Veränderte Trinkgewohnheiten
Notiert in: Moskau
Veränderte Trinkgewohnheiten
Von Eduard Steiner
So ganz passte die Meldung nicht zu den Maifeiertagen, die – insbesondere der 9. Mai als Gedenktag des Sieges über das Naziregime – in Russland zu den wichtigsten im Jahr zählen. Was ist mit der Bevölkerung los, fragen sich manche. Oder hapert es gar an der Zuverlässigkeit der statistischen Daten? Diese wiesen Ende April nämlich aus, dass der Konsum von Spirituosen deutlich zurückgegangen ist. In erster Linie geht es hier natürlich um Wodka. Im ersten Quartal 2025 wurden davon 8,3% weniger verkauft als im vergangenen Jahr, meldete die Bundesbehörde zur Kontrolle der Alkohol- und Tabakmärkte. Der erste Rückgang seit Jahrzehnten; obendrein sank der Konsum gar auf das Niveau von 2019.
Es dürfte am Preis liegen, meinen die Experten. Tatsächlich hat das Finanzministerium den Mindestpreis für alle Spirituosen mit Beginn des Jahres angehoben. Die Hersteller fuhren die Produktion um ein Viertel zurück, heißt es seitens des Verbraucherschutzverbandes. Aber dass die Menschen deswegen ganz plötzlich so viel weniger trinken würden, glaubt dann doch niemand. Und so wird vermutet, dass die Konsumenten ganz einfach Alternativen in der Grauzone der Märkte gefunden haben: alkoholische Surrogate oder Selbstgebranntes.
West-Kultur wirkt nach
Allerdings gibt es auch einen langfristigen Trend, und zwar weg von den harten hin zu den weichen Getränken wie Bier und Wein. Das ist auch eine Folge der postsowjetischen Öffnung gegenüber der Welt, insbesondere zum Westen hin. Kurz gesagt: Die kulturellen und wirtschaftlichen Veränderungen haben zu einer Veränderung der Lebens- und Ernährungsgewohnheiten beigetragen. Das Phänomen zeigt sich übrigens nicht nur bei alkoholischen Getränken, sondern etwa auch bei Kaffee. Obgleich traditionell eher Teetrinker, haben die Russen zunehmend Geschmack am Kaffee gefunden und die westliche Kaffeekultur übernommen. Zumindest bei der urbaneren Bevölkerung ist das der Fall.
Und was den steigenden Weinkonsum betrifft, so wird die Tendenz von neuen Daten untermauert, welche die internationale Organisation für Rebe und Wein (OIV) bekannt gegeben hat. Danach nimmt Russland nun weltweit den siebten Platz beim Weinkonsum ein, nachdem dort 2024 ganze 8,1 Mill. Hektoliter bzw. um 2,4% mehr als 2023 getrunken worden waren. Bei der Platzierung hat Russland Argentinien, Portugal und China überholt, wobei der Konsum in China um 19,3% eingebrochen ist. Auf Platz 1 bleiben die USA mit 33,3 Mill. Hektolitern.
Überhaupt ist der Konsum laut OIV auch weltweit zurückgegangen – und zwar um 3,3% auf 214 Mill. Hektoliter, was das niedrigste Niveau seit 1961 ist. Die Gründe: wirtschaftliche Unsicherheit, geringere Kaufkraft und die zunehmende Beliebtheit alkoholfreier Getränke. Beim Weinkonsum pro Kopf liegt Russland übrigens nur auf Platz 17 – mit gerade mal 6,8 Litern, während beim Spitzenreiter Portugal 61,1 Liter pro Kopf und Jahr getrunken werden. Gut, das halbe Land bevorzugt halt doch noch den Wodka.