut ausgebildetes Personal, um die fast 200 Mrd. Euro aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm vernünftig ausgeben zu können. Doch während viele Ältere, die oft gut ausgebildet sind, frühzeitig in Rente gehen, fehlen junge Fachkräfte in den Gebietskörperschaften und in den Unternehmen. Viele der jüngeren Leute schlagen sich mit oft schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs in der Gastronomie, im Hotelwesen oder mit unbezahlten Praktika durch – zumindest in Nicht-Corona-Zeiten. Ein Grund dafür ist das miserable Bildungssystem, das Italien in der Pisa-Rangliste regelmäßig einen Platz in den unteren Regionen sichert. Die Zahl der Schulabbrecher, die ohnehin schon hoch ist, ist in der Corona-Pandemie weiter gestiegen. Und diejenigen, die einen Abschluss haben, wählen oft Berufs- oder Studienwege, die in der Wirtschaft nicht gefragt sind.

Ohne Hilfe der Eltern ginge es nicht. Fast 60% der 34-Jährigen leben noch bei Mama und Papa, die für ein Zimmer, regelmäßiges Essen und gebügelte Wäsche sorgen. Ein Glück, dass die Italiener mit einem kumulierten Privatvermögen von 4500 Mrd. Euro und einem durchschnittlichen Medianvermögen, das zwei- bis dreimal höher liegt als in Deutschland, zu den vermögend­sten Haushalten in Europa zählen.

Doch wie soll Italien zukunftsfähig werden und wozu die riesigen Investitionen, wenn das Land schon in absehbarer Zeit zehn Millionen Einwohner weniger zählt? Eine Möglichkeit wäre mehr Einwanderung, doch dagegen machen vor allem die Rechtsparteien Lega und Fratelli d’Italia massiv mobil. Es kommt hinzu: Italien braucht vor allem Fachkräfte, keine ungelernten Zuwanderer. Doch gut ausgebildete junge Zuwanderer und Italiener gehen lieber in die USA, nach Deutschland oder Großbritannien, weil sie im Bel Paese mit seinen verkrusteten Strukturen und schlechten Löhnen keine Perspektive sehen. Die Ökonomen Daron Acemoglu und Pascual Restrepo raten Ländern mit ungünstiger Demografie dazu, auf Robotik zu setzen. Doch auch da hinkt Italien Ländern wie Südkorea, Japan oder Deutschland weit hinterher.