Risse im Gesellschaftsvertrag
Rentendebatte
Risse im Gesellschaftsvertrag
Von Andreas Hippin
Bei der Rentendebatte
in Großbritannien geht es um mehr als
den Ärger der jungen
Generation.
Der Gesellschaftsvertrag steht auf dem Spiel.
Nicht nur in Deutschland wird eine giftige Rentendebatte geführt. Auch in Großbritannien stehen sich Alt und Jung zunehmend unversöhnlich gegenüber. Zwar ist die staatliche Rente dort nicht gerade großzügig bemessen. Es handelt sich nicht um eine Versicherungsleistung, auf die man einen Anspruch hat, sondern um eine Sozialleistung. Doch steht den Empfängern alljährlich eine Erhöhung ins Haus, die erheblich sein kann. Dafür sorgt das so genannte Triple Lock.
Die von der konservativ-liberalen Koalitionsregierung unter David Cameron 2010 eingeführte Regelung sieht vor, dass die staatliche Rente um den höheren von drei Faktoren steigt: die Teuerungsrate, das durchschnittliche Lohnwachstum oder 2,5%. Bislang hat es auch Labour nicht gewagt, das Thema anzupacken. Kein Wunder: Das Vereinigte Königreich entwickelt sich in Richtung Gerontokratie. Bei den Wahlen im vergangenen Jahr waren die Über-55-Jährigen erstmals in der Mehrheit.
Dramatische demographische Entwicklung
Die demographische Entwicklung ist ähnlich dramatisch wie in Deutschland. Als die staatliche Rente 1909 eingeführt wurde, machten die Über-65-Jährigen gerade einmal 5% der Bevölkerung aus. Nach Schätzung des Centre for Policy Studies werden es 2072 bereits 27% sein. Die Zahl der Erwerbstätigen pro Rentner werde bis dahin von 3,3 im Jahr 2022 auf 1,9 sinken.
Ein aus Frankreich übernommenes neurechtes Twitter-Meme zeigt, wie schnell das Thema Generationengerechtigkeit tiefe Risse im Gesellschaftsvertrag hervorrufen kann. „Nicolas (30 ans)“ hat in Nick sein britisches Alter Ego gefunden. Der Londoner Büroangestellte sollte sich eigentlich glücklich fühlen. Schließlich lebt er in einer der attraktivsten Städte der Welt in einem der reichsten Länder und verdient auch noch mehr als Gleichaltrige.
Wohlhabende Ruheständler
Doch nachdem er seine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, die Raten für seinen Studienkredit, die Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr und die Miete für seine mit einem Mitbewohner geteilte Unterkunft in Zone 4 der britischen Metropole bezahlt hat, bleibt nicht mehr viel.
Ganz anders ergeht es dagegen seinen Vermietern, Linda und Simon. Die beiden 70-Jährigen genießen ihren Ruhestand in vollen Zügen. Sie profitieren nicht nur vom Triple Lock, sondern auch von dem Umstand, dass sie in einer Zeit in den Immobilienmarkt eingestiegen sind, als Normalverdiener dazu noch in der Lage waren. Wie viele ältere Menschen in Großbritannien verfügen sie über Wohneigentum, dessen Wert seit Erwerb immens gestiegen ist. Viele investierten zudem mit staatlicher Förderung in Mietobjekte.
Kreuzfahrt statt Altersarmut
Linda und Simon können es sich leisten, hin und wieder mit ihrem BMW nach Southampton zu fahren, um von dort aus auf Kreuzfahrt zu gehen. Altersarmut? In Großbritannien hat man es mit zunehmend wohlhabenderen Pensionären zu tun. Nick hat dagegen gerade einmal Geld für Zigaretten und ein Netflix-Abo übrig.
Seine Steuern und Sozialabgaben finanzieren auch Karim. Der 25-Jährige lebt von Bürgergeld, wohnt in einer Sozialwohnung und ist als Grime-Rapper ziemlich erfolgreich. Er steht stellvertretend für Millionen von Briten im Erwerbsalter, die von staatlichen Transferleistungen leben. Wer es schafft, Erwerbsunfähigkeit geltend zu machen, erhält mehr als ein Mindestlohnempfänger in einem Vollzeitjob. Karims Charakterisierung als Zuwanderer, der als Kind nach Großbritannien kam, zeigt, dass sich der wachsende Ärger von Nick und Seinesgleichen nicht nur gegen die Alten richtet. Zum Glück gibt es noch keine politische Kraft, die diese Wut ausschlachten will. Nigel Farages Rechtspartei Reform UK forderte vielmehr, die Kürzung des Heizkostenzuschusses für wohlhabende Rentner rückgängig zu machen. Ändert sich das, könnte sich nicht nur der Generationenvertrag als gefährdet erweisen, sondern das gesellschaftliche Zusammenleben insgesamt.