Mit der Wut der Verzweiflung
Notiert in Brüssel
Mit der Wut der Verzweiflung
Von Detlef Fechtner
Das Misstrauensvotum gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist am Donnerstag klar abgeschmettert worden. Lediglich 175 der 553 Abgeordneten, die sich an der Abstimmung beteiligten, stellten sich hinter den Antrag – fast ausschließlich Vertreter der Rechts-Außen-Parteien und der Linken. Wichtiger noch für von der Leyen: 360 Parlamentarier stimmten mit Nein, also so gut wie alle anwesenden Christdemokraten, aber auch nahezu alle Sozialdemokraten, Liberale und Grüne. Also genau jene vier Fraktionen der politischen Mitte, die im EU-Parlament informell eine politische Zusammenarbeit verabredet haben. Also alles paletti?
Nix ist paletti. Im EU-Parlament brennt die Hütte. Das war eindrucksvoll am Montag bei der Aussprache über den Misstrauensantrag zu besichtigen. Übrigens endlich mal eine Plenardebatte, die diesen Namen verdient hat. Nicht nur, weil die Veranstaltung gut besucht war – gemeinhin ist die Präsenz im EU-Parlament niedriger als bei Nachmittags-Kinoveranstaltungen in Kleinstädten. Sondern auch wegen der Temperatur und Schnappatmung auf dem Podium. EU-Kommissionschefin von der Leyen verteidigte sich offensiv gegen die „Putin-Versteher“ und „Verschwörungstheoretiker“, die sie da durch die Manege führen wollten.
Andererseits machten die sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Iratxe García Pérez und ihre liberale Amtskollegin Valerie Hayer der EU-Kommissionspräsidentin unmissverständlich klar, sie möge endlich jeden politischen Flirt mit einer rechten Mehrheit einstellen, ansonsten würde sie die Unterstützung von Mitte-links verlieren. Die Abgeordneten spielen darauf an, dass sich die Konservativen, also die Parteienfamilie der CDU/CSU und ihrer europäischen Pendants, derzeit in der komfortablen Lage befindet, sowohl im Rat als auch in der EU-Kommission und im EU-Parlament die stärkste Kraft zu sein. Das verleitet die Konservativen dazu, extrem selbstbewusst aufzutreten und ihren politischen Partnern indirekt zu drohen, sich ja auch durch einzelne Kooperationen mit den politischen Kräften rechts der Mitte durchsetzen zu können. Bei den Mitte-links-Fraktionen sorgen derlei Auftritte wiederum für Frustration und Verzweiflung – und mithin bei einigen für Wut.
Dass Sozialdemokraten, Liberale und Grüne nun trotzdem für von der Leyen votiert haben, hat damit zu tun, dass die EU-Kommissionschefin im Wochenverlauf auf die anderen Mitte-Parteien zugegangen ist und sich – mit, wie SPD-Chef René Repasi es nennt, „Zugeständnissen, die sie nicht hätte machen müssen – spürbar in deren Richtung bewegt hat. Nun komme es darauf an, sagt Repasi, dass es nicht bei einer bloßen Geste bleibe, sondern sich auch das Auftreten der Konservativen gegenüber ihren Partnern in Ausschüssen ändere und sich die Fraktion mit den meisten Sitzen wieder auf Kompromisse mit ihren Verbündeten konzentriere. Ansonsten warnt auch Repasi: „Das Spiel mit den Mehrheiten kann schnell zum Bumerang werden.“