Klimaschutz

Standortfaktor grüner Strom

Die nächste Bundesregierung muss Windenergie höchste Priorität einräumen, fordert die Branche. Zu Recht: Grüner Strom wird künftig ein wichtiger Standortfaktor sein.

Standortfaktor grüner Strom

Von Carsten Steevens, Hamburg

Der Klimaschutz muss nach der Bundestagswahl am 26. September eine der vordringlichsten Aufgaben der nächsten Bundesregierung sein. In der laufenden Legislaturperiode wurden Klimaschutzvorgaben auf europäischer und nationaler Ebene verschärft. Branchen wie etwa die Auto- oder Stahlindustrie, die sich auf den Weg in Richtung CO2-Reduktion begeben haben, benötigen aber Planungssicherheit für Investitionen.

Dazu gehört die begründete Aussicht auf ausreichend Ökostrom. Daran hapert es bislang. So gibt es in Deutschland aktuell zu wenig Projekte für eine Ausweitung der Windkraftkapazitäten. Es spricht einiges dafür, dass die künftige Koalition in Berlin – in welcher Farbkonstellation auch immer – schnell tätig werden sollte, um Hemmnisse für den Ausbau der erneuerbaren Energien aufzuheben. Mit Blick auf die Sicherung der Energieversorgung, von Arbeitsplätzen und den Schutz der Artenvielfalt bewegt sie sich dabei fraglos in einem Spannungsfeld. Doch klar ist: Klimaneutraler Strom gehört künftig zu den wesentlichen Standortfaktoren.

Wie groß die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist, veranschaulichen Wachstumszahlen im deutschen Windmarkt. So wurden im ersten Halbjahr in Deutschland zwar 240 Windenergieanlagen an Land (onshore) mit einer Leistung von 971 Megawatt (MW) installiert, was einem Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von 62% entspricht. Zwei Jahre nach dem Tiefpunkt beim Zubau installierter Leistung werden mit diesem Wachstum die Vorgaben des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2021 von rund 4000 MW jedoch verfehlt. Zudem erhöhen sich die jährlichen Brutto-Ausbauziele für „Wind onshore“ auf Basis neuer Vorgaben wie dem Klimaschutzgesetz, das eine CO2-Minderung in Deutschland um 65% bis 2030 vorsieht, und einer Anpassung der Stromverbrauchsprognose weiter.

„Damit Deutschland die gültigen Ziele der CO2-Reduzierung erreichen kann, müssten jedes Jahr 6000 MW Leistung neu installiert werden – angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen wird das so jedoch nicht umzusetzen sein“, sagt Inka Klinger, Leiterin der Infrastruktur-Projektfinanzierung bei der Hamburg Commercial Bank (HCOB). Die Einschätzung deckt sich mit Angaben aus der Branche: Auch beim Bundesverband Windenergie in Berlin hält man in Erwartung eines stark steigenden Strombedarfs eine Verdopplung der erteilten Zubaugenehmigungen auf 6 Gigawatt (GW) pro Jahr für erforderlich. Die nächste Bundesregierung müsse Windenergie höchste Priorität einräumen, fordert die Windindustrie und verweist auf EU-Anforderungen, dass die Hälfte des Stroms bis 2050 aus der Windkraft gewonnen werden soll.

Appell der Banken

Dass Auflagen wie Abstandsregelungen und ein zu geringer Flächenausweis sowie die Dauer der Genehmigungsverfahren für Windenergieprojekte ein schnelles Vorankommen derzeit verhindern, wird über die Windbranche hinaus moniert. Die Politik müsse mit den Akteuren in dem Sektor Wege finden, die Realisierung von Projekten zu beschleunigen und auch die Umsetzung von Maßnahmen zum Ersatz alter durch neue Windenergieanlagen (Repowering) zu ermöglichen, betont Heiko Ludwig, Leiter des Bereichs Strukturierte Finanzierungen bei der Nord/LB­. Erforderlich sei ferner, einen Rechtsrahmen für den Aufbau der Wasserstofftechnologie und weiterer Möglichkeiten der Energiespeicherung zu schaffen. „In diesen Bereichen liegen die Voraussetzungen für klassische Projektfinanzierungen als bislang wesentliches Instrument der Finanzierung der Energiewende heute häufig noch nicht vor.“

Auch die Commerzbank mahnt eine Vereinfachung und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren an, hebt aber zugleich den positiven Trend beim Zubau der installierten Kapazitäten hervor. Es gebe wieder mehr genehmigte Projekte, so dass alle Hersteller und Entwickler „sehr viel optimistischer auf den deutschen Markt gucken als noch vor zwei Jahren“, so Tim Koenemann, Leiter Coverage-Abteilung des Kompetenzzentrums für erneuerbare Energien.

Die Finanzierer selbst sehen das Geschäft mit Transaktionen im Bereich der erneuerbaren Energien als Wachstumsfeld an, doch herrscht im deutschen Bankenmarkt enormer Wettbewerbsdruck. „Es fließt viel Liquidität in den Markt“, erklärt Bertold Bonanni, Leiter des Kompetenzzentrums für erneuerbare Energien bei der Commerzbank. Das führe dazu, „dass das Geld immer günstiger wird und die Margen massiv unter Druck geraten“. HCOB-Managerin Klinger erläutert, als Finanzierer wünsche man sich eine ausgewogene Balance zwischen dem Ertrags- und Risikoprofil einer Projektfinanzierung sowie den Anforderungen der Projekt-Initiatoren. Aktuell sei zu beobachten, dass sich Interessenlagen der Initiatoren verändern, mehr Flexibilität gefordert werde und dies auch Auswirkungen auf Finanzierungen habe. Neben den typischen Langfristfinanzierungen würden auch stärker Elemente aus Infrastrukturfinanzierungen und kürzere Laufzeiten diskutiert.

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