Thyssenkrupp muss sich gewaltig strecken
Thyssenkrupp
Mehr Realitätssinn wagen!
Von Annette Becker
Déjà-vu bei Thyssenkrupp: Der Mischkonzern legt einen Zwischenbericht vor und die Aktie geht in die Knie. So war es auch am Donnerstag und man könnte nicht behaupten, dass die Kursreaktion übertrieben war. Denn um die Jahresziele zu erreichen, muss sich Thyssenkrupp gewaltig strecken. Das bereinigte (!) operative Ergebnis ist im zweiten Quartal um satte 90% eingebrochen. Auf Sicht des ersten Halbjahres steht ein Gewinn vor Zinsen und Steuern von 210 Mill. Euro zu Buche. Um zumindest ans untere Ende des Zielkorridors zu gelangen, müssen im zweiten Semester mindestens 390 Mill. Euro verdient werden.
Das weiß auch Vorstandschef Miguel López. Dennoch hält er an der Prognose fest. Thyssenkrupp erwarte im zweiten Halbjahr ein stabileres Marktumfeld, gibt der Thyssen-Chef zu Protokoll. Woraus sich die Zuversicht speist, bleibt allerdings López’ Geheimnis. Angesichts wachsender Unsicherheiten im weltwirtschaftlichen Gefüge gehört schon eine gehörige Portion Mut dazu, von einer nennenswerten Belebung auszugehen.
Der Kern des Problems
Klar, von Zöllen in den USA ist Thyssenkrupp direkt kaum betroffen. Die Sparte mit dem größten US-Exposure ist der Werkstoffhandel. Dort verfügt Thyssenkrupp jedoch über eine breite Aufstellung. Die Stahlsparte exportiert so gut wie keine Stähle nach Übersee und Automotive Technology kommt zumindest mit dem Status quo zurecht. Diese Lesart von Finanzchef Jens Schulte greift jedoch zu kurz. Denn die direkten Zollfolgen sind nicht der Kern des Problems. Vielmehr geht es um das Sentiment und um Handelsströme, die umgeleitet werden. Gerade im Stahlgeschäft ist eine Produktschwemme aus China zu erwarten, die den Preisdruck weiter verschärfen wird. Dabei sind die Produktionskapazitäten schon heute nicht ausgelastet.
Es ist verständlich, dass López nach drei Prognosekorrekturen im Vorjahr die Investoren nicht erneut mit einer Gewinnwarnung vor den Kopf stoßen will. Die Realität auszublenden verhilft aber nicht zu besseren Ergebnissen. Und an der Börse verfängt das ebenfalls nicht, wie der Kurssturz um 16% eindrucksvoll belegt.