Japanische Grusel-Bestseller

Rätselhaftes Regenloch

Mit Sketch-Mystery-Romanen erobert der schräge Horrorautor Uketsu die Bestseller-Listen in Japan. Seine Werke erscheinen auch auf Deutsch.

Rätselhaftes Regenloch

Notiert in Tokio

Rätselhaftes Regenloch

Von Martin Fritz

Auf Youtube folgen fast 1,8 Mill. Menschen einem Japaner, der wie die Bühnenarbeiter im Kabuki-Theater einen schwarzen Ganzkörperanzug trägt und dazu sein Gesicht hinter einer weißen Pappmachémaske verbirgt. Sie erinnert an das Noh-Theater und die Figur No-Face aus dem Anime „Chihiros Reise ins Zauberland“ von Hayao Miyazaki. Seine männliche Stimme verzerrt der Youtuber elektronisch zu einer Fisteltonlage. Sein Pseudonym Uketsu kombiniert die Schriftzeichen für Regen und Loch. „Sie hinterlassen einen feuchten, düsteren Eindruck, der gut zu meinem Charakter passt“, sagt er.

Sketch Mystery-Romane

In den meisten seiner nur 50 Videos versetzt Uketsu die Zuschauer in eine makabre und groteske Welt. Spargel verwandelt sich vor ihren Augen in menschliche Finger und Kleidung in Fleischscheiben. Aber viral ging das Video mit der schaurigen Mystery-Geschichte „Seltsames Haus“, die Uketsu im Pandemie-Lockdown veröffentlichte. Darin analysieren Uketsu und die Figur des Designers Kurihara, von Uketsu mit anderer Stimme gesprochen, über Telefon den Grundriss eines Hauses mit einem versteckten Raum. Schritt für Schritt nähert sich die Erzählung dem gruseligen Geheimnis, während den Zuschauern die Nackenhaare hochgehen, obwohl nichts Erschreckendes und Grausames passiert.

Der Internet-Hit rief den Verlag Futabashi auf den Plan, der Uketsu beauftragte, aus dem Mystery-Video einen Roman zu machen, der schließlich im Oktober 2021 erschien. Seitdem stürmt Uketsu die Bestsellerlisten. Der zweite Band von „Seltsames Haus“ (Hen na Ie) war 2024 der meistverkaufte Belletristiktitel in Japan, der erste Band das meistverkaufte Taschenbuch. Die Gesamtauflage erreichte inzwischen 1,2 Millionen, auch dank der Realverfilmung des Stoffs im vergangenen Jahr.

Bilder aus der Psychoanalyse

Sein zweites Buch „Seltsame Bilder“ (Hen na E) dreht sich um neun Zeichnungen, die harmlos wirken, bis ihre unheimlichen und düsteren Umstände herauskommen, etwa von einem Bild, das ein Mordopfer in seinen letzten Momenten gezeichnet hat. Nach eigenen Angaben inspirierten Bildertests aus der Psychoanalyse Uketsu zu diesem Konzept. Yuta, das einzige Kind der Familie Konno, verschwindet. Zwei Journalisten graben die dunkle Vergangenheit der Familie aus, die Leser fühlen sich dabei selbst wie die Ermittler. Nebenher deckt Uketsu den systemischen Druck in Japan auf junge Frauen wie Männer auf, eine Familie zu gründen und Kinder zu haben.

„In Japan ist traditioneller Horror wie Geister und Monster nicht besonders populär, sondern man mag ruhige, gruselige Geschichten, die beängstigend wirken“, erläutert Uketsu, dessen Alter auf Mitte 30 geschätzt wird. Die heutige Welt sei voller Traurigkeit und habe eine beängstigende Atmosphäre. Seine Geschichten würden gelesen, um damit klarzukommen. Hinter den hohen Verkaufszahlen stecken nach seiner Ansicht jüngere Japaner, die sonst keine Bücher lesen. „Seltsame Bilder“ erschien im Frühjahr auf Deutsch, im Oktober folgt „Das Seltsame Haus“.