LeitartikelÖkonomische Bildung

Macht Platz für Wirtschaft und Finanzen im Schulunterricht!

Wirtschaft und finanzielle Grundsätze haben im Schulunterricht in Deutschland wenig Gewicht. Das muss sich ändern.

Macht Platz für Wirtschaft und Finanzen im Schulunterricht!

Finanzbildung

Mach mal Platz, Goethe!

Wirtschaft und finanzielle Grundsätze haben im Schulunterricht in Deutschland wenig Gewicht. Das muss sich ändern.

Von Jan Schrader

Was haben die Schulfächer Erdkunde, Geschichte, Chemie, Physik, Biologie, Religion oder Philosophie sowie Sport gemeinsam? Für jedes Fach ist in jedem Bundesland eine höhere Stundenzahl vorgesehen als für ökonomische Bildung, wie ein Vergleich an Gymnasien bis zur zehnten Klasse zeigt. Und was lernen Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Schulformen über Funktionen von Geld, den Umgang mit Risiken oder über Finanzprodukte? Häufig gar nichts. Gerade in Berlin und Rheinland-Pfalz, so zeigte eine weitere Studie über Lehrpläne bereits vor mehr als zwei Jahren, spielen derartige Fragen im zugehörigen Schulfach praktisch keine Rolle. Immerhin hat ökonomische Bildung in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen etwas mehr Gewicht, mit Abstrichen auch in einigen anderen Bundesländern.

Dabei gibt es zu Recht etliche Fürsprecher, die mehr finanzielle und ökonomische Bildung in Schulen einfordern. Dazu zählen etwa das Hamburger Institut für Finanzdienstleistungen (IFF), das Schuldnerberatungsstellen nahesteht, die Kölner Flossbach von Storch Stiftung, hinter der die Gründer Bert Flossbach und Kurt von Storch der gleichnamigen Fondsgesellschaft stehen, sowie etliche Bildungswissenschaftler, die in Fachzeitschriften eine Ausweitung der Schulbildung befürworten. Das Argument ist einleuchtend: Ein Grundverständnis für Finanzen ist wichtig, um finanziell unabhängig zu sein, um Überschuldung zu vermeiden und um die Altersvorsorge zu planen. Je mehr Menschen das gelingt, desto besser für alle. Auch Verbraucherschutz, der den Informationsvorsprung der Finanzproduktanbieter ausgleichen soll, ist ohne aufgeklärte Kundschaft kaum denkbar. Ohnehin spielen Finanzen in etlichen Berufen eine Rolle.

Defizite auch im Land der Dichter und Denker

Immerhin ist die Finanzkompetenz in Deutschland im Vergleich zum Ausland besser ausgeprägt, als viele glauben. In der jüngsten Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist Deutschland sogar Spitzenreiter. Erwachsene Menschen sind hierzulande vergleichsweise gut darin, Konzepte wie Inflation, Risikostreuung, Zins und Zinseszins zu verstehen, und sie zeigen häufig ein gesundes Finanzverhalten, indem sie etwa regelmäßig sparen, Rechnungen pünktlich zahlen und alltägliche Ausgaben selten auf Kredit finanzieren. Doch die Defizite sind auch im Land der Dichter und Denker ernst: Viele Menschen scheitern auch hier an einfachen Finanzfragen. Millionen Menschen sind überschuldet oder sparen nicht. Und auch die Teilhabe am Kapitalmarkt lässt sich noch steigern. Ein solides Finanzwissen kann Teil der Lösung sein.

Unterrichtszeit ist freilich begrenzt, so dass jeder neue Bildungsauftrag zulasten anderer Inhalte geht. Manche Ziele stehen in der Prioritätenliste zu Recht weiter oben: Lesen, Schreiben und Rechnen sind grundlegende Fähigkeiten, die erschreckend viele Schülerinnen und Schüler kaum beherrschen. Aber ökonomische Bildung gehört in zweiter Reihe gleichberechtigt neben Inhalte wie Naturwissenschaften, Geschichte, Philosophie, Kunst, Musik und Sport.

Es lohnt sich, die Lehrpläne zu durchkämmen: Sind Wirtschaft und Finanzen weniger wichtig als jedes Goethe-Gedicht, Bibel-Gleichnis, Kunst- oder Turnprojekt? Eine behutsame Kürzung sollte möglich sein, ohne ganze Fächer über den Haufen zu werfen. Ob Finanzen und Wirtschaft dann als eigenständiges Fach existieren, mit der Berufsorientierung verbunden werden oder einen Schwerpunkt in Fächern wie Politik und Gesellschaftskunde einnehmen, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass ökonomische Bildung überhaupt auf Lehrplänen häufiger auftaucht.

Leider fällt es selbst Fürsprechern mitunter schwer, ein höheres Gewicht in den Lehrplänen und in der Lehrerausbildung einzufordern. So lässt die Bundesregierung die Rolle der Schulen in ihrem Eckpunktepapier für finanzielle Bildung unerwähnt. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und Bundesfinanzminister Christian Lindner (beide FDP) haben sich dem Thema zwar verschrieben, zögern aber, in die Hoheit der Bundesländer hineinzureden. Das ist politisch nachvollziehbar. Doch irgendwer muss auch bundesweit das Wort ergreifen. Ökonomische Bildung ist überall wichtig, gleich in welchem Bundesland.