Thyssenkrupp zerlegt sich selbst
Thyssenkrupp
Selbstzerlegung
Von Annette Becker
Die Verwertung der Einzelteile von Thyssenkrupp als Zukunftskonzept zu bezeichnen, ist kühn. Alles steht und fällt mit der Sanierung der Stahlsparte.
Rein in die Puschen, raus aus den Puschen. Nach diesem Motto verfährt die Industrieikone Thyssenkrupp seit mehr als einer Dekade. Doch egal, ob als Konzern, Group of Companies oder Finanzholding – die Daseinsberechtigung ist bis heute nicht gesichert. Grund dafür ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der operativen Geschäfte. Sie wird seit Jahr und Tag thematisiert, ist aber bis heute nicht behoben. Die Bilanzsumme hat sich zwischen 2011 und 2024 um ein Drittel verringert, von Gesundschrumpfen kann jedoch keine Rede sein.
Nach den milliardenschweren Fehlinvestitionen in das Stahlgeschäft in Übersee stand der frisch ernannte Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger 2011 zunächst in der Pflicht, den Traditionskonzern vor der Pleite zu bewahren. Sein Strategieplan, sich von etwa einem Viertel des Umsatzes und 35.000 der damals noch 177.000 Beschäftigten zu trennen, ging jedoch nicht auf. Zugleich schickte sich der einstige Siemens-Vorstand an, aus den unabhängigen Sparten unter dem Holdingdach einen Konzern zu formen. Was als Offensivstrategie verkauft wurde, war jedoch reine Verteidigung, hatte sich zwischenzeitlich doch der schwedische Finanzinvestor Cevian eingekauft.
Zurück zur Holding
Im Herbst 2019 übernahm Aufsichtsratschefin Martina Merz das Ruder. Sie ging zur Holdingstruktur zurück, definierte Thyssenkrupp als Group of Companies und machte sich damit ganz im Sinne von Cevian die Aufspaltung des Mischkonzerns zur Aufgabe. Geschäfte mit einem Umsatz von 6 Mrd. Euro und 20.000 Beschäftigten sortierte Merz in eine Abwicklungseinheit aus. Vom Rest erhielten nur der Werkstoffhandel und die Sparte Industrial Components eine vorläufige Bestandsgarantie.
Der Stahl und das Marinegeschäft sollten in der jeweiligen Branchenkonsolidierung aufgehen, für die Geschäfte der Division Automotive Technologies wurden Partner gesucht. Dem vorangestellt war zwangsläufig die operative Gesundung der Geschäfte, finanziert mit dem Erlös aus dem Verkauf der lukrativen Aufzugsparte. Doch die hehren Ziele ließen sich nicht realisieren. Stattdessen verbrannte Thyssenkrupp viel Geld – ohne dass die Geschäfte wettbewerbsfähig wurden.
Portfolio neu zugeschnitten
Seit Mai 2023 ist Miguel López im Amt, neuerdings mit einem bis Mai 2031 laufenden Vertrag. Wie seine Vorgänger hat auch er das Portfolio neu zugeschnitten, profitabler sind die Geschäfte dadurch natürlich nicht geworden. López spart nicht mit markigen Worten, wenn es um Zukunftsperspektiven geht. Faktisch aber schreibt er den von Merz eingeschlagenen Kurs fort.
Alle operativen Einheiten sollen sich künftig eigenständig am Markt finanzieren, einzig das Sagen will sich Thyssenkrupp mit Mehrheitsbeteiligungen erhalten. Ausnahme ist der Stahl, den Thyssenkrupp aus der Bilanz haben will. Auch wenn es López gelungen ist, den tschechischen Milliardär Daniel Křetínský als Co-Investor für die Stahlsparte ins Boot zu holen – eine Lösung des Stahlproblems ist das noch lange nicht.
Sanierungsfähigkeit steht infrage
Ungeklärt ist weiterhin, wie hoch die Mitgift ausfällt, die Thyssenkrupp der ungeliebten Tochter auf dem Weg in die Eigenständigkeit mitgibt, und ob das Geschäft angesichts der sich verschlechternden Rahmenbedingungen überhaupt sanierungsfähig ist. Statt Konsolidierung heißt es für die Marinesparte nun Spin-off, wobei die Essener 51% behalten wollen. Der Werkstoffhandel dürfte sich als nächster IPO-Kandidat warmlaufen. Die Automotive-Einheiten und die Geschäfte mit grünen Technologien haben bis zur Kapitalmarktfähigkeit dagegen noch einen längeren Weg vor sich.
Dass die Verwertung der Einzelteile bei Investoren gut ankommt, verwundert nicht. Sie setzen darauf, dass die Summe der Einzelteile mehr wert ist als der Konzern in seiner Gesamtheit. Das als Zukunftskonzept zu verkaufen, erscheint jedoch kühn. Denn zur Wahrheit gehört, dass Thyssenkrupp die finanziellen Mittel fehlen, um die jeweiligen Geschäfte in eine prosperierende Zukunft zu führen. Das gesamte Konzept steht und fällt mit der kostspieligen Sanierung der Stahlsparte.