So long, farewell, auf Wiedersehen, zaijian!
„So long, farewell, auf Wiedersehen, goodbye“ lautet der berühmte Liedrefrain und fröhlich-wehmütige Abschiedsgruß im Film-Musical „The Sound of Music“, den man zu besonderen Anlässen sicherlich auch sprachlich globalisieren darf. Dem chinesischen Publikum fällt es, genauso wie der Pekinger Regierung, gegenwärtig nicht ganz leicht, den neuen Bundeskanzler Olaf Scholz so richtig fröhlich und zuversichtlich zu begrüßen. Das liegt vermutlich daran, dass der wehmutsvolle Abschied von Angela Merkel noch nicht so richtig verdaut worden ist.
Botschaften von der Sorte „Zaijian ,Mo Dashen‘, Zhongguo xiangnian ni“ – Auf Wiedersehen, Tantchen Merkel, China vermisst Dich, sind in den letzten Tagen auf chinesischen Social-Media-Plattformen millionenfach „gelikt“ und weitergeleitet worden. Man könnte glatt auf die Idee kommen, dass Merkel in China mehr Fans und „Follower“ hat, als Deutschland insgesamt überhaupt an Wahlberechtigten aufbieten kann. Zu einem ausländischen Sympathieträger in China gehört unweigerlich ein Kosename in Landessprache. Der Name Merkel ist bei der Transkription ins Chinesische etwas schwerfällig und beansprucht sogar drei Schriftzeichen um dann „Mo ke er“ zu lauten. Daraus haben die Chinesen für den Alltagsgebrauch Mo Dashen oder auch Mo Dama gemacht, was sich jeweils als Tante Mo übersetzen lässt und zugleich warmherzig wie auch respektvoll wirkt.
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Merkels insgesamt zwölf Chinabesuche im Laufe von 16 Regierungsjahren sind einsamer Rekord für ein westliches Regierungsoberhaupt, der aller Voraussicht nach nie wieder überholt werden kann. Dabei hat sie sich wohlgemerkt nicht auf Peking-Visiten mit Arbeitscharakter beschränkt. sondern war mit Stationen in Schanghai, Guangzhou, Shenzhen, Tianjin, Qingdao, Hangzhou, Wuhan, Hefei, Shenyang, Chengdu, Xi’an und Nanjing nun wirklich genügend landauf und landab unterwegs, um sich den Titel des „westlichen Politikers mit der besten China-Kenntnis“ zu sichern.
Tante Mo hat im Norden des Landes die dortige Version des mit Chinakohl zubereiteten Sauerkrauts mit großem Genuss verkostet, in Chengdu bei einem Mini-Kochkurs ihre heimliche Liebe zur scharfen Sichuan-Küche demonstriert, den Terrakotta-Kriegern in Xi’an übers Köpfchen gestreichelt und mit der Wahl ihrer jeweiligen Hotelunterbringung (Junior Suite statt Präsidenten-Suite) zudem noch mit Bescheidenheit geglänzt. Wie soll das einer jemals wieder toppen?
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Chinesen haben bekanntlich ein grundsätzlich sehr großes Sympathiereservoir für Deutschland und seine verlässlichen Tugenden, das sich von Dichtern, Denkern und Musikern mehr oder weniger nahtlos zu den Automobilingenieuren und Wirtschaftsgrößen fortsetzen durfte. Und solange deutsche Politiker nicht mit offensichtlich antichinesischer Syntax aus der Reihe marschieren, gibt es auch an ihnen wenig auszusetzen.
Im kommenden Jahr gilt es, das 50-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Reich der Mitte und der Bundesrepublik zu begehen. Solche zeremoniellen Daten werden in China wesentlich aufmerksamer verfolgt und gewürdigt als in den jeweiligen Partnerländern. Die letzten 24 Jahre, also knapp die Hälfte der Zeit, hatte man mit Gerhard Schröder und Angela Merkel Regierungsspitzen im Angebot, die den deutschen Sympathievorsprung gegenüber anderen europäischen Ländern eindeutig ausbauen konnten.
Bei Schröder (auf Chinesisch Shiluode) kam dessen schulterklopfende Bonhomie gegenüber sozialistischen Potentaten bei gleichzeitiger emotionaler Distanz zum US-Bündnispartner hervorragend an. Von Merkel haben wir ja schon ausführlich geredet. Bleibt noch die Frage, wie es Scholz gelingen kann, das Milliardenvolk für sich zu gewinnen. Die hanseatische Art passt mit Umarmungsgesten nicht so recht zusammen, beim chinesischen Publikum registriert man gespanntes Misstrauen. Es wird noch ein Weilchen brauchen, bis ihm die Netzgemeinde die Onkel-Anrede zu verleihen bereit ist.